Sentix-Ausblick 2023: Länge und Ausmaß der Rezession werden unterschätzt

Steigende Zinsen und der Ukraine-Krieg haben die Weltwirtschaft vor ernsthafte Herausforderungen gestellt. Die ohnehin angespannte Situation in der Wirtschaft hat den Mangel vielerorts verschärft. Ob Fachkräfte, Energiebedarf, Öffnungszeiten, Umsätze oder auch Liquidität – der Mangel wird in 2023 zum stetigen Begleiter.

Bisweilen gehen die Marktbeobachter im kommenden Jahr von einer milden Rezession aus. Auch ein Wechsel der Notenbankpolitik wird für 2023 erwartet, da der Inflationsdruck nachlassen sollte. sentix setzt mit seinem Jahresausblick 2023 einen Kontrastpunkt: Unter dem Motto „Mangelwirtschaft“ beschreibt der Jahresausblick ein anhaltend schwieriges Umfeld für Konjunktur und Kapitalmärkte. Die Inflation sollte hoch bleiben, Zinsen und Volatilität weiter ansteigen.

Mangelwirtschaft

Das beherrschende Thema der letzten Monate war die Lage am Gasmarkt. Inzwischen besteht erhebliche Sorge, dass es zu einem Versorgungsengpass und im schlimmsten Fall zu Zwangsbewirtschaftungen im Gasmarkt kommen kann. Spätestens der Winter 2023 / 2024 dürfte zur großen Bewährungsprobe werden. Das Thema Energiemangel und deren Konsequenzen sollte die Märkte weiter begleiten.

Mangelerscheinung stellt sentix auch auf den Rohstoffmärkten fest. Der Kampf um Ressourcen dürfte sich verstärken und Knappheitspreise verursachen. Auch beim Thema Arbeits- und Fachkräften gibt es eine strukturelle Angebotslücke. Diese wird in den nächsten Jahren durch den Renteneintritt geburtenstarker Jahrgänge sogar noch forciert. Ein Mangel an qualifizierten Arbeitnehmern heizt den Bieterkampf an und fördert die Lohn-Preisspirale.

Die Rezession verläuft länger und tiefer als erwartet

Die Konjunktur bleibt auch im nächsten Jahr das beherrschende Anlagethema.
Das konjunkturelle Bild, das sich aus der jährlichen sentix Anlegerbefragung ableitet, unterstellt jedoch eine milde Rezession, die im Jahr 2023 zügig überwunden wird.

Der Optimismus rührt aus einem Anstieg der Konjunkturerwartungen in den letzten beiden Monaten. Das Entscheidende dabei ist jedoch, dass die Geldmengenaggregate diesen Dreh nicht begleiten. Normalerweise ist dieser Vorbote zwingend nötig. „Daher gehen wir nicht von einer nachhaltigen Gesundung aus. Die milde Rezession stellt eher ein Wunschdenken dar, vielmehr sind deutliche Revisionen im Wachstum und bei den Unternehmensgewinnen nach unten zu erwarten.“, stellt Patrick Hussy, Geschäftsführer bei sentix, fest.

Noch schwerwiegender ist, dass die Konjunktur in 2023 ungebremst in die „Mangelwirtschaft“ hineinläuft: Gas- und Energie-Mangel, Rohstoff-, Ersparnis-, Produktions-, Unternehmens-, Auftrags- und Arbeitskräfte-, Liquiditäts- und nicht zuletzt der Inflations-Erfahrungs-Mangel.

Anleger sollten zudem nicht unterschätzen, dass der fundamentale Wechsel vom Negativ- zum Normalzinsumfeld, vom Deflations- zum Inflationsregime und von einer Überfluss- zu einer Mangelwirtschaft bei allen Wirtschaftssubjekten eine gewisse Zeit der Anpassung benötigt.

