Selbst von den eigenen Schöpfern wird sie geschmäht. „Nicht zufriedenstellend“ nennt die SPD die Leistungen der Riesterrente, die sie vor knapp zwanzig Jahren aus der Taufe gehoben hatte, in ihrem Programm für die Bundestagswahl. Die Grünen, damals Juniorpartner der Regierung Schröder, bezeichnen sie in ihrem Programmentwurf gar als „völligen Fehlschlag“.
Wie die missratene Schöpfung auf Spur gebracht werden könnte? Die SPD will „bürokratische Hemmnisse abbauen und Kosten senken“ und setzt ansonsten auf ein neues Standardprodukt. Die Grünen plädieren für einen „Bürgerfonds“. Die CDU, deren Programm den Begriff „Riester“ konsequent meidet, will einen „Neustart bei der privaten Vorsorge“.
Egal wer ab Herbst das Land regieren wird: Es ist kein politischer Wille zu spüren, der siechen Riesterrente neues Leben einzuhauchen. So ist für das schlimmste Leiden der Riesterrente keine Heilung in Sicht: Die schwache Rendite. Produkte mit Beitragsgarantie müssen hauptsächlich in Anleihen mit hoher Bonität anlegen – die auch in Zukunft so gut wie keine Rendite einbringen dürften. Ab kommendem Jahr sinkt deshalb der Garantiezins auf 0,25 Prozent – das ist zum Leben zu wenig. Doch einfach sterben kann die Riester-Rente nicht – dafür war sie in den letzten Jahren zu erfolgreich. Heute gibt es über 16 Millionen Verträge.
Sechzehn Millionen Zombies
Die werden noch jahrzehntelang als Untote dahinvegetieren. Die Förderungen werden wohl weiter gewährt, doch spätestens nach der anstehenden Höchstrechnungszinssenkung auf 0,25 Prozent dürften sich Anbieter großflächig aus diesem Geschäftsfeld zurückziehen.
So können Riesterkunden bestenfalls darauf hoffen, dass sie ihre bislang angesparten Beiträge irgendwann einmal in ein neues und besseres Produkt steuer- und kostenneutral überführen können. Das ist eigentlich das mindeste, was der Gesetzgeber den Riester-Sparern zugestehen müsste.
Doch wann (und ob) eine Lösung kommt, wissen nicht einmal die Parteien, die anscheinend planlos in die nächste Legislaturperiode stolpern.
Um nicht weitere Jahre für die Altersvorsorge zu vergeuden, sollten Riesterkunden ihren Vertrag möglichst bald schonungslos prüfen und dann eine Entscheidung treffen, sofern keine Lösung vom Gesetzgeber kommt. Weitermachen, einfrieren oder die Reißleine ziehen?
Die Berechnung, wie viel Rente ein Riestervertrag am Ende bringt, ist nicht trivial. Kaum ein Sparer dürfte in der Lage sein, im komplexen Drei-Schichten-Modell zu beurteilen, welche Form der staatlichen Förderung für ihn die sinnvollste ist.
Orientierung gibt eine im September veröffentlichte Studie des Deutschen Instituts für Altersvorsorge in wissenschaftlicher Kooperation mit dem V.E.R.S. Leipzig und im Auftrag von myPension, die erstmals die vier unterschiedlichen staatlich geförderten Altersvorsorgelösungen miteinander vergleicht und dabei verschiedene Kundentypen und ökonomische Szenarien berücksichtigt.
Das Ergebnis ist glasklar: In der aktuellen Ausprägung ist die Riesterrente nur für Familien mit geringem Einkommen sinnvoll. Allen anderen Musterkunden muss man ehrlicherweise von der Riester-Rente abraten. In allen betrachteten Szenarien bringen private Altersvorsorgelösungen bessere Ergebnisse.
Was tun mit dem Riester-Vertrag?
Eine einfache Standardempfehlung für alle Riester-Sparer gibt es leider nicht. Bei jeder der unterschiedlichen Formen von Riester-Produkten muss man genau hinschauen. So spielen Riester-Banksparpläne angesichts fallender Zinsen seit Jahren eine immer marginale Rolle. Bei Riester-Bausparverträgen stellt sich ohnehin die Sinnfrage in einem Markt, in dem langfristige Finanzierungen sehr günstig zu bekommen sind. Bei beiden Produkten ist die Verzinsung nahe null, und der Rat an den Sparer lautet ähnlich. Sofern er 55 oder älter ist, hat er sowieso keine Wechselmöglichkeit mehr.
Also: aussitzen und gegebenfalls noch darüber nachdenken, ob man weiterhin Beiträge einzahlt oder nicht doch eine bessere Investitionsmöglichkeit dafür findet. Das sollte von der Höhe der Förderung abhängig gemacht werden. Für Geringverdiener mit niedrigem Beitrag und hohen Zulagen kann der Riestervertrag trotz allem attraktiv sein, sie sollten die Förderung mitnehmen.
