Aufgrund fehlender gesetzlicher Regelungen können Verbände, Initiativen oder Unternehmen immer neue „Gütesiegel“, „Prädikate“ und „Ratings“ herausgeben und vermarkten – mit mehr oder weniger strengen und transparenten Kriterien. Wenig verwunderlich, dass es auch in der Versicherungsbranche eine wachsende und unüberschaubare solcher Siegel gibt.
Doch was bringt der Einsatz dieser Siegel eigentlich? Wie bekannt und vertrauenswürdig sind diese bei den Verbrauchern? Haben diese überhaupt eine nachweisbare positive Wirkung? Bringt der Einsatz mehrerer Siegel auch mehr? Sollten diese in allen Sparten oder nur bei bestimmten Produkten eingesetzt werden?
Diesen und weiteren Fragen ist das Marktforschungs- und Beratungsinstitut Heute und Morgen im Sommer 2020 in seiner aktuellen Trendstudie «Wirkung von Siegeln in der Assekuranz» nachgegangen. Im Unterschied zu anderen Untersuchungen wurde dabei nicht nur auf Bekanntheit und erlebte Vertrauenswürdigkeit der Siegel fokussiert, sondern auf deren tatsächliche Wirkungen und die psychologischen Wirkmechanismen.
Fast jeder Verbraucher kennt Siegel
Zunächst zeigt sich: Fast jeder Verbraucher in Deutschland hat im Versicherungsbereich bereits Siegel wahrgenommen und erkennt diese – bei gestützter Abfrage – auch wieder. Auf den ersten Plätzen der Bekanntheit liegen: Stiftung Warentest Finanztest (92 Prozent Wiedererkennung), Öko-Test (87 Prozent) und TÜV Süd (81 Prozent).
Es folgen Check24 (72 Prozent) und TÜV Rheinland (70 Prozent). Viele der insgesamt 48 getesteten Siegel in der Assekuranz sind bisher aber auch noch weitgehend unbekannt.
In puncto ungestützte Bekanntheit – also bei der Aufforderung zu einer freien Nennung von persönlich bekannten Siegel im Versicherungsbereich – zeigt sich zudem, dass Siegel im Versicherungsbereich nicht wirklich tief im Bewusstsein der Verbraucher verankert sind.
Nur eine Minderheit (23 Prozent) kann hier überhaupt irgendein relevantes Siegel benennen. Vergleichsweise am besten schneidet noch Stiftung Warentest Finanztest mit elf Prozent ungestützter Bekanntheit ab. Aufgrund der geringen ungestützten Bekanntheit ist davon auszugehen, dass die Verbraucher im Versicherungsbereich nur selten bewusst beziehungsweise aktiv nach Siegeln suchen.
Dies bestätigt auch der Vergleich mit anderen Branchen: beim Abschluss von Versicherungen orientieren sich die Verbraucher nur vergleichsweise selten substanziell an Siegeln; lediglich jeder Fünfte tut dies in stärkerem Maße. Eine deutlich stärkere Orientierung an Siegeln zeigt sich beispielsweise bei technischen Geräten, im Onlinehandel oder auch bei Lebensmitteln.
Betrachtet man nun die Vertrauenswürdigkeit der Siegel im Versicherungsbereich, so zeigt sich, dass diese in sehr hohem Maße mit deren Bekanntheit korreliert. Kurz: Siegel, die bekannter sind, werden auch vertrauenswürdiger beurteilt als weniger bekannte Siegel – weitgehend unabhängig von anderen Vertrauensmaßstäben wie etwa dem Bewertungsmodell der Siegelgeber.
Die ersten drei Plätze in puncto Vertrauenswürdigkeit von Siegeln in der Assekuranz nehmen Stiftung Warentest Finanztest (Vertrauens-Indexwert: 8,1 von 10 möglichen Punkten), TÜV Süd (7,7) und TÜV Rheinland (7,3) ein. Viele unbekanntere Siegel liegen auf der Vertrauensskala hingegen im deutlich negativen Bereich.
Bekanntheit von Siegeln garantiert keine positive Wirkung auf Abschlussbereitschaft und Versicherungsmarke
In puncto Siegelgeber gilt: Bei den Verbrauchern weitgehend unbekannte Siegelgeber – wie etwa Franke & Bornberg, Ascore oder Morgen & Morgen – profitieren in der Regel am stärksten von einem namhaften Medienpartner. Durchschlagende Wirkung auf Wiedererkennung und Vertrauen erzielen hier aber nur Focus Money und – bereits mit deutlichen Abstrichen – das Handelsblatt.
Grundsätzlich gilt: Hohe Bekanntheit und Vertrauenswürdigkeit von Siegeln bedeutet keineswegs automatisch, dass diese auch wirklich wirksam und entscheidungsrelevant sind. Bekanntheit und Vertrauenswürdigkeit von Siegeln garantieren keine positive Wirkung auf die Abschlussbereitschaft und die Versicherungsmarke.