Die zum Jahreswechsel angezeigte konjunkturelle Erholung ist daher wie ein Pfeifen im Wald. Die Rezession wird vom Ausmaß und von der Länge unterschätzt. Der Chef-Stratege von sentix, Manfred Hübner, resümiert: „Die Liste der Mängel nimmt am Ende auch die Märkte in die Mangel.“

Inflation signalisiert zuerst Entspannung und danach erneuten Druck

Ein Feld, in dem ebenfalls Mangel herrscht, wird bislang noch kaum beachtet. Es ist der aktuelle Erfahrungsmangel der Wirtschaftssubjekte mit einem Umfeld nachhaltig steigender bzw. hoher Inflation – und daraus folgend einem Umfeld wieder höherer und steigender Zinsen. Wenn die Inflation nicht nur ein temporäres, zyklisches Phänomen ist, müssen alle Wirtschaftssubjekte ihre Grundprämissen ihrer wirtschaftlichen Aktivitäten auf den Prüfstand stellen. Daraus erwachsen sehr wahrscheinlich nachhaltige Präferenzverschiebungen mit deutlichen Wirkungen.

Sentix geht davon aus, dass zwar im ersten Quartal eine Beruhigung an der Inflationsfront eintritt. Basiseffekte sollten spätestens ab Februar/März greifen und die Inflationsraten halbieren. Erste Hinweise darauf geben die Preiskomponenten von Einkaufsmanager-Indizes bzw. das stark rückläufige sentix Themen-Barometer „Inflation“.

Da ab dem zweiten Quartal auch die EZB und die Bank of Japan (Achtung: Überraschungseffekt!) beginnen dürften, ihre Bilanz zu reduzieren, kommt abermals Druck am Anleihenmarkt auf. Der Bilanzabbau sollte als globales Phänomen die Renditen deutlich ansteigen lassen.
In den Folgemonaten setzt sich die erwartete Beruhigung bei der Preissteigerung nicht fort. Höhere Lohnabschlüsse sorgen für einen unermüdlichen Anstieg der Konsumentenpreise. Parallel werden all die prognostizierten Mangelerscheinungen sichtbar. Folglich erwartet sentix ein anhaltender Inflationsregime mit steigenden Langfristzinsen: Bis zum Jahresende 2023 sollten die 10-Jahres-Renditen von Staatsanleihen in den USA Richtung 5% anstreben, für Bundesanleihen steht aller Voraussicht die 3 vor dem Komma.

Ambitionierte Bewertung von US-Aktien

Normalerweise steht das Jahr 2023 als Vorwahljahr unter einem guten Börsenstern. Die traditionelle Unterstützung aus dem US-Präsidentschaftszyklus dürfte dem S&P 500 Index jedoch versagt bleiben: Steigende Zinsen, eine anhaltend hohe Inflation sowie restriktive Notenbanken treffen auf ambitioniert bewertete US-Aktienmärkte. Insgesamt fällt auf, dass die Anleger immer noch in alten Bezügen denken. Die Regel lautet: „Die Notenbanken retten die Börsen, wenn es eng wird“. Doch frische Liquidität dürfte Mangelware bleiben.

Relativ früh im Jahr sollte deutlich werden, dass die Anleger im vierten Quartal 2022 Aktienquoten aufgebaut haben, ohne davon überzeugt zu sein. Das Vertrauen fehlt und es steht ein baldiger „Charaktertest“ an. Der S&P 500 sollte bis Mitte März die Marke von 3.500 Punkte ansteuern. Für viele Investoren werden dann schon die Jahresprognosen zu revidieren sein.
Unterstützung erfährt der Aktienmarkt in den frühen Sommermonaten von den Notenbanken. Die Hoffnung auf ein Ende des inflationären Umfeldes lässt die Aktienkurse etwas steigen – aber nur temporär. Die Konjunkturschwäche hält sich hartnäckiger als gedacht und die Unternehmen berichten nun von sinkenden Gewinnmargen.

