Sind steigende Zinsen Grund zur Sorge?

Ist der Zinsanstieg Realität? Wenn ja: ist er nachhaltig? Sollte man sich Sorgen machen? Wie werden die US-Zinsen die Zinsen in Europa beeinflussen? Gastbeitrag von Olivier de Berranger,  La Financière de l’Echiquier.

Olivier de Berranger Kopie
Olivier de Berranger: „Gibt es Anlass zur Sorge? Alles hängt von der Schnelligkeit der Bewegung und ihren Ursachen ab.“

Der Zinssatz 10-jähriger amerikanischer Anleihen lag unlängst bei knapp 2,64 Prozent, womit er seine Höchststände vom März 2017 übertraf und nun auf einem Niveau liegt, das zuletzt im Sommer 2014 erreicht werden konnte.

Wenngleich der Zinsanstieg auf der gesamten Kurve spürbar ist, so setzt sich die Abflachung dennoch fort: Der Zinssatz für zweijährige Anleihen erreichte seinen höchsten Stand seit Ende 2008, während der 30-jährige Zinssatz nach wie vor unter seinen Niveaus von Anfang 2017 liegt.

Drei Fragen

Neben den fortgesetzten Leitzinsanhebungen durch die amerikanische Notenbank Federal Reserve (Fed) gibt es zahlreiche Faktoren, die diesen Anstieg stützen: positive Überraschungen im Hinblick auf die Kerninflation, nach wie vor solide Konjunkturdaten, Donald Trumps Bekräftigung seines Vorhabens, ein Infrastrukturprogramm im Umfang von 1.000 Milliarden US-Dollar aufzulegen, oder auch der angespannte Arbeitsmarkt sowie ein Anstieg der Mindestlöhne, der höhere Lohnkosten bewirken wird.

Nun stellen sich drei Fragen: Wird es ein dauerhafter Anstieg sein? Gibt es Anlass zur Sorge? Wie wird sich der Anstieg der US-Zinsen auf ihre europäischen Pendants auswirken? Die erste Frage lässt sich mit Ja beantworten. Es gibt zahlreiche Faktoren, die auf einen Zinsanstieg hindeuten, und es ist äußerst plausibel, dass der Inflationsdruck höher als erwartet sein wird.

Auswirkung auf Europa?

Gibt es Anlass zur Sorge? Alles hängt von der Schnelligkeit der Bewegung und ihren Ursachen ab. Betrachtet man zunächst die Gründe, lassen sich die Zweifel problemlos zerstreuen: Der Anstieg ist durch ein günstiges Konjunkturumfeld bedingt und nicht dadurch, dass niemand mehr amerikanische Staatsanleihen kaufen möchte, wie mitunter befürchtet wurde.

Schwieriger wird es bei der Geschwindigkeit. Die US-Unternehmen sind zwar in der Lage, einen Anstieg mit konstanter Geschwindigkeit zu absorbieren, ein abrupter Anstieg hätte jedoch negative Konsequenzen im Hinblick auf die Verschuldung bestimmter Unternehmen. In diesem Zusammenhang werden die Strategie und die Mitteilungen der Fed eine wichtige Rolle spielen.

Will man wissen, wie sich die Entwicklung in den USA auf die europäischen Zinsen auswirkt, ist es sinnvoll, den Spread zwischen zweijährigen Bundesanleihen und zehnjährigen US-Staatsanleihen im Auge zu behalten. Mit 3,2 Prozent liegt er auf dem Niveau vom Februar/März 2017, das seit 1996/1997 nicht mehr erreicht worden war.

Zinsen werden weiter steigen

In der Vergangenheit bedeutete dieser Wert stets, dass das Maximum erreicht war und der Rückgang bevorstand. Die amerikanischen Zinsen dürften jedoch weiter steigen. Entsprechend kann man von einem Zinsanstieg in der Eurozone ausgehen, zumindest am kurzen Ende der Zinskurve, sowie wahrscheinlich von einer Abflachung derselben, sofern sich die Eurozone analog zu den USA entwickelt.

Olivier de Berranger ist CIO des französischen Asset Managers La Financière de l’Echiquier

Foto: La Financière de l’Echiquier

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