Gut 15 Monate Pandemie liegen hinter uns. Wie hat Corona das Bauspargeschäft verändert?
Kastner: Da Bausparverträge an sich erklärungsbedürftig sind, ist es auf Grund der fehlenden Nähe zum Kunden noch schwieriger geworden, Abschlüsse zu erzielen. Zudem ist das Online-Angebot bei vielen Anbietern wenig ausgereift. Dadurch gehen potenzielle Kunden über den Onlinekanal verloren. Auch aufgrund der weiterhin hohen Immobilienpreise sowie gestiegenen Kosten für Material und Handwerk entscheiden sich mehr und mehr Personen gegen eine eigene Immobilie.
Warum ist Bausparen bis heute ein Produkt, mit dem sich die Zielgruppen schwertun?
Kastner: Bausparen ist ein komplexes Produkt, bei dem die Vorteile nicht auf Anhieb erkennbar sind. Kunden wünschen sich aber einfache und transparente Lösungen, die leicht verständlich und vor allem online abschließbar sind. Als reines Sparprodukt ist Bausparen heute allein schon wegen der niedrigen Sparzinsen und hohen Abschlusskosten uninteressant. Mittlerweile bieten auch die Prämien des Staates nicht mehr genug Anreiz. Ein weiterer Punkt: Bausparen hat bei den jüngeren Generationen ein angestaubtes Image. Bedingt durch Faktoren wie der steigenden Urbanisierung, Sharing Economy und der Reisesehnsucht ist der Traum vom Eigenheim in dieser Zielgruppe nicht so ausgeprägt wie beispielsweise noch bei ihren Eltern. Die jüngeren Generationen haben zudem die Erwartungshaltung, dass sich Finanzthemen wie das Bausparen in ihren Alltag und die von ihnen genutzten (digitalen) Kanäle integrieren. Dem kommt bislang keine Bausparkasse nach.
Wie sehr hat die Kündigungswelle der jüngeren Vergangenheit dem Segment Bausparen geschadet?
Kastner: Meines Erachtens nicht so sehr, wie Viele vielleicht vermuten. Die gekündigten Verträge waren in großen Teilen Alt-Verträge mit sehr hohem Habenzins, die häufig aus der Zeit vor der Finanzkrise stammten und größtenteils nicht mit Kunden abgeschlossen waren, die diese Verträge für eine Immobilie verwenden wollten. Alle gängigen beziehungsweise klassischen Sparanlagen, die sogenannten Bank-Passivprodukte, sind heute wegen des niedrigen Zinsniveaus unattraktiv. Da bildet Bausparen keine Ausnahme und ist aktuell absolut nicht dafür bekannt, eine interessante Sparanlage zu sein. Wenn Kunden heute also auf Bausparen angesprochen werden, erfolgt dies in der Regel im Rahmen einer Finanzierung; und da ist das Produkt nach wie vor eine interessante und sinnvolle Ergänzung, die im Zusammenhang mit Immobilienvorhaben Planungs- und Zinssicherheit bietet.
Was können Bausparkassen tun, um sich und ihre Produkte attraktiver zu positionieren?
Kastner: Zum einen müssen Bausparkassen ihre Zielgruppen schärfen und individuell mit passenden Botschaften ansprechen. Kunden mit Immobilie(n) könnten Bausparkassen ein umfassendes „digitales Zuhause“ anbieten. Das wäre wie folgt denkbar: In einem nutzerfreundlichem Onlinebereich stellen Bausparkassen ihren Kunden alle wichtigen Informationen über ihre Finanzierung sowie über ihre Produktangebote zur Verfügung. So könnten sie den Kunden online proaktiv in Belangen rund um ihre Immobilien zur Seite stehen, beispielsweise durch Hinweise auf subventionierte Sanierungen oder der Unterstützung bei der Handwerkersuche für Renovierungsmaßnahmen. Auch „einfach nur“ ein passender Hinweis wäre denkbar, dass in naher Zukunft eine Renovierung oder Sanierung anstehen könnte und es sinnvoll wäre, dafür bereits vorzusorgen beziehungsweise „vorzusparen“.
Gibt es noch andere Formen der Kontaktaufnahme?