Im Rahmen der Studie wurden daher auch sechs ausgewählte Siegel in einem experimentellen Design auf ihren Einfluss auf verschiedene Zielgrößen hin analysiert – so etwa der Effekt der Siegel auf die Produkt-Bewertung, Abschlussbereitschaft, Markenstärke und auf das funktionale und emotionale Markenbild der Produktgeber.
Die Ergebnisse dieses Wirkungstests lassen aufhorchen: Selbst beim Einsatz des aus Verbrauchersicht stärksten Siegels „Stiftung Warentest Finanztest“ zeigen sich nur wenige positive Effekte, etwa hinsichtlich der Wahrnehmung des Anbieters als „solide“.
Ein unmittelbarer und in höherem Maße relevanter Einfluss von Siegeln auf die Abschlussbereitschaft kann jedoch nicht nachgewiesen werden. Dies gilt auch angesichts des Ergebnisses, dass rund ein Drittel der Verbraucher (je nach Sparte 28 bis 39 Prozent) angibt, dass ihnen Gütesiegel beim Abschluss von Versicherungen im Allgemeinen „wichtig“ seien.
Nicht die Masse macht den Unterschied
Auch das Motto „Viel hilft viel“ ist bei Siegeln im Versicherungsbereich fehl am Platz. Im Gegenteil: Mehr als die Hälfte der Verbraucher ist der Auffassung, dass zu viele Siegel „unglaubwürdig“ wirken – insbesondere bei weniger bekannten Produktgebern.
Ebenso wenig kann die verbreitete Meinung, dass gerade vertrauensintensive Versicherungsprodukte (wie etwa Lebens- oder Krankenversicherungen) ein vertrauensschaffendes Siegel brauchen, nicht generell bestätigt werden.
Bei der Einordnung von Siegeln in der Assekuranz liegt daher nicht fern, sich – trotz oder gerade wegen derer bisweilen recht hohen fachmedialen bzw. werblichen Präsenz – einmal an die Kindergeschichte von Jim Knopf und Lukas dem Lokomotivführer zu erinnern – und dabei insbesondere auch an den Scheinriesen „Tur Tur“.
Die wahre Bedeutung wird überschätzt
In ihrer „wahren“ Größe und Bedeutung werden Siegel meist überschätzt – auch wenn (namhafte) Siegel kaum schaden und unter bestimmten Bedingungen auch hilfreich sein können.
Riesenhafte Wunderdinge sollte man von Siegeln aber nicht erwarten – weder seitens der Produktgeber noch seitens der Vermittler. Zugleich sollen Siegel hier aber auch nicht kleiner gemacht werden als sie tatsächlich sind. Zumal „Herr Tur Tur“ bekanntermaßen ein freundlicher und hilfsbereiter Scheinriese ist.
Zunächst gilt: Eine starke Versicherungsmarke braucht im Normalfall keine Siegel – zusätzliche Markenstärke oder nennenswerte, unmittelbare Abschlussrelevanz sind davon kaum zu erwarten. Ein Siegel erscheint für Vermittler oder Makler in der Kommunikation daher auch nicht als sinnvolles primäres Verkaufsargument.
Schwache Marken profitieren hingegen eher von (namhaften) Siegeln, werden so ein stückweit aufgewertet und stabilisiert. Der Einsatz einer Vielzahl von Siegeln untergräbt aber insbesondere bei unbekannteren Anbietern deren Glaubwürdigkeit. Weniger ist hier also mehr.
Eine starke Marke braucht keine Siegel
Auf Verbraucherseite lassen sich zudem verschiedene Zielgruppen unterscheiden, die mehr oder weniger „siegelaffin“ sind (beispielsweise sind dies jüngere Verbraucher mehr als ältere).
Daher lohnt es, Siegel auch dort einzusetzen, wo siegelaffine Kunden anzutreffen sind; beispielsweise auf Vergleichsseiten im Internet. Grundsätzlich gilt: Wenn Siegel in der Kommunikation eingesetzt werden, sollte dies gezielt und nicht wild erfolgen, insbesondere in puncto Platzierung und Umfeldwahl.
Auch wenn hier längst nicht alle Erkenntnisse der umfangreichen Analyse zur Wirkung von Siegeln in der Assekuranz darstellbar sind, lässt sich resümieren: Der Siegelmarkt hat (auch) im Versicherungsbereich ein Eigenleben entwickelt, das leicht zur Überschätzung der Relevanz von Siegeln führen kann.
Damit verbundene Kosten rechtfertigen nicht unbedingt den tatsächlichen Nutzen. Der differenzierte Einsatz einzelner guter Siegel kann je nach Kontext für Anbieter und Vermittler durchaus Sinn machen. Bereits starke Versicherungsmarken können aber darauf verzichten.
Autor Robert Quinke ist Geschäftsführer beim Marktforschungs- und Beratungsinstitut Heute und Morgen in Köln.