Seine Rede beim Zentralbanktreffen in Jackson Hole am 26. August hielt Jerome Powell bewusst kurz. Damit wollte der Vorsitzende der US-Notenbank (Fed) eine direkte und unmissverständliche Botschaft an die Märkte senden. Obwohl der US-Verbraucherpreisindex im Juli nicht so stark gestiegen ist wie erwartet, ist der Fed noch nicht zum Feiern zumute. Ganz im Gegenteil: Powell machte deutlicher denn je, dass die Inflation zuerst auf zwei Prozent gesenkt werden muss. Dass er kein Wort über die Wachstumsrisiken verlor, unterstrich seine Konzentration auf den Kampf gegen die Inflation. Der Kontrast zu seiner Marathonrede in Jackson Hole im vergangenen Jahr könnte nicht größer sein. Im Jahr 2021 nutzte er die jährliche Rede, um ausführlich darzulegen, warum die Fed die Inflation nur als „vorübergehendes“ Phänomen betrachte und es sich daher leisten könne, der Wirtschaft unter die Arme zu greifen. Der diesjährige Tenor seiner Rede überraschte die Märkte, die im Vorfeld vermehrt mit Hinweisen auf einen Fed-Kurswechsel gerechnet und erste Zinssenkungen bereits im kommenden Jahr für möglich gehalten hatten.
Stimmung in USA schlechter als Realität
Zu diesen Erwartungen hatte auch die Euphorie über die nachlassende Gesamtinflation beigetragen, nachdem die Rohstoffpreise zuletzt gesunken waren und sich die Lieferketten etwas entspannt hatten. Durch diese Faktoren allein wird die Inflation jedoch nicht auf den Zielwert der Fed zurückkehren. Die Inlandsinflation durch die Verteuerung von Dienstleistungen und höhere Mietpreise aufgrund des engen Arbeitsmarktes stellen die Notenbank weiterhin vor enorme Probleme. Darüber hinaus haben sich die Wirtschaftsdaten zuletzt verbessert. Durch den Rückgang der Benzinpreise haben sich zudem die Realeinkommen verbessert.
In der Folge sind die Inflationserwartungen der Märkte wieder gestiegen. In den vergangenen Monaten hat sich zwischen den weichen Daten aus Meinungsumfragen und den harten Konjunkturdaten eine Kluft geöffnet, da erstere durchweg deutlich schwächer ausgefallen sind als letztere. In einer ‚Kosten‘-Krise ist es nachvollziehbar, dass die Stimmung der Verbraucher und Unternehmen schlechter ist als die Realität: Wirtschaftsakteure beklagen sich oft – am Ende halten sie aber durch. Die Konjunkturdaten haben zuletzt für positive Überraschungen gesorgt, was aber im aktuellen Krisen-Narrativ der Nachrichtenberichterstattung eher untergegangen ist. In jedem Fall sollten die vielen angestoßenen Konjunkturprogramme dazu führen, dass die harten Daten künftig die verlässlicheren Signale senden werden.
Die Fed konzentriert sich zu Recht auf den engen Arbeitsmarkt und ihre Vertreter bemühen sich permanent darum, den Märkten die für 2023 und darüber hinaus eingepreisten Zinssenkungen auszureden. Wir gehen davon aus, dass die Fed die Zinsen weiter anheben und auf einem höheren Niveau halten wird – und damit asymmetrisch zur wirtschaftlichen Entwicklung agieren wird, indem sie weitere Zinserhöhungen in Aussicht stellt und nicht das Risiko einer baldigen Zinssenkung eingeht. In seiner Rede verwies Powell auf die Lektion der 1970er Jahre, als die US-Notenbank die Zinsen aus Sorge um eine Abschwächung der Wirtschaft zu früh senkte, wodurch die Inflation in einem Boom-Bust-Zyklus außer Kontrolle geriet.
Heute sind die Dinge anders gelagert, aber es gibt auch Parallelen, da die weltweite Mobilität von Arbeit und Kapital abnimmt. Außerdem warnte der Fed-Chef die Märkte, dass der „Dot Plot“, der die Zinsprognosen der Mitglieder des Offenmarktausschusses der US-Notenbank zeigt, bei der nächsten Sitzung im September aktualisiert würde. Das spricht für eine weniger schnelle Zinsstraffung im Jahr 2022 und eine stärkere Nutzung der Zinsstrukturkurve, um die Finanzierungsbedingungen zu straffen. Vor allem aber deutet es auf die Einpreisung eines höheren langfristig neutralen Zinssatzes durch die Märkte hin.
