Regisseure von Katastrophenfilmen wie „Independence Day“, „Deep Impact“ oder „2012“ müssten in der Finanzwelt eigentlich jede Menge Material für einen neuen Untergangsfilm finden, der diesmal an den Aktienmärkten spielt. Tatsächlich, eine vermeintlich von bislang lieblich auf zukünftig grimmig gebürstete Geldpolitik trifft auf eine Weltgesamtverschuldung von rund 250 Billionen US-Dollar, also gut 60 Prozent höher als zu Beginn der Finanzkrise vor zehn Jahren. Das riecht nicht nur nach finaler Schuldenkrise, es stinkt sogar danach. Die Halver-Kolumne
Aber richtig Schmackes für einen Horrorstreifen kommt durch einen bislang unbekannten Gruseleffekt. Nach Jahrzehnten der fortschreitenden Globalisierung und des Freihandels droht der handelspolitische Independence Day Amerikas. Dieser würde die Weltwirtschaft, Exportunternehmen und ihre Aktienkurse treffen wie die Erde bei einem Meteoriteneinschlag. Und in den Medien laufen ja bereits erste Werbetrailer für diesen Deep Impact. Kommt es an den Aktienmärkten also früher als später zum The Day After Tomorrow, zum Tag, an dem man den Aktien-Crash beobachten kann?
Aber langsam mit den apokalyptischen Reitern. Der Stoff für einen erfolgreichen Thriller ist manchmal dünner als eine Rindfleischsuppe aus Brühwürfeln. Aus dem erhofften Film-Oscar wird oft nur die Goldene Himbeere.
Geldpolitik bietet keine Thriller-Qualitäten
Sollen denn die Notenbanken, die zehn Jahre lang die unheilbar schuldenkranken Finanzmärkte auf ihrer Intensivstation gepflegt haben, jetzt die Maschinen ausschalten und den Patienten verenden lassen? Es sind doch nicht nur die Staaten, sondern auch die Privaten zum Beispiel in Amerika bis Oberkante Unterlippe verschuldet. Dort befinden sich Kreditkarten-, Auto- und Studentenschulden auf Rekordniveau und das Olympische Motto „Schneller, Höher, Weiter“ wird weiter strikt verfolgt. Kein Wunder, denn der US-Arbeitsmarkt ist nur in nackten Job-Zahlen, aber nicht in Lohnqualitäten Spitze. Und wo kein Einkommen ist, müssen Kredite her.
Die US-Notenbank wird dieses Kredit-Doping nicht durch übermäßig scharfe Zinspolitik stören und ohne Not eine neue sozialschädliche Schuldenkrise provozieren. Das Gegenargument, dass die Fed ihre Leitzinsen doch bereits zum sechsten Mal erhöht hat, lasse ich nicht gelten. Denn betrachtet man den US-Leitzins nach Inflation, liegt er heute nicht nur niedriger als zu Beginn des US-Zinserhöhungszyklus im Jahr 2015, sondern ist sogar negativ. Das ist so wenig restriktive Zinspolitik wie der kalendarische bislang ein tatsächlicher Frühling war.
Finanzstabilität ist ein Fremdwort für Italien
Und in Europa? Wer glaubt, dass Italien nach seiner Nationalwahl Finanzstabilität groß schreibt, glaubt wahrscheinlich auch an den Osterhasen. Die neue römische Regierung wird sich auf nichts, dafür aber auf viele neue Schulden zur Bewahrung des sozialen Friedens in Bella Italia einigen. Diese bringen das Land zwar in arge Finanznöte. Aber wo die Not am größten – so ein bekanntes europäisches Sprichwort – ist die EZB am nächsten.
Auch beim Projekt einer verstärkten Europäischen Integration wird unsere Notenbank hilfreich wirken. Denn dieser grundsätzlich gute Begriff ist eher ein Synonym für neue europäische Schuldenfaszination. So soll bei der angestrebten Fiskalunion – böse Zungen sprechen von Schuldenunion – mit einem eigenständigen dicken Budget für einen Euro-Finanzminister jedes Euro-Land einen gewissen Prozentsatz seiner Wirtschaftsleistung in den gemeinsamen Klingelbeutel werfen. Das können die meisten Euro-Staaten jedoch nicht aus eigener Finanzkraft stemmen. Dreimal dürfen Sie raten, wer hier dopt. An dieser Finanzierungspraxis würde 2019 selbst ein neuer EZB-Präsident mit Nachnamen Weidmann nichts ändern können. Ein Falke im EZB-Rat kann nicht für Stabilitätsreinheit sorgen, wenn die ansonsten dominierenden Tauben permanent etwas fallen lassen.
Weder Zinsangst noch Notenbanker taugen als filmreife Bösewichte. Das Ende der Welt, so wie es im amerikanischen Film „2012“ dargestellt wird, findet an den Aktienmärkten keinen neuen Showdown. Im Gegenteil, 2012 kam in Europa der Dokumentarfilm „Whatever it takes“ mit Mario Draghi als Hauptdarsteller in die Kinos. Obwohl er eher langweilig ist, läuft er bis heute.
Seite zwei: Warum einen Handelskrieg führen, wenn man auch so gewinnt