Ab Sommer kommt die schlechte Energie-Versorgungslage für den anstehenden Winter erneut in den Fokus. Auch der Abbau der Notenbankbilanzen schmerzt die Anleger, die Renditen steigen deutlich und laufen als echte Alternative der Aktienanlage den Rang ab. Sentix erwartet im Spätsommer einen Ausverkauf am Aktienmarkt, der dann den Boden für eine Erholung im vierten Quartal bereitet. Am Ende bleiben für den amerikanischen Aktienmarkt auch im Jahr 2023 dicke Minuszeichen.
Für den deutschen / europäischen Aktienmarkt sieht es nicht viel besser aus. Die Energie- Versorgungsprobleme wirken sich hier viel dramatischer aus und sind auch der Grund, warum im Herbst massive Ängste vor einer größeren Gasmangellage bestehen. Die Kernkraftwerke werden im April abgestellt sein und ohne Gas aus Russland wird es auch für den DAX verdammt eng. Ein DAX-Tief bei 10.000 Punkten ist in diesem Zuge möglich.

Japan als Fokusland, Gold erneut gut & stetig

Japan nimmt in der globalen „Mangelwirtschaft“ in vielfacher Hinsicht eine Sonderstellung ein. Und diese Sonderstellung verdankt das diesjährige Fokusland gleich mehreren „Sonderwegen“, die eingeschlagen wurden. Zum Beispiel ist Japan weit weniger stark von den Turbulenzen auf den Welt-Energiemärkten betroffen, weil man trotz des Reaktorunfalls von Fukushima weiter auf Kernkraft als primäre Energiequelle setzt und die Abhängigkeit von Ölimporten schon seit Jahren reduziert hat.

In der Geldpolitik hat Japan 2022 ebenfalls einen bemerkenswerten Sonderweg eingeschlagen, in dem man die langfristigen Zinsen durch eine verkündete und durchgesetzte Zinsobergrenze von 0,25% für 10-jährige Anleihen stabil gehalten hat.

Der Sonderweg der japanischen Notenbank hat jedoch zu massiven Verwerfungen im Währungsbereich geführt. So wertete der Yen von 115 Yen je Dollar auf bis zu 150 Yen je Dollar ab. Dies treibt einerseits die importierte Inflation an, verbessert andererseits jedoch auch die Wettbewerbsposition Japans erheblich.

Der 31. März wird deshalb für Japan im kommenden Jahr doppelt wichtig: Es ist nicht nur das Ende der Amtszeit vom Chef der BoJ Kuroda, sondern auch der fiskalpolitische Stichtag für japanische Unternehmen. Schon oft war der März-Ultimo der Startpunkt einer größeren Zäsur in Japan, meist auch der Beginn einer Yen-Stärke. sentix erwartet vom Nachfolger/-in eine graduelle Anhebung der Zinsobergrenze. Eine entsprechende Reaktion ergibt sich am Währungsmarkt, wo der Yen dann deutlich unter Druck stehen sollte.

Auch beim Thema Gold gibt es eine besondere Auffälligkeit: Die Investoren setzen auch im kommenden Jahr beharrlich auf das gelbe Edelmetall. „In keiner anderen Assetklasse“ ist diese Stetigkeit zu beobachten“, stellt Manfred Hübner fest. In 2022 hat es so gut wie gar nicht auf den Inflationsanstieg reagiert. „Gold- gut und stetig“ war das Gold-Motto der vergangenen sentix-Jahresausblicke. Von dieser Aussage rücken die sentix-Analysten als Fazit auch für 2023 nicht ab. Im Zuge erneut aufkeimender Inflationsgefahren erwarten sie eine Beschleunigungsphase des gelben Edelmetalls im zweiten Halbjahr auf 2.200 USD / Oz.

Behavioristisches Gutachten: Hohes Planungsniveau

Im Rahmen der sentix Jahresbefragung haben die Anleger ihre Renditeerwartungen an das Folgejahr kundgetan. Mit 6,10% ist die Renditeerwartung der Institutionellen die höchste seit 2016 (Erhebungsbeginn). Bei den Privaten ergibt sich ein ähnlich hoher Wert wie letztes Jahr. Diese hohen Erwartungen dürften einem Belastungstest unterzogen werden.

Unter dem Titel „Mangelwirtschaft“ ist der Kapitalmarktausblick am 10. Dezember 2022 erschienen und bietet auf über 90 Seiten weitere Prognosen und zehn Anlageideen für 2023. Die Publikation kann hier elektronisch bestellt werden: https://shop.sentix.de/sentix-jahresausblick-2023

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