Alle anderen dagegen sollten überlegen, ihren Riester-Banksparplan oder -Bausparvertrag beitragsfrei zu stellen und die Sparraten in lohnendere Anlagen zu packen – je nach Risikoneigung zum Beispiel in einen ETF-Sparplan oder eine ETF-Police. Ein sehr junger Sparer mit normalem bis ordentlichem Einkommen sollte sogar erwägen, den Vertrag zu kündigen. Erhaltene Zulagen und Steuervorteile muss er dann zurückzahlen, Erträge gegebenenfalls versteuern. Aber über die vielen Jahre, die ihm noch bleiben, hat er gute Chancen, mit den zurückerhaltenen Beiträgen erheblich bessere Erträge zu erzielen.
Auch die klassischen Riester-Rentenversicherungen bieten kaum noch nennenswerte Renditechancen. Die Branche ersetzt sie deshalb nach und nach durch neue Lösungen, die aber nicht unbedingt attraktiver sind. Lediglich die älteren Riesterpolicen mit einem hohen Höchstrechnungszins (zum Beispiel 3,25 Prozent oder 2,75 Prozent) könnten für konservative Sparer Sinn machen.
Für jüngere Kunden mit langer Laufzeit und Verträgen mit niedrigerem Rechnungszins ist eine klassische Riester-Rentenversicherung nach Kosten und nachgelagerter Besteuerung dagegen kaum noch interessant. Auch hier bietet sich eine Beitragsfreistellung und die Investition der Sparraten in bessere Lösungen wie ETF-Policen an – womöglich sogar die Kündigung.
Abschlussdatum spielt eine Rolle
Das Abschlussdatum spielt bei fondsgebundenen Riester-Versicherungen eine noch entscheidendere Rolle. Vor 2012 abgeschlossene Verträge mit einen Höchstrechnungszins von mindestens 2,25 Prozent haben eine höhere Aktienquote und könnten damit noch gewisse Renditechancen bieten. Alle anderen sollte man anhand der genannten Kriterien kritisch prüfen. Doch auch ein hoher Höchstrechnungszins bei einer fondsgebundenen Riester-Versicherung garantiert nicht zwangsläufig akzeptable Aktienquoten. Bei manchen Anbietern dürfte der Corona-Crash dazu geführt haben, dass vorhandene Aktienquoten im Vertrag massiv reduziert wurden – und das womöglich unwiderruflich. Sparer sollten deshalb in ihrer Jahresmitteilung genau überprüfen, wie hoch der Aktienanteil in ihrem Vertrag noch ist. Bei noch langer Laufzeit und hohem Höchstrechnungszins können sich zwar auch Verträge, die nach dem Corona-Crash ihre Aktienquote reduzieren mussten, noch erholen. Das ist für Laien aber kaum zu beurteilen. Hier sollte man sich Rat von Experten holen.
Riester-Fondssparpläne weisen teils sehr unterschiedliche Aktienquoten auf. Finanztest hat kürzlich untersucht, wie hoch sie bei den drei relevanten Anbietern am Markt sind. Anhand der Leserzuschriften war zu erkennen, dass DWS und Deka ihren Sparern oftmals nur noch sehr geringe Aktienquoten bieten. Im Gegensatz zu Union Investment, die ihren Sparern oftmals hohe Quoten bieten kann. Hinzu kommt, dass die Union eine – für den Kunden positive – „Zwangsaktienquote“ von mindestens 40 Prozent bei Laufzeiten oberhalb von 25 Jahren eingeführt hat. Für Geringverdiener mit hohen Zulagen lohnt sich daher ein solcher Vertrag besonders.
Klar ist aber auch, dass der nächste Crash im schlechtesten Fall die 40-Prozent-Aktienquote jüngerer Sparer schnell wieder zunichtemachen kann. Ansonsten gilt für Fondssparpläne ähnliches wie oben beschrieben: Insbesondere Sparer mit noch langer Restlaufzeit und homöopatischen Aktienquoten im Vertrag sollten überlegen, sich eine Alternative für die aktuell laufenden Beiträge zu suchen – oder sogar einen Schlussstrich ziehen. Auch weil bei Riester-Fondssparplänen ein zusätzliches Risiko hinzukommt: Die Garantieabsicherung erfolgt über langlaufende Staatsanleihen. Sollten tatsächlich die Zinsen anziehen, kann es zu hohen Kursverlusten bei Rentenpapieren mit langer Duration kommen.
Dringlicher denn je
Die demografischen Entwicklungen und das Marktumfeld machen es dringlicher denn je, dass sich jeder Einzelne ernsthaft Gedanken um seine Absicherung im Alter macht. Dass man sich hier nicht auf den Staat verlassen sollte, zeigt gerade die Riesterrente überdeutlich. Sie ist ein Beispiel dafür, wie unnötig komplex und ineffizient der Staat die Altersvorsorge in Deutschland fördert. Das macht auch wenig Hoffnung für mögliche neue staatliche Lösungen, die noch kommen mögen. Wer einen Riester-Vertrag hat, sollte ihn jetzt kritisch unter die Lupe nehmen und sich – falls angebracht – nach besseren Vorsorgeangeboten umschauen.
Der Autor Alberto del Pozo ist Geschäftsführer der myPension Altersvorsorge GmbH