Prophetisch muss man nicht veranlagt sein, um in den USA von steigenden Staatsschulden auszugehen. Über den oft wahrgenommenen mahnenden ökonomischen Zeigefinger hinaus lohnt sich jedoch auch eine anlageorientierte Auseinandersetzung mit dem Thema. Dazu gehört zu Beginn eine sachliche Einordnung. Schulden sind nicht per se des Teufels. Auf diese Idee würde ein klassischer Unternehmer ohnehin nicht kommen. Zunächst muss die Schuldenentwicklung immer im Vergleich zur volkswirtschaftlichen Gesamtleistung, sprich Verschuldung als Prozent des Bruttoinlandsproduktes (BIP), gesehen werden.
Darüber hinaus hängt die potenzielle „Gefährlichkeit“ davon ab, ob (ähnlich wie bei privaten Haushalten) Schulden zur Finanzierung von konsumtiven Aktivitäten oder für Investitionen verwendet werden. Letzteres kommt mit einem sogenannten Multiplikatoreffekt daher, stärkt das Angebot und wirkt tendenziell deflationär. Ersteres hingegen wirkt eher inflationär, da nachfragestimulierend.
Ohne den Vergleich mit den Unternehmen zu sehr strapazieren zu wollen – aber auch hier gilt, dass für die Finanzierung der Verschuldung entscheidend ist, ob die Zinslast tragbar ist. Janet Yellen, ihres Zeichens Chefin des US-Schatzamtes, hat jüngst eine Grenze von 2% vom BIP zur Debatte gestellt. Zu guter Letzt macht es für die Nachhaltigkeit, sprich Finanzierbarkeit der staatlichen Schuld, einen enormen Unterschied, wo und wie und von wem die Schuldtitel gehalten werden. Allein diese recht langatmige Einordnung unterstreicht die Komplexität dieser Debatte.
Steigende Risikoprämien sind mit temporären Wertverlusten gleichzusetzen
Aus Anlagesicht wird die Höhe der Staatsverschuldung streitbar, wenn Investoren eine steigende Risikoprämie für das Halten von Staatsanleihen verlangen. Sie tun dies, weil sie davon ausgehen, dass die Schuld nicht in voller Höhe zurückbezahlt werden kann. Steigende Risikoprämien bei bestehenden Anleihen kann man daher zumindest mit temporären Wertverlusten gleichsetzen.
Dies ist höchst relevant, da Staatsanleihen, insbesondere aus den Ländern der G-7, aufgrund ihrer Diversifizierungseigenschaften zum Standardinventar eines gemischten Portfolios bei privaten und institutionellen Investoren gehören. Dadurch, dass Staatsanleihen sich anders als risikobehaftete Anlagen verhalten und in turbulenten Börsenzeiten Stabilitätsanker sind, verbessern sie das Risiko-Rendite-Verhältnis im Mischportfolio. Für institutionelle Anleger (wie Pensionskassen oder Versicherungen) unterstützen sie auch das so genannte Asset-Liability-Management. Dabei wird die Struktur der Anlagen auf die zukünftigen Auszahlungsverpflichtungen ausgerichtet. Es darf daher nicht verwundern, dass steigende Staatschulden argwöhnisch beobachtet werden und Staatsschuldenkrisen auf den Risikolisten der Analysten weit oben rangieren. Lange ist es her, dass thematisiert wurde, ob es angesichts der globalen demografischen Entwicklung genug ausstehende Staatsanleihen zum Investieren hat.
Gibt es also Alternativen? Anleihen außerhalb des Staatsanleihebereichs mit ähnlichen Eigenschaften zu finden, entpuppt sich als schwieriges Unterfangen, insbesondere aufgrund der hohen Kreditwürdigkeit von Staatsschulden und ihrer Rolle als sicherer Hafen. Am naheliegendsten sind Anleihen von staatsnahen Organisationen, zum Beispiel einer Weltbank oder KfW in Deutschland. Im Vergleich zu G7-Staatsanleihen fehlt diesem Markt allerdings die notwendige Breite und Tiefe für einen flächendeckenden Einsatz. Zudem lohnt sich die Überlegung, wie wohl die staatsnahen Institutionen im Falle einer Staatsschuldenkrise finanziert werden und ob nicht „Überschwappeffekte“ zu befürchten wären.
Zum Glück besteht ein gutes Mischportfolio nicht nur aus Staatsanleihen und Aktien
Es gibt durchaus aber auch Unternehmensanleihen mit einer nur geringfügig höheren Risikoprämie als Staatsanleihen. Dies sind mehrheitlich cash-reiche Unternehmen aus dem IT-Bereich. Aber auch für die wenigen Unternehmensanleihen mit gleich gutem Rating gilt das Breite-Tiefe-Argument. Dadurch, dass weniger vorhanden sind (Breite), fehlt es an Handelsaktivität und Liquidität (Tiefe). Zudem gibt es wesentliche Unterschiede, die im Krisenfall zu einer anderen Reaktion dieser Anleihen im Vergleich zu Staatsanleihen führen dürfte. Theoretisch hat der amerikanische Staat Anspruch auf unendliche (in zeitlicher Betrachtung) amerikanische Steuereinnahmen. Cash-Vorräte von Unternehmen könnten hingegen irgendwann aufgebraucht sein. Hinzu kommt, dass auch die gut gerateten Unternehmen vom Konjunkturzyklus abhängig sind, das heißt nicht die geringe Korrelation zu Aktien aufweisen können wie Staatsanleihen.
Aufgeben ist keine Option und zum Glück besteht ein gutes Mischportfolio nicht nur aus Staatsanleihen und Aktien, sondern sollte viel breiter aufgestellt sein. Damit kommen andere diversifizierende Anlageklassen wie Immobilien, Rohstoffe, Gold, Insurance Linked Strategies oder Private Markets ins Spiel. Jede dieser Anlageklassen (und natürlich ist die Aufzählung nicht vollständig) mag selbst eine höhere Korrelation zu Aktien aufweisen als Staatsanleihen. Da sie aber unterschiedlichen Risiken beinhalten und damit untereinander auch weniger stark korreliert sind, können sie helfen, die Diversifikation des Portfolios zu verstärken. Damit könnte zumindest ein Teil der Staatsanleihen substituiert werden. Ganz verzichten können professionelle Investoren aber auf Staatsanleihen nicht. Das sind aber auch gute Nachrichten. Solange Staatsanleihen mit einem Preisschild versehen werden müssen, findet über den Markt und damit den Preis auch eine Bewertung der Schuldenpolitik statt.
Autorin Anja Hochberg ist Head Multi Assets Solutions bei Swisscanto in Zürich und erhielt unlängst den Fondsfrauen Award „Woman of the Year 2024“. Sie verwaltet mit ihren Teams rund 40 Milliarden Schweizer Franken und promovierte an der Universität Wales, hat einen Lehrauftrag an der Universität Zürich und setzt sich für Diversität im Asset Management ein.