Mit seiner am Montag geäußerten Idee, Sozialabgaben auf Kapitalerträge zu erheben, hat sich Noch-Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck einmal wieder beim lauten Nachdenken beobachten lassen. Das Ergebnis ist vergleichbar mit seiner inzwischen legendären Feststellung aus dem Herbst 2022, in der er konstatierte, dass Bäckereien, die nichts mehr verkaufen würden, ja nicht automatisch insolvent seien.
Der Irrweg, Sozialabgaben auf Kapitalerträge zu erheben, wurde auch nicht durch die aufgeregt nachgeschobenen Begründungen der Grünen-Parteiführung zu einem richtungsweisenden Gedanken. Schnell wurde ergänzt, dass Habecks Äußerung ja im Zusammenhang mit der Forderung nach Einführung einer Bürgerversicherung zu verstehen sei und man durch hohe Freibeträge beabsichtigen würde, Normalverdiener und Vorsorgesparer zu entlasten, um nur die „Superreichen“ solidarisch zu beteiligen.
Damit auch diejenigen, die dem Kapitalismus skeptisch gegenüberstehen und mit der sozialen Marktwirtschaft nicht vertraut sind, verstehen, dass auch diese Begründung die Idee nicht besser macht, muss ein bisschen weiter ausgeholt werden.
Bereits die Grundannahme, dass Kapitalerträge unsolidarisch sind und nicht zur Deckung von Beiträgen in die Sozialversicherung herangezogen werden, ist falsch. Voraussetzung für Kapitalerträge ist zunächst einmal, dass ein Unternehmen Gewinn erzielt. Hierbei gibt es, anders als die Habecksche Denkschule erwarten lässt, keinen Ersatz für Umsatz. Dass Umsatz nicht gleich Kapitalertrag ist, liegt insbesondere daran, dass von diesem auch die Löhne und Gehälter der Mitarbeiter gezahlt werden, somit auch die Hälfte der anfallenden Sozialabgaben. Faktisch kämen wir daher zu einer Form der Doppelbesteuerung, wenn auf Kapitalerträge noch einmal Sozialabgaben erhoben werden.
Zudem muss in Erinnerung gerufen werden, dass Unternehmensgewinne den Anteilseignern nicht eins zu eins in Form von Kapitalerträgen zufließen, und – insbesondere bei deutschen Unternehmen – nicht im steuerfreien Raum erzielt werden, sondern bereits um die für Gemeinden existentielle Gewerbesteuer sowie die Körperschaftssteuer in Höhe von 15 Prozent reduziert wurden.
Für sämtliche Kapitalerträge oberhalb des jährlichen Freibetrages von 1.000 Euro muss sodann Kapitalertragssteuer in Höhe von 25 Prozent zuzüglich Solidarzuschlag von 5,5 Prozent entrichtet werden. Es bedarf dieser Steuern unter anderem, um die erheblichen versicherungsfremden Leistungen in der gesetzlichen Kranken- und der Rentenversicherung zu finanzieren. Deutschland ist daher tatsächlich kein Steuerparadies für die Vereinnahmung von Unternehmensgewinnen.
Dass mit den Plänen von Minister Habeck nicht nur Superreiche adressiert werden, ist unabhängig davon, dass behauptet wird, man wolle die Freibeträge deutlich erhöhen, unmittelbar rechnerisch nachzuvollziehen. Tatsächlich äußerte Habeck seinen Vorschlag im Zusammenhang mit der erneuten Diskussion darüber, dass eine Bürgerversicherung anstatt des dualen Systems aus gesetzlicher und privater Krankenversicherung eingeführt werden soll. Nicht gefordert wird jedoch, dass man sich von der Beitragsbemessungsgrenze lösen möchte. Diese liegt aktuell bei 66.150 Euro. Sämtliche Einkünfte, die diese Grenze überschreiten, sind bekanntlich von der gesetzlichen Kranken- und Pflegeversicherung befreit.
Kapitalerträge in Höhe der Beitragsbemessungsgrenze lassen sich bei der Annahme einer Rendite von 3,5 Prozent aus einem Vermögen in Höhe von 1,9 Millionen Euro erzielen. Hierbei handelt es sich sicher bei einer Privatperson um einen sehr angenehmen Kapitalstock, superreich ist hierfür jedoch sicherlich nicht die passende Definition. Im Ergebnis bleiben die Einkünfte der Superreichen daher unangetastet und belastet wird erneut der leistende und vorsorgende Mittelstand.
Aufmerksamkeit auf Wachstum fokussieren
Abgesehen davon, welchen Schaden die Idee dem deutschen Kapitalmarkt und dem Unternehmensstandort Deutschland zufügt: Wer soll zukünftig Sozialabgaben auf Kapitalerträge zahlen? Nur deutsche Investoren? Was ist mit ausländischen Investoren bei deutschen Unternehmen? Sollen diese zukünftig in Deutschland sozialabgabepflichtig werden? Haben sie dann auch Ansprüche? Wie steht es mit den Rentnern, die für die Altersvorsorge privat angespart haben? Soll deren Zusatzrente aus Kapitalvermögen mit Sozialabgaben belastet werden? Gerade Arbeitnehmer, die aus Ihrem Nettoeinkommen ein Kapitalvermögen beiseitegelegt haben, fragen sich sicher, warum die Erträge hieraus erneut mit Sozialabgaben belastet werden sollen?
Mario Draghi hat in seinem aktuellen „Bericht zur Zukunft der Wettbewerbsfähigkeit der EU“ betont, wie dringlich es ist, aus europäischen Sparern Kapitalanleger zu machen, da man das private Kapital für die ökologische Transformation zwingend benötigt. Der Bedarf wurde von ihm auf 750 Milliarden Euro p.a. beziffert. Mit ihrem kapitalmarktfeindlichen Vorschlag torpedieren die deutschen Grünen daher ihre eigenen Kernanliegen.
Bundesfinanzministers Jörg Kukies (SPD), ein unbestrittener ökonomischer Experte und Kapitalmarktkenner, hat anlässlich einer aktuellen Konferenz den Habeckschen Vorschlägen eine klare Absage erteilt und das ganz unter Wahlkampf verbucht.
Zu einem Zeitpunkt, in dem Deutschland – in den 80 Jahren nach dem zweiten Weltkrieg erst das zweite Mal überhaupt – zwei einander folgende Jahre mit einer schrumpfenden Wirtschaftsleistung erleiden muss und damit die Rezession nicht mehr verleugnet werden kann, sollte ein Wirtschaftsminister seine Aufmerksamkeit auf Wachstum fokussieren. Zuletzt führte diese Situation 2003 zur Agenda 2010 unter Kanzler Schröder. Es braucht jetzt zumindest einer vergleichbaren Reformleistung, da sich – strukturell und im globalen Wettbewerb – für Kernindustrien unseres Landes noch größere Herausforderungen abzeichnen als vor 20 Jahren.
Martin Klein ist geschäftsführender Vorstand des Votum-Verbands.