Ströh: „Die agilen Player sind das größte Risiko“

Die Digitalisierung nimmt immer mehr Fahrt auf. Und zwingt Versicherer und Vertriebe zu Veränderungen. Cash. sprach mit Manuel Ströh, Gründer des Insurtechs Mobilversichert, über den Umbruch, die Risiken, Getriebene und Treiber und das Herzstück des modernen Vertriebs.

Manuel Ströh, Mobilversichert

Herr Ströh, wenn wir uns die digitale Transformation im Versicherungs- und Vertriebssektor ansehen – wer ist dort Getriebener und wer Treiber?
Ströh: Versicherer, Vertriebe und Makler stehen von mehreren Seiten unter Druck: Zum einen sind Kunden nicht länger bereit, auf digitalisierte Leistungen und Services zu verzichten, die sie von Amazon & Co gewohnt sind. Zum anderen stellen sich neue Player im Versicherungsmarkt auf, die frei von Altlasten agieren können und zum Teil deutliche Technologievorsprünge nutzen. Wollen die Etablierten mithalten, müssen sie den Transformationsprozess auf allen Ebenen aktiv vorantreiben, und zwar schnell. Wer abwartet, verliert wertvolle Zeit – und Kunden.

Wie steht es um die digitale Infrastruktur der Versicherer? Glauben Sie, dass alle Versicherungsunternehmen hierzulande den digitalen Wandel werden stemmen können?
Ströh: Viele Anbieter haben noch einen weiten Weg vor sich: Noch steht der Kunde nicht im Zentrum der digitalen Infrastruktur. Dabei wissen wir aus anderen Branchen, wie erfolgsrelevant die konsequente Ausrichtung am Kunden und entsprechende digitale Services sind. Positiv formuliert: Wer jetzt die Weichen stellt, kann sich im digitalen Wandel gut positionieren. Nicht immer ist dafür der komplette Umbau der eigenen IT notwendig. Auch über externe digitale Infrastrukturen können Versicherer ihren Kunden volldigitale End-to-End-Prozesse bieten, die diese aus ihrem Alltag kennen und erwarten.

Haben die Versicherer verstanden, worum es bei der Digitalisierung geht? Wer Ihren letzten Gastbeitrag im Cash. Special Versicherung liest, gewinnt den Eindruck, dass nicht wenige Unternehmen Gefahr laufen, den Anschluss zu verlieren.
Ströh: Mein Eindruck ist, dass viele Versicherer die Herausforderungen und Chancen der Digitalisierung durchaus erkannt haben und das Thema auch hoch priorisieren. Allerdings versuchen die meisten, den Umbau aus eigenen Kräften zu bewältigen, statt Kompetenzen zu bündeln und Kooperationen einzugehen. Das verschlingt nicht nur immense Ressourcen, sondern auch Zeit. Das größte Risiko ist nicht die digitale Erneuerung an sich, sondern hinter agileren Anbietern zurückzubleiben.

Auch beim Einsatz künstlicher Intelligenz gibt es Nachholbedarf. Warum schaffen es KI-Anwendungen bei der daten- und informationsgetriebenen Versicherungswirtschaft nicht zur Einsatzreife?
Ströh: Versicherer haben zwar prinzipiell riesige Datenschätze, aber ihre zerklüftete IT-Landschaft macht es ihnen schwer, diese zu heben. Auch bei manchem Mitarbeiter muss erst noch Überzeugungsarbeit geleistet werden. Hier geht ein riesiges Potenzial verloren, nämlich die Möglichkeit, Risiken exakter zu kalkulieren und Prozesse effizienter, einfacher und kundenorientierter aufzusetzen. Eine Lösung können externe Partner sein, die relevante Daten aus Interaktionen mit Kunden und Maklern bereithalten.

Die Versicherer sind ja nur der eine Teil des Marktes. Wie gut steht es um die digitale Infrastruktur des Vertriebs?
Ströh: Wir haben in den vergangenen Jahren eng mit Vermittlern zusammengearbeitet und festgestellt: Hier ist noch viel Luft nach oben. Vor allem, wenn es um das professionelle Management von Kunden- und Vertragsdaten geht. Erst mit einem voll digitalisierten Bestand können Makler aber neue Vertriebspotenziale heben und sich gegenüber Online-Wettbewerbern in Stellung bringen. Vor diesem Hintergrund haben wir unsere Brokertech-Plattform entwickelt. Im Zentrum steht eine smarte digitale Infrastruktur für das Neugeschäft und das aktive Management und die Steuerung des Bestands.

