Bislang musst man gar nicht so lange in der Finanzdienstleistungsbranche unterwegs sein, um festzustellen: Das positiv ausgedrückte Wettbewerbsdenken und zuweilen auch persönliche Eitelkeiten sind sehr ausgeprägt. Das scheint sich nun – zumindest punktuell – dank der Digitalisierung zu ändern.
Wer erinnert sich noch an das Thema „Open Architecture“, das besonders im ersten Jahrzehnt dieses Jahrhunderts speziell in der Fondsindustrie als Hoffnungsträger für den Vertrieb in aller Munde war? Also die Möglichkeit, sowohl eigene als auch Fonds der Wettbewerber über eine zentrale Plattform an den Berater oder den Anleger zu bringen. Abgehoben hat das Thema nie so richtig. Entweder aus dem genannten Konkurrenzdenken oder aber schlicht und ergreifend, weil die Zeit noch nicht reif war für eine solche Idee.
Digitalisierung rückt auf der Agenda weiter nach vorne
Das scheint sich nun zu ändern. Schuld daran ist einmal mehr die Digitalisierung. Sie steht zumeist ganz oben auf der Agenda von Unternehmen, die mit der Nachfrage von Beratern und Anlegern, die immer digital-affiner werden, Schritt halten wollen und müssen.
Die Ergebnisse einer aktuellen Studie von Sopra Steria Consulting finde ich durchaus bemerkenswert und deuten auf ein neues und sehr starkes „Wir-Gefühl“ in der Branche hin.
77 Prozent der befragten Banken und Versicherer zeigen sich offen für Kooperationen mit Konkurrenten, 20 Prozent arbeiten bei Plattforminitiativen mit direkten Wettbewerben zusammen, 42 Prozent tun dies mit anderen Finanzdienstleitern.
Viele Unternehmen können sich nicht vorstellen, die Digitalisierung alleine zu leisten
Der Grund: Viele Unternehmen halten die Herausforderungen der Digitalisierung für so komplex, dass sie eine Bewältigung im Alleingang nicht mehr vorstellen können.
Allerdings reicht das Wir-Gefühl offensichtlich nur für die eigene Branche. Zwar können sich 58 Prozent der etablierten Finanzdienstleister eine Kooperation mit oder Beteiligung an einem Fin- oder Insurtech vorstellen.
Eine Kooperation mit den Digitalgiganten GAFA wie Google, Amazon und Co. können sich hingegen nur für 22 Prozent der Befragten eine Option.
Gründung von Gemeinschaftsunternehmen?
Möglicherweise ein Fehler, schließlich verfügen Letztgenannte über einen enormen Datenpool, der sich für die Entwicklung neuer und maßgeschneiderter Produkte nutzen ließe. Vielleicht ist es aber auch einfach noch zu früh für eine Richtungsentscheidung, solange das Engagement der GAFA im Finanzdienstleistungsmarkt noch nicht deutlich erkennbar ist.
Eine weitere Möglichkeit, das neue Wir-Gefühl zu stärken, war offensichtlich nicht Gegenstand der Studie von Sopra Steria Consulting: die Gründung von Gemeinschaftsunternehmen. So geschehen beispielsweise jüngst durch die Realisierung der prov.con GmbH, die von den Analysehäusern Softfair und Morgen & Morgen gemeinsam aus der Taufe gehoben wurde. (fm)
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