Realitätscheck in Europa
Aus Kreisen der Europäischen Zentralbank (EZB) wird berichtet, dass die Bank bei ihrer nächsten Sitzung eine Zinserhöhung um 75 Basispunkte in Betracht zieht. Das ist ein weiterer Realitätscheck für einen Markt, der sich vor allem mit den Auswirkungen der Energiekrise beschäftigt hat. Angesichts steigender Inflationserwartungen und eines zunehmend angespannten Arbeitsmarktes können die europäischen Währungshüter nicht untätig bleiben und sich auf die Wachstumsrisiken konzentrieren. Die schwachen Währungen, die auf die Verschlechterung der europäischen Zahlungsbilanz zurückzuführen sind, verschärfen das Problem durch eine Verteuerung der Importe, die die Inflation zusätzlich anheizt.
Am Ende dürften die Regierungen die Rechnung bezahlen und die Zentralbanker werden dies berücksichtigen. Die enorme Belastung der Staatshaushalte wird eine Finanzierung dieser Regierungen auf dem aktuellen Renditeniveau unattraktiv machen. Damit gibt es viele Gründe für den schnellen Ausverkauf der vergangenen Wochen, da sich der Druck von den Währungs- zu den Zinsmärkten verlagert hat. Der Markt hat bislang zu zaghafte Erwartungen an die Geldpolitik in Europa eingepreist und sich zu stark auf die Wachstumsrisiken konzentriert. Eine Straffung der Geldpolitik muss eingepreist werden und vor dem Hintergrund eines schwachen Wachstumsausblicks zu erheblich flacheren Zinsstrukturkurven in Europa und Großbritannien führen.
Der jüngste Einbruch der Erdgaspreise in Europa nach einem mehrmonatigen Anstieg könnte die extrem pessimistischen Wachstumserwartungen in Europa widerspiegeln. Die Preisbewegungen waren zu einem erheblichen Teil auf die Auffüllung der Gasspeicher zurückzuführen. Dieser Prozess steht jetzt kurz vor dem Abschluss, sodass die Preise – und Sorgen – wieder etwas nachlassen könnten.
China bleibt Risiko für Weltwirtschaft
Mit seinem schwächelnden Immobilienmarkt und ständigen Lockdowns bleibt China ein Risiko für die Weltwirtschaft. Der dadurch beförderte Rückgang der Rohstoffpreise wirkt sich jedoch positiv auf die globalen Wachstums- und Inflationsaussichten aus, da er den Druck auf die Ressourcen mindert. Klar ist jedoch, dass der Inflationsdruck die in den Jahren vor Ausbruch der Corona-Pandemie zu beobachtende Verbindung zwischen einem schwächeren Wachstum in China und den globalen Zinssätzen gekappt hat.
Eine starke Abwertung des chinesischen Yuan würde den Ausverkauf an den globalen Anleihenmärkten vermutlich stoppen. Die chinesischen Behörden stemmen sich einer Schwächung ihrer Währung aber entgegen. In den letzten Wochen wurden die geldpolitischen Lockerungsmaßnahmen und Konjunkturhilfen verstärkt. Es dürften aber weitere Maßnahmen erforderlich sein, um das Wachstum zu stützen, insbesondere im Hinblick auf den Wohnungsmarkt.
Anhaltend höhere Zinsen und gute Konjunkturdaten für 2022 erwartet
Insgesamt erscheint die vom Markt eingepreiste Lockerung der Finanzierungsbedingungen in den USA, die sich in den Anleihen- und Aktienrallys der letzten Monate widergespiegelt hat, nicht gerechtfertigt. Die Fed wird zweifellos eine harte Linie fahren. Was das für die Märkte bedeutet, hängt jetzt davon ab, ob die erforderliche Eindämmung der Inflation zu einer weichen oder harten Landung der Wirtschaft führt. Eine weiche Landung würde eine Entspannung am Arbeitsmarkt mit einem Rückgang der offenen Stellen ohne zu viele Arbeitsplatzverluste voraussetzen, damit das Lohnwachstum wieder nachlässt.
In diesem Fall dürften Risikoanlagen bereits die Talsohle durchschritten haben und unterbewertete zyklische Anlagewerte von guter Unterstützung profitieren. Falls die Löhne erhöht bleiben sollten, würden deutlich höhere Renditen und niedrigere Aktienkurse erforderlich sein, was zu einem noch stärker rezessionär geprägten Umfeld führen würde. Powells Botschaft wurde von den Märkten laut und deutlich aufgenommen: Am Tag seiner Rede brachen die Aktienkurse ein und die Anleihenrenditen stiegen. Zusammenfassend sehen wir für den Rest des Jahres 2022 zwei wesentliche Themen: eine längere Phase höherer Zinsen und eine längere Serie unerwartet guter Konjunkturdaten.
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