Kastner: Kunden ohne Immobilien sollten Bausparkassen hingegen mit einer separaten Message ansprechen. Der aktuelle Slogan ‚Sparen Sie für Ihr Zuhause von Morgen‘ ist dabei nicht mehr zielführend. Denn Viele wollen beziehungsweise können heute gar nicht mehr kaufen oder bauen. Hier ist es also sinnvoller zu vermitteln, inwiefern Bausparen auch für Mieter interessant ist. Um diese Message wiederrum an jüngere Zielgruppen heranzutragen, müssen deren Touchpoints berücksichtigt werden: Umfassende Social-Media-Maßnahmen, Influencer-Marketing und Sponsoring von Events sind nur einige der vielen Kommunikationswege. Zum anderen halte ich eine neue Ausrichtung der Öffentlichkeitsarbeit von Bausparkassen für notwendig. Statt mit Eigenheim und Prämienerhöhungen zu werben, gilt es, aktuelle gesellschaftsrelevante Themen wie Nachhaltigkeit in den Vordergrund zu rücken. Immerhin können Hausbesitzer mit energieeffizienter Ausstattung ihren CO2-Ausstoß deutlich reduzieren. Das ist heute doch das Argument schlechthin!
Wie muss sich das Online-Angebot von Bausparkassen ändern?
Kastner: Weg vom klassischen Produktangebot und hin zu einem in das Leben des Kunden integrierten Lösungsangebot. Eine stärkere Verzahnung mit Partnern aus der Finanzbranche und deren Online-Angeboten ist zu empfehlen. Dabei sollte der Fokus nicht nur auf das Online-Banking sowie den dazugehörigen „klassischen“ Apps liegen. Generell sollte sich Bausparen insofern öffnen, als dass es für den Kunden präsenter und einfacher zu „besparen“ ist. Denkbar wäre zum Beispiel eine Integration und Verzahnung mit mobilen Bezahlungs-Apps wie Kwitt oder PayPal. Damit könnte ein Kunde auch weitere Personen bei einem gemeinsamen Projekt miteinbeziehen. Produktabschlüsse sollten darüber hinaus einfach und schnell möglich sein und, wo machbar, insbesondere in der Sparphase vereinfacht und vergünstigt werden. Generell gilt: Bausparkassen sollten einfach mal „neu denken“ und sich trauen, neue Dinge auszuprobieren.
Welche neuen Vertriebswege sollten zukünftig in Betracht gezogen werden?
Kastner: Es sollte seriös geprüft werden, ob und welche Kooperationen mit jungen, frischen Startups weitere potenzielle Vertriebswege schaffen können. Gerade die Corona-Pandemie hat gezeigt, dass smarte Banking-Apps noch immer Konjunktur haben und sich wieder größerer Beliebtheit erfreuen. Fehlt es an kreativen Unternehmen, wäre auch eine Kooperation mit sogenannten Innovation Hubs denkbar. Auf diese Weise könnten Bausparkassen auch eigene Vorstellungen miteinbringen.
Wie groß ist das Cross-Selling-Potenzial im Bereich Bausparen?
Kastner: Klassischer Weise liegt das Potenzial im Rahmen einer Finanzierung, wie beispielsweise bei Versicherungen. Aber auch bei bestehenden Kunden ist Potential da. Durch eine smarte, kontinuierliche sowie digitale Begleitung lässt sich der Kunde über einen langen Zeitraum binden, in dem es zu Neuabschlüssen kommen kann. Wenn man frühzeitig den Bedarf erkennt und Kunden proaktiv anspricht, kann man ihnen immer wieder ein passendes Angebot unterbreiten. Allerdings kann auch das Bausparen selbst durchaus als Cross-Selling-Produkt funktionieren, wenn es richtig durchdacht und zielgerichtet platziert wird, beispielsweise in Banking-Apps. In diesem Kontext könnte auch über „gamification“ oder eventbasiertes „(wenn-dann) Sparen“ nachgedacht werden, wie unter anderem bei Savedroid zu seinen Anfangszeiten. Beispielsweise könnte ein User über eine App bei jedem Twitter-Post über den einheitlichen Mietendeckel 50 Cent zur Seite legen beziehungsweise sparen.
Welche Rolle spielen dabei Fintechs bzw. Plattformen?
Kastner: Sie spielen eine sehr große Rolle. Denn die wenigsten Menschen wachen morgens mit dem Gedanken auf, einen Bausparvertrag abzuschließen. Ohne eine konsequente Ausrichtung der Ansprache auf den Kunden und Kooperationen mit Fintechs, die bereits ein gewisses Angebot sowie die Nähe zu den für die Bausparkassen interessanten Kunden haben, wird es schwer. Es ist außerdem empfehlenswert, sich mit den eigenen Produkten zielgerichtet zu platzieren und das Angebot über mehrere Partner, wie einschlägige Kreditvermittlungsplattformen oder Vergleichsplattformen, entsprechend zu streuen.
Die Fragen stellte Frank O. Milewski, Cash.