Wo liegen nach Ihren Erfahrungen die großen digitalen Bruchstellen zwischen Versicherungsunternehmen und Vertrieben?
Ströh: Der Transfer von Kunden- und Vertragsdaten ist noch stark ausbaufähig. Vermittler berichten uns immer wieder über den Verwaltungsaufwand und die Fehler, die durch die lückenhafte Bestandsdatenlieferung seitens der Versicherer entstehen. Wollen Makler effizient arbeiten, brauchen sie aber eine medienbruchfreie Kommunikation zum Versicherungsunternehmen – plus die volle Souveränität über die Kundendaten.

Wo sehen Sie die großen digitalen Herausforderungen für die Vermittler und Vertriebe?
Ströh: Ganz klar: die Pflege des Bestands. Das ist auch das Ergebnis einer Maklerbefragung, die wir vor wenigen Monaten beauftragt haben. Für insgesamt 40 Prozent der befragten Vermittler ist der Zeit- und Verwaltungsaufwand bei der Bestandsdatenpflege die größte digitale Hürde. Und rund drei Viertel sind überzeugt, dass eine bessere Datenqualität und ein schnellerer Datentransfer zwischen Versicherern und Maklern ihren Vertriebserfolg steigern würde.

Welche Folgen wird der digitale Umbruch für die kleineren Vertriebe haben?
Ströh: Das kommt darauf an. Natürlich stellt die wachsende Bürokratie gerade die kleinen Player und Einzelkämpfer vor eine Mammutaufgabe. Andererseits stehen sie als persönliche Ansprechpartner beim Kunden auch besonders hoch im Kurs, gerade bei komplexen Versicherungen. Wenn es ihnen jetzt gelingt, ihr Wissen um den Kunden auszubauen und zu digitalisieren, können sie künftig noch effizienter, individueller und gezielter beraten.

Mobilversichert hat Ende Oktober 2019 das Plattform-Modell ausgebaut. Können Sie kurz die zentralen Veränderungen skizzieren? Wen wollen Sie damit ansprechen?
Ströh: Zum einen steht die Mobilversichert-Transaktionsplattform nun auch Versicherern offen, die den Datenaustausch zu Vermittlern optimieren und gemeinsam mit Maklern im Neugeschäft wachsen wollen. Außerdem haben wir für Makler unser Angebot ausgebaut. Sämtliche Leistungen der Mobilversichert-Plattform sind für sie kostenlos. Plus: Wir haben ihnen neue Instrumente an die Hand gegeben – für einen extrem schnellen Datenaustausch mit Versicherern sowie für digitale, automatisierte Vertriebsaktivitäten.

Wie sieht das Feedback aus dem Markt aus? Mit welchen Versicherern arbeiten Sie mittlerweile zusammen?
Ströh: Wir sind auf große Resonanz gestoßen. Von Maklern wird vor allem die neue Lösung für den Datentransfer – der Datenexpress – stark genutzt. Das ermöglicht uns, die Zahl der Datenquellen, auf die Makler zugreifen können, kontinuierlich auszubauen und unser Leistungsspektrum Schritt für Schritt zu erweitern. Auch aufseiten der Versicherer gibt es großes Interesse an der Plattform. Wir sind gerade mit mehreren Playern in Gesprächen und werden voraussichtlich in Kürze erste Plattformpartner vorstellen.

Welche Vorteile bietet das Modell den oben zitierten kleineren Vertrieben?
Ströh: Gerade die kleineren Vertriebe, die wenig Unterstützung im Backoffice haben, profitieren von unseren Plattformangeboten: Mit dem Datenexpress gehört zeitaufwändige, händische Datenpflege für sie der Geschichte an. Zudem können sie mithilfe unseres Vertragsoptimierers sämtliche Verträge im Bereich Komposit automatisiert überprüfen, um Kunden alternativen, passenderen Versicherungsschutz anzubieten. Das eröffnet nicht nur immenses Vertriebspotenzial, sondern auch mehr Zeit für ihre eigentliche Kernkompetenz: die Risikoanalyse und Beratung des Kunden.

Sie sagen, dass die professionelle Datenabholung und Datenaufbereitung zur Stellschraube für den Erfolg im Versicherungsvertrieb wird. Was genau meinen Sie damit?
Ströh: Verlässliche Daten sind das Herzstück des modernen Vertriebs. Das gilt für alle am Vertrag beteiligten Parteien. Makler werden Versicherer in Zukunft danach aussuchen, ob sie mit deren Daten vernünftig arbeiten und Vertriebspotenziale nutzen können. Und für Kunden sind smarte, individualisierte Services längst eine Selbstverständlichkeit. Traditionelle Anbieter brauchen einfach entsprechende Technologien und Datenkompetenzen, wenn sie im digitalen Versicherungsmarkt erfolgreich bleiben wollen. Dabei unterstützen wir sie.

Interview: Jörg Droste, Cash.

Foto: Alexander von Spreti

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