Technologienahe Aktien haben das letzte Jahrzehnt an der Börse extrem dominiert – sowohl in der Marktkapitalisierung wie auch bei der Wertentwicklung. Der US-Technologie-Index NASDAQ 100 markierte einen Rekordstand nach dem nächsten. Doch Ende 2021 war es damit vorbei. Die Rahmenbedingungen für den Sektor haben sich deutlich verschlechtert. Allen voran ist die Zinswende als Grund zu nennen. Die Notenbanken in den USA und auch in Europa haben 2022 begonnen, die Leitzinsen kräftig anzuheben. Sie wollen damit der hohen Inflation entgegentreten. Technologietitel sind davon doppelt betroffen, denn zum einen sind sie ein zyklischer Sektor. Das bedeutet, dass sie unter einer wirtschaftlichen Abschwächung – als Folge der höheren Zinsen, aber auch des Krieges und der Energiekrise – leiden. Zum anderen sind Teile des Technologiesektors besonders zinssensitiv. Höhere Zinsen bedeuten, dass Gewinne, die weit in der Zukunft anfallen, heute weniger wert sind. Das betrifft vor allem junge, wachstumsstarke Unternehmen, also ein Segment, in dem die Technologiebranche überrepräsentiert ist. Deren Bewertungen sind daraufhin auch deutlich gefallen.
Aufgrund der hohen Teuerung wird das verfügbare Einkommen bei den Verbrauchern knapp. Dann kaufen sie kein neues Smartphone und keine neue Spielekonsole mehr. Und wenn ein Unternehmen sparen muss, kürzt es die IT-Budgets, ersetzt den Server oder die PCs vielleicht erst ein Jahr später und konsolidiert die Softwaresysteme. Hinzu kommt, dass eine Vielzahl von Technologie-Werten besonders stark von den Auswirkungen der Pandemie profitiert hat, da sich die Menschen erst einmal mit Notebooks, Webcams und Videokonferenz-Software ausstatten mussten, mehr Streaming-Dienste in Anspruch nahmen, online eingekauft und digital bezahlt haben. Das muss sich jetzt erst einmal normalisieren. Der Markt für viele Hardwareprodukte ist gesättigt und die Lagerbestände sind hoch. Das spüren die Hersteller wie HP, Intel oder Logitech deutlich.
Deglobalisierung belastet
Darüber hinaus haben die Technologie-Unternehmen die Globalisierung auf die Spitze getrieben und massiv von der damit verbundenen Arbeitsteilung profitiert. Apple entwickelt in den USA, lässt größtenteils in China produzieren und verkauft weltweit. Der derzeitige Trend zu mehr Regionalisierung ist vor allem durch die geopolitischen Unruhen getrieben und belastet entsprechend. Denn mit dem Trend zur De-globalisierung rückt die Absicherung von Lieferketten für die nationale Sicherheit mehr in den Mittelpunkt. Dabei müssen strategisch wichtige Lieferwege restrukturiert werden. Die USA wollen etwa die Bezugsquellen von Computerchips, Batterien und kritischen Mineralen im eigenen Land oder in befreundeten Regionen ansiedeln. Die Produktionskosten der Unternehmen dürften dadurch steigen. Immerhin: Die US-Regierung unterstützt diesen Umbau mit Investitionsanreizen von knapp 1,3 Billionen US-Dollar, die zusätzlich zur Absicherung von Lieferketten bei strategisch bedeutenden Vorprodukten auch die klassische Infrastruktur und die Energiewende vorantreiben sollen.
Diese Belastungsfaktoren dürften den Sektor auch noch eine Weile begleiten. So kam es auch zur „Verschnaufpause“ der Technologie-Titel an der Börse. Doch schon zu Jahresbeginn gab es bereits eine Aufholbewegung an der Börse. Der NASDAQ 100-Index hat bereits in diesem Jahr knapp 15 Prozent zugelegt.
Gründe dafür sind sicherlich in der vorsichtigen Positionierung der Anleger zu Jahresbeginn aber auch in den Ergebnissen der Berichtssaison zum vierten Quartal 2022 zu finden. Die meisten Technologieunternehmen haben Kostensenkungsprogramme initiiert und wollen effizienter wirtschaften – das scheint die Anleger zu überzeugen. Dies geschieht bei den Tech-Konzernen vor allem über Personalabbau. Amazon, Microsoft und Google wollen insgesamt 40.000 Mitarbeiter entlassen. Die Technologie-Unternehmen haben während der Corona-Pandemie massenhaft Mitarbeiter eingestellt, nun wird der Personalbestand verkleinert. Auch die Facebook-Mutter Meta erklärte das Jahr 2023 zum Jahr der Effizienz und will die Kosten um fünf Milliarden US-Dollar reduzieren. Zwar fielen die Berichte insgesamt gemischt aus. Relativ betrachtet bleiben die Zahlen im Technologiesektor jedoch besser als jene von Unternehmen aus anderen Sektoren.
