Superwahljahr 2024: Was es für Anleger bedeutet, wenn die halbe Welt wählt

Schild mit der Aufschrift "2024 Elections Ahead"
Foto: PantherMedia/jjvallee
Das Superwahljahr 2024 dürfte auch für Anleger zum Thema werden.

Am Samstag wählt Taiwan, es ist der Auftakt zu einem Superwahljahr, das seinesgleichen sucht, auch aus wirtschaftlicher Perspektive. Niall O’Sullivan, Chief Investment Officer bei Neuberger Berman, sagt, was das für Anleger bedeutet.

Umgerechnet auf das Welt-BIP werden in diesem Jahr die Vertreter von rund 50 Prozent der globalen Wirtschaftsleistung an die Wahlurnen gerufen. Den Auftakt macht Taiwan. Hier dürfen am Samstag rund 20 Millionen Wähler ihre Stimme bei den Parlaments- und Präsidentschaftswahlen abgeben. Was das Superwahljahr für Wirtschaft und Investoren bedeuten könnte und in welchen Sektoren besonders mit Unsicherheiten zu rechnen sind, erläutert Niall O’Sullivan, Chief Investment Officer bei Neuberger Berman in seinem Marktkommentar.

Die diesjährigen Wähler repräsentieren etwa die Hälfte des Welt-BIP: Bangladesch und Taiwan machen den Anfang. Die USA, Großbritannien und Ägypten schließen das Superwahljahr ab. Dazwischen liegen Wahlen in Indien, der weltweit größten Demokratie, in Pakistan sowie in Südafrika, wo die seit Langem regierende Partei in einer schleichenden Krise steckt, und in Mexiko mit seinen komplexen Beziehungen zum Nachbarn im Norden. Gewählt wird zudem im Iran, das jetzt im Mittelpunkt der Spannungen im Nahen Osten steht, in Südkorea, der ewigen Front des „neuen alten“ Kalten Krieges, und im Europäischen Parlament, wo die Rechtspopulisten voraussichtlich viele Stimmen hinzugewinnen werden. Sogar in Russland und der Ukraine finden Wahlen statt.

Schon die Länge dieser Liste deutet darauf hin, dass Wahlen heute mehr Einfluss auf die Wirtschaft und die Märkte haben könnten als noch vor 20 oder 30 Jahren. Aus der unipolaren Welt der 1990er-Jahre ist eine mit vielen unterschiedlichen Fronten geworden. Darüber hinaus sind wesentliche und einstmals disinflationäre Kräfte wie der technologische Fortschritt, die demografische Entwicklung, der Welthandel und die Energieerzeugung zunehmend zu politischen Brennpunkten geworden, die wichtige Grundsatzfragen aufwerfen: Wie stark sollten wir die Macht großer Technologieunternehmen eindämmen? Wie bringen wir die wirtschaftlichen Anforderungen von Alt und Jung unter einen Hut? Wie viel Protektionismus und Sicherheit brauchen wir in unseren Lieferketten? Wie schnell können wir unsere Volkswirtschaften dekarbonisieren? Es scheint, dass zumindest bei den letzten drei Themen der Druck steigt.

Was uns vergangene Wahlen verraten


Bislang war die Marktdynamik für die Wertentwicklung an den Märkten wichtiger als Wahlergebnisse. Dennoch gibt es einige Muster, die sich aus vergangenen Urnengängen ableiten lassen. So hat etwa der US-Aktienmarkt seit den 1940ern immer positiv reagiert, wenn die Republikaner sowohl die Präsidentschaft als auch die Mehrheit im Kongress gewonnen haben. Wenn sie nur den Präsidenten stellten, sind die Aktien gefallen. Investoren haben es offenbar lieber, wenn ein demokratischer Präsident mit einem gespaltenen oder von der Gegenpartei dominierten Kongress regieren muss, als wenn in einem solchen Fall die Republikaner das höchste Amt im Staat besetzen.

Zudem waren US-Aktien in US-Wahljahren meist etwas schwächer als im langfristigen Durchschnitt. Diversifikation und defensive Positionierung haben sich in der Regel ausgezahlt. Insgesamt scheint es Investoren nicht so wichtig zu sein, wer die Wahl gewinnt, aber sie mögen keine Unsicherheit und versuchen, ihr aus dem Weg zu gehen. Vor allem nach besonders schwer prognostizierbaren Wahlen folgt üblicherweise eine gute Aktienmarktperformance, weil dann die Unsicherheit ein Ende hat. Dies könnte vor allem gegen Ende des Jahres relevant werden.

Auswirkungen in einzelnen Sektoren spürbar


Oft war es sinnvoller, die Auswirkungen von Wahlen auf einzelne Sektoren und nicht auf die Gesamtwirtschaft zu betrachten. Schließlich gibt es innerhalb des Marktes immer Performanceunterschiede, unabhängig davon, ob er insgesamt steigt oder fällt. Beispielsweise haben Investoren, die bei den US-Wahlen 2016 einen Sieg Clintons erwartet hatten, nach dem Sieg von Trump massenweise Small Caps und Finanzaktien gekauft. Sie gingen offenbar davon aus, dass unter der „America-First-Administration“ schnell Regulierungen aufgehoben, Steuern gesenkt und viel investiert werden würde.

Etwas Ähnliches könnte auch diesmal passieren. Wenn die Republikaner die Gelegenheit bekommen, Regulierungen und Gebührenkontrollen zu lockern, dürften Small Caps etwas aufholen. Auch regionale Banken und Finanzdienstleister für Privatkunden dürften dann profitieren. Elektrofahrzeuge und andere Sektoren, die vom IRA profitiert haben, könnten hingegen unter einer erneuten Trump-Administration leiden; und das, obwohl ein großer Teil der Mittel aus dem IRA-Programm in republikanische oder Swing-Staaten fließt. Anders als bei vielen Wahlen zuvor unterliegt auch der Verteidigungssektor diesmal gewissen Wahlrisiken, etwa weil mit einem Sieg Trumps die Unterstützung für die Ukraine deutlich heruntergefahren werden dürfte.

Kurz gesagt, zeigt die Vergangenheit, dass die meisten Investoren dauerhaft wohl kaum Auswirkungen der Wahlen auf ihre Portfolios erleben dürften. Viele der extremeren Verschwörungstheorien über Stimmenkäufe und politisierte Zentralbanken lassen sich ignorieren. Dennoch dürften die Wahlen auf Sektor- und Staatenebene deutlich Spuren hinterlassen. Chancen ergeben sich vor allem, wenn sich bestehende Unsicherheiten vor den Wahlen auflösen – dann sollten Investoren für den „Run“ gewappnet sein.

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