Die Coronakrise hat diese Entwicklung deutlich beschleunigt. Die Narbe, die das Virus in den Staatshaushalten hinterließ, ist so groß, dass die Schulden der meisten westlichen Länder jäh um 20 % ihres Bruttoinlandsprodukts (BIP) geklettert sind. So dürften die Schulden Frankreichs in Kürze 120 % des BIP erreichen, in den USA 115 % und in Japan sogar rund 250 %.
Wie ist angesichts dessen auf eine Rückzahlung zu hoffen? Es bedürfte eines wirtschaftlichen Wunders oder einer galoppierenden Inflation. Wozu außerdem zurückzahlen? Trotz der Unsummen an Schulden lässt kein Anzeichen des Misstrauens die Zinssätze steigen – ganz im Gegenteil. Die Zentralbanken tätigen unablässig Wertpapierkäufe, ohne dass ihre Glaubwürdigkeit Schaden nimmt. Belegt wird dies durch die relative Stabilität der Wechselkurse.
Auch im politischen Diskurs erhält die Illusion einer künftigen Rückzahlung Risse. So sagte David Sassoli, der Präsident des Europäischen Parlaments, kürzlich, dass es in Bezug auf COVID-Schulden „kein Tabu geben dürfe“, und griff dabei ganz beiläufig ein anderes Thema Freuds auf. Zwar können die traditionellen Hüter des Tempels der Illusionen derlei Äußerungen nicht ertragen, doch es lässt sich feststellen, dass dieser Gedanke nach ganz oben durchdringt.
Inflation und Staatspleiten sind keine Lösung
In der Vergangenheit wurden nicht mehr zu tragende Schulden entweder durch eine Pleite oder durch Inflation getilgt. Der erste Weg ist allerdings zu drastisch, und der zweite zeichnet sich noch nicht ab. Es gilt also, anders vorzugehen und sie wortlos zu tilgen – eine Art „Sterbehilfe“ für die Schulden. Die erste Lösung besteht darin, sie wie derzeit bis ins Unendliche mit minimalen Zinssätzen zu refinanzieren. Sogar mit Zinssätzen, die den Schuldner bereichern, wenn sie negativ sind, wie dies bei den Zinssätzen in Europa größtenteils zutrifft.
Die zweite Lösung schließt die erste nicht aus: Ein Großteil der Schulden kann auf unbestimmte Zeit von den Zentralbanken getragen werden. Ohne Erfordernis eines offiziellen „Jubeljahres“ zum rituellen Erlass der Schulden. Wir treten in ein „schleichendes Jubeljahr“ ein, das jedermann gerecht wird, abgesehen von Banken und Anleiheninhabern.
Doch Letztere können durch die Verteuerung, die hierdurch bei anderen Anlagen wie z.B. Aktien und Immobilien ausgelöst wird, entschädigt werden. Diese „Sterbehilfe“ für Schulden betrifft nicht die Sparer, sofern sie ein Mindestmaß an Volatilität hinnehmen.
Während Frankreich Valéry Giscard d’Estaing die letzte Ehre erweist, der als ehemaliger französischer Staatspräsident eine ununterbrochene Defizitphase für den Staat einleitete, könnte der Fortgang des politischen Diskurses über die Schulden wie ein Teil seines unfreiwilligen Erbes erscheinen.
War es letztlich kein guter Einfall, die Defizite als erster laufen zu lassen, wenn sie ja doch nicht zurückgezahlt werden müssen? Kann der „Mann im Soll“, d. h. der „Mann der Schulden“, wie ihn sein Opponent François Mitterrand bei der Präsidentschaftsdebatte 1981 bezeichnete, dieses ausufernde Soll nicht auf seiner Habenseite verbuchen?
Sorgfältig ausgewählte Investments entscheidend
In jedem Fall können die Sparer und Anleger beruhigt sein: Anlagen mit echtem Wert werden von etwaigen Manipulationen an den Staatsschulden nicht nachhaltig betroffen sein. Die Anleihen solider Unternehmen, die Aktien nutzbringender Unternehmen und brauchbare Immobilien werden, sofern gut ausgewählt, ihre Attraktivität nicht verlieren – sie könnten sogar davon profitieren. Nicht alles bricht zusammen, wenn einige Illusionen platzen. Man gewinnt ganz im Gegenteil an Scharfsinn und bisweilen auch an Kaufkraft.