Darüber hinaus dürfen wir nicht vergessen: Die übergeordneten Megatrends wie Elektrifizierung, Digitalisierung und Künstliche Intelligenz (KI) sind intakt und werden die nächsten Jahrzehnte bestimmen – das spielt den Technologiewerten in die Karten. Aber der Sektor in sich ist sehr heterogen: Software, Hardware, Halbleiter, Services, Internet – jeder Bereich hat andere Wachstumstreiber. Das sollten auch die Investoren berücksichtigen.
Vorsicht bei Hardwareherstellern
Vorsichtig sind wir derzeit bei Hardwareherstellern mit hohem Exposure zu PCs, Smartphones, Konsumelektronik. Zudem halten wir uns noch zurück im Segment der schnell wachsenden Softwareunternehmen aus dem Cloud-Umfeld. Diese Unternehmen sind zum größten Teil nicht profitabel und daher von der Bewertung schwer zu greifen. Zudem haben sie oft nutzungsabhängige Umsatzmodelle, leiden also unter einem sich abschwächenden wirtschaftlichen Umfeld.
Chancen bei Software- und Halbleiter-Firmen
Chancen sehen wir bei eher traditionellen Software-Anbietern, die einen hohen Anteil an wiederkehrenden Umsätzen haben, moderat bewertet sind, und deren Produkte für die Kunden geschäftskritisch sind. Wenn ein Unternehmen die Software von Marktführern wie SAP, Oracle oder Microsoft installiert hat, kann es diese nicht einfach abschalten oder zu einem vermeintlich günstigeren Anbieter wechseln.
Besonders interessant für Anleger wird in diesem Jahr auch die Halbleiter-Branche. Zykliker, funktionieren in beide Richtungen. Sollte sich das konjunkturelle Bild wieder aufhellen und sind die Lagerbestände bereinigt, bietet sich hier Kurspotenzial. Langfristig profitiert diese Industrie überdurchschnittlich von strukturellen Trends. Man könnte die Halbleiter auch als Schaufeln im Goldrausch bezeichnen. Nehmen wir als Beispiel KI – hier ist ohne immer leistungsstärkere Prozessoren kein technologischer Fortschritt möglich. Welchen Stellenwert KI in Zukunft einnehmen wird und wozu sie jetzt schon fähig ist, zeigt der Hype um ChatGPT. Dieser hat die Schlagzeilen der vergangenen Wochen bestimmt.
Der Chatbot ChatGPT kann kommunizieren. Damit kann er nicht nur Essays für Studenten verfassen und rüttelt damit die ganze Lehrbranche auf, sondern hat auch noch vor wenigen Wochen die Zulassungsprüfung für US-amerikanische Ärzte bestanden. KI wird künftig bei allen Unternehmen eine Rolle spielen (müssen), wenn sie im Wettbewerb bestehen wollen. Eine teure Kundenhotline kann sich keiner mehr leisten, wenn die KI einen ebenso guten Job macht. Sicherlich wird dies noch einige Zeit in Anspruch nehmen, aber dass dies passieren wird, daran habe ich keinen Zweifel.
Die Zehn-Milliarden-US-Dollar-Beteiligung von Microsoft an OpenAI, dem Entwickler dieser Chatbot-Anwendung, macht zudem deutlich, dass auch beim Thema KI die Technologie-Flaggschiffe eine führende Rolle spielen werden. Diese haben einen riesigen Vorsprung, was das Sammeln und die Analyse großer Datenmengen angeht, die Grundlage für alle selbstlernenden Systeme. Denn je strukturierter und vielschichtiger die Daten sind, mit denen die KI gefüttert wird, umso besser werden die Ergebnisse. Es ist klar: Das „Beste aller Welten“-Umfeld für Technologie-Aktien scheint erst einmal vorbei zu sein, dennoch bieten viele Firmen gerade nach der Bewertungskorrektur im Jahr 2022 einiges an Aufholpotenzial. Sie sind weiterhin hochprofitabel, reagieren auf schwächeres Wachstum mit Kostensenkungsprogrammen, haben eine starke Marktposition und profitieren langfristig von den großen Zukunftsthemen.
Autor Markus Golinski ist Aktien-Portfoliomanager und Technologie-Analyst bei Union Investment.