Sind NFTs ein Thema für die Kunstversicherung?

Foto: Ergo Group AG
Julia Ries: „Es ist derzeit kein Versicherungsprodukt bekannt, das NFTs absichern könnte.“

Der Kunstmarkt hat von jeher den Ruf, elitär zu sein. Top-Kunstmessen in London, Basel, Miami ziehen Sammler aus aller Welt an. In Pre-Openings gehen die begehrtesten Arbeiten oft schon an die exklusive Klientel. Rote Punkte neben den veräußerten Exponaten deuten an, welche Kunst angesagt ist. Jetzt aber ist eine Kunstgattung auf den Markt getreten, die nicht nur auf rote Punkte, sondern ganz auf Messen verzichten könnte. NFTs haben das Zeug zur Demokratisierung einer Branche. Zur „Öffnung“ des Kunstmarktes, wie es seit den 1968ern immer gepriesen wird. Oder sitzen wir einem Hype auf, der seinen Höhepunkt bereits überschritten hat?

Der Fußballer Christiano Ronaldo ist für viele ein wahrer Künstler. Als Profikicker hat der Mann mehr als 800 Tore geschossen und Meisterschaften in vielen europäischen Ligen entschieden. Trotzdem ist eine Original-Autogrammkarte für 49,99 Euro bei Ebay zu haben. Das scheint für Nicht-Fußball-Begeisterte viel, ein Fan aber empfindet das als Schnäppchen. Dass die Pappkarte mit vermeintlicher Originalsignatur so preiswert weggeht, hat möglicherweise mit schierer Masse zu tun. Ronaldo wird im Laufe seiner Karriere Tausende davon unterschrieben haben.

Sagenhafte 290.000 Dollar kostet dagegen die gleiche Autogrammkarte, wenn man sie als digitalen Non Fungible Token (NFT) erwerben würde. Den Unterschied zwischen 49,99 Euro und 290.000 Euro: das NFT ist ein absolutes Unikat. Es gilt als unkopierbar und fälschungssicher, das macht den Preisunterschied. Alle großen Fußballvereine sind längst in das NFT-Geschäft eingestiegen. Die US-amerikanische National Basketball League soll bis Mai 2022 bereits mehr als eine Milliarde Dollar mit NFTs umgesetzt haben.

Das teuerste NFT stellt den teuersten Maler in den Schatten


Der Kunstmarkt wirkt in diesen Tagen wie ein Innovator des Genres. So hat die Künstlerin Alicia Kwade ihr Genom auf DIN-A4-Seiten ausdrucken lassen. Fast 260.000 Seiten mit endlosen Großbuchstabenreihen, von denen einige wenige gefettet waren. Die Fettungen entsprechen den 0,1 Prozent DNA, in denen sich ein Mensch von anderen unterscheidet. Kwade, vertreten von der Berliner Galerie König und inzwischen ein Megastar, hat den Ausdruck in gut 10.000 Teile à 25 Seiten portioniert, jedes Einzelne zum NFT gemacht und für etwa 300 Euro das Stück veräußert.
In noch mehr NFT-Teile – nämlich 312.686 – hat ein anonymer Künstler sein Werk mit dem Namen „Merge“ zerlegt. Wie bei Aktien konnten Sammler Anteile am Werk erwerben. 91,8 Millionen US-Dollar soll die Aktion eingebracht haben. Zum Vergleich: Das teuerste je veräußerte Werk des weltbekannten zeitgenössischen Künstlers Gerhard Richterkostete etwa die Hälfte. Den NFT-Hype losgetreten hatte Anfang 2021 der Künstler Beeple, der mit seinem Werk bei Christies 69 Millionen US-Dollar erzielte.

Die Blockchain macht das NFT zum Unikat


Zum NFT werden kann zunächst alles, was digitalisierbar ist: ein Ronaldo-Autogramm, ein Kwade-PDF, Fotos, Kunstdrucke, ja auch Videos und Musik. Zu Unikaten werden diese, wenn sie in einer Blockchain hängen. Das Wort kennen wir vom Bitcoin. Auch die Krypto-Währung basiert auf dem Prinzip. Abgelegt in einer Kette von Datenblöcken lässt sich unmissverständlich zuordnen, wem das digitale Geld gehört. Ein Netzwerk dezentraler Computer speichert die Zertifikateinträge.

Es ist nahezu unmöglich, zu löschen oder zu manipulieren, wer den Ronaldo NFT erworben hat. Non Fungible Token sind wie digitale Grundbucheinträge, in denen hinterlegt ist, wer Ronaldo wann zu welchem Preis gekauft hat, was das Werk zeigt und wer der Schöpfer ist. So wird aus einer beliebig reproduzierbaren Datei ein Unikat und damit ein potenziell wertvolles Sammlerstück. Um ein NFT zu erwerben, legt man im Smartphone ein Wallet an. Man benötigt Geld in Form einer Krypto-Währung, die im Wallet mit einem Token hinterlegt ist. Die meisten Krypto-Handelsplätze handeln auch mit NFTs. Man klickt, bezahlt, trägt ein, das geht ziemlich schnell.

NFTs und klassische Kunstversicherungen – es gibt kaum Schnittmengen


Es ist derzeit kein Versicherungsprodukt bekannt, das NFTs absichern könnte. Klar ist nur: Mit dem klassischen Portfolio der Kunstversicherung – dem Absichern von möglichen Schäden bei Lagerung, Transport, Restaurationen und Diebstahl – haben Non Fungible Tokens rein gar nichts zu tun. NFTs können nicht von der Wand fallen oder mit Torten beworfen werden.

Allerdings stehen dahinter Werte, die auch Schaden nehmen können. Bewahren Sie den erworbenen Token im Wallet auf, könnte es Phishing- beziehungsweise Hacker-Angriffe geben. Im Falle des Bitcoins sollen 2021 so allein sieben Milliarden Dollar gestohlen worden sein. Aber auch wenn Sie den Code mit immerhin um 30 Stellen auf ein Blatt Papier schreiben, birgt das Gefahren. Externer Server? Auch der kann gestohlen oder zerstört werden.

Die Mittel der Kunstversicherung als reine Sachversicherung reichen für diese Art von Risiken bei weitem nicht aus. Das Gemälde, die Skulptur, auch Video- und Filminstallationen sind versicherbar, solange sie auf physischen Objektträgern gespeichert sind. Aber das ist kein Merkmal von NFTs, die eher der Cyber-Versicherung zuzuordnen sind. Cyberschutz aber bezieht sich nicht explizit auf Kunstwerke, sondern auf Datenverluste. Die spannende Frage ist: Wie kann man Daten, die gleichzeitig einen künstlerischen Wert darstellen, versichern?

Lösungen sind nicht existent, aber die Branche arbeitet daran. Munich Re als Rückversicherer und Ergo als Erstversicherer kooperieren unter anderem mit dem Start-up 4ART Technologies AG, das auf Blockchain-Zertifizierung von Kunstgegenständen spezialisiert ist. Munich Re und Ergo begleiten mit dem Start-up einen Piloten, der im Rahmen eines Minimum Viable Products Objekte versichert, die für eine Zertifizierung gescannt werden.

Lohnt die Mühe oder ist der Hype bald vorbei?


Fraglich ist, ob NFTs sich weiter durchsetzen werden oder handelt es sich um einen Hype, der so volatil ist wie der Bitcoin-Kurs? Gekoppelt an die aktuelle Abwärtsspirale der Kryptowährungen stagniert auch der Markt für NFT-Kunst. Wiederverkäufe erreichen mittlerweile zum Teil nicht einmal den Einstiegswert.
Hinzukommt, dass NFTs zudem ein Nachhaltigkeitsproblem haben. Schließlich basieren NFTs auf einer Blockchain-Infrastruktur; die vielen dezentralen Rechner in der Blockchain verbrauchen große Mengen an Strom. Die zum Erwerb von NFTs verwendeten Kryptowährungen verschärfen die Energiebilanz – einige, benötigen so viel Strom wie ganze Länder. Schließlich würde der ökologische Fußabdruck von NFTs Millionen neu gepflanzte Bäume erfordern, um den CO₂ Ausstoß auszugleichen. In Zeiten des Klimawandels sind dies Aspekte, die kritisch zu betrachten sind.

Debattiert wird zudem der Unikat Charakter von NFTs. Nur aus der Tatsache, dass ich in irgendwelchen Rechnern unzweifelhaft nachweisen kann, dass eine digitale Ronaldo-Pappkarte mir und nur mir gehört, soll sich ein (unendlich hoher) Wert ableiten? Das sind Pseudozertifikate, sagen viele. Und tatsächlich ist schwer vorstellbar, dass ein Kunstsammler einen 30-stelligen Datenschlüssel über Gerhard Richters „Lesende“ stellt.

Aber vielleicht – bleibt man bei Ronaldo – ist nicht der Token, sondern die Provenienz des Echtheitszertifikats entscheidend. Ist der NFT-Urheber irgendein Ronaldo-Sponsor oder sein erster portugiesischer Verein, bei dem er Profi wurde? Das könnte für Sammler einen Wertunterschied ausmachen. Für die NFTs spricht auch ihre Niederschwelligkeit. Jeder kann mit NFTs Künstler sein. Man braucht weder Galeristen noch sonstige Verbindungen, um auf Krypto-Handelsportalen entdeckt zu werden. Jeder kann aber auch zum Sammler werden, weil man unkompliziert online ordert. So könnte der Kunstmarkt erheblich größer werden. Möglicherweise zum Unbill der Elite.

Megatrend Blockchain – auch wegen des Metaverse


Der jährlich erscheinende Tech-Trend-Radar von Munich Re und Ergo hat 2022 unter anderem „Smart Contracts“ als Megatrend aufgenommen. Das sind Vertragswerke, die auf Blockchains gespeichert und betrieben werden und damit auch die Basis für NFTs bilden.

Darüber hinaus beflügelt das Metaverse die Fantasien – eine Art begehbares 3D-Internet, durch das wir uns in Zukunft mit eigenen Avataren bewegen. In Vorstufen können bereits heute virtuelle Objekte wie Grundstücke gekauft werden – mittels NFT. All das sehen wir bei Ergo als zusätzlichen Beleg dafür, dass NFTs – bei aller Volatilität – eine Zukunft haben könnten – auch als Kunstform. Kunstversicherer tun gut daran, sich mit Lösungen zu befassen.

Autorin Julia Ries ist Kunstversicherungsexpertin und Leiterin vor Ergo Art & Values.

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