Transformation in der Versicherungsbranche: Hybrid, aber glücklich

Dr. Matthias Wald, Swiss Life
Foto: Aaron Leithaeuser
Dr. Matthias Wald, Swiss Life: „Im Vordergrund steht die Angebots- und Vergleichssoftware.“

Eine „Mensch-Maschine – Halb Wesen und halb Ding” besang die Band Kraftwerk in „Die Mensch-Maschine“ anno 1978. Die digitale Transformation schreitet voran und prägt auch in der Assekuranz die Beziehung zwischen Versicherern und Vermittlern. Zu Beratungsrobotern werden die Vermittler aber nicht. Wie läuft die Beziehung dann?

Die Zurich spricht nicht nur von der Beziehung zwischen Versicherer und Vermittler, sondern auch zwischen Kunde und Vermittler sowie Kunde und Versicherer – ein Beziehungsdreieck. Wo immer in diesem Dreieck etwas passiere, sollten allen Beteiligten direkt alle relevanten Informationen als 360-Grad-Sicht vorliegen. Diesem Anspruch müssten vermittlerbezogene Systeme, Datenversorgungen und Prozesse genügen und dahin entwickelt werden. „Prozesse sind die neue Währung”, sagt Frank Kettnaker, Vertriebsvorstand ALH Gruppe. Nicht nur bei den Tools, sondern auch bei Schnittstellen zu Drittsystemen. Die ALH biete ihren Vertriebspartnern in allen Sparten viele digitale Tools, für die Unterstützung im gesamten Prozess, ebenso spezielle Rechner, Tarifsoftware sowie Vorschlags- und Angebotsgeneratoren.

Auch bei der Axa könne heute jeder Vertrag mittels digitaler Signatur papierlos digital abgeschlossen werden, über das jeweilige Endgerät des Kunden. Zahlreiche Vertriebspartner verlegten immer mehr Geschäft über das Vertriebsportal von offline nach online. Die Nürnberger unterstütze den elektronischen Antragsprozess durch verschiedene Tools, wie digitale Unterschriftsprozesse via Smartphone, ein automatisch generiertes Beratungsprotokoll oder die integrierte Plausibilitätsprüfung bei Gesundheitsfragen. In vielen Fällen sei das Prüfergebnis sofort beim Kunden vor Ort abschließbar. Laut R+V sind Prozesse und Systeme heute mehr denn je „end-to-end“ zu denken. Daher beziehe man für neue Unterstützungstools immer möglichst viele Perspektiven (Vertriebspartner, Kunden, vertriebsnahe beziehungsweise -unterstützende Einheiten) sowie die Marktentwicklungen ein. Perfekte Prozesse laut den Vermittlerwünschen definieren die Versicherer als vollständig digitalisiert und papierlos, mit umfassender und reibungsloser digitaler Unterstützung bei Beratung, Antrag- und Verwaltung – von Erstberatung über eSignatur bis zur langfristigen Kundenbetreuung sowie schneller Antragsbearbeitung und Policierung. Die R+V beobachte im Vertrieb eine zunehmende Professionalisierung. Eine durchgängige digitale Prozessunterstützung sei heute teilweise schon ein „Hygienefaktor”: Vertriebstools müssten einfach und intuitiv sein und auch im Zusammenspiel mit dem Kunden funktionieren.

Damit Prozesse entsprechend geschmiert laufen, braucht es – wie schon anklang – definierte Schnittstellen. Laut ALH wollen Vermittler bei der Kundenschnittstelle sämtliche Anwendungsfälle entlang der Wertschöpfungskette „bedienen“ und dafür alle Daten, Informationen und Dokumente im eigenen System abbilden können. Die ALH Gruppe setze dabei vor allem auf normierte und skalierbare Schnittstellen und sei, vor allem beim Firmenkundengeschäft, bereits sehr gut aufgestellt. Gleichzeitig entwickle man die Portfolios stetig weiter und sei beispielsweise auch dem BiPRO-Hub beigetreten. Auch bei der Nürnberger habe BiPRO einen hohen Stellenwert, als Hilfe zur einheitlichen Datenübertragung mit dem Vermittler. Die R+V biete ihren Maklern für Versicherungschecks und Vertragsoptimierungen ein modernes Maklerportal mit allen gängigen BiPRO-Normen zur Anbindung an Maklerverwaltungs- und Vergleicher-Software. Was wünschen Vermittler noch? „Im Vordergrund steht die Angebots- und Vergleichs-Software, die passgenaue Lösungen für die individuellen Bedürfnisse der Kundinnen und Kunden bietet”, so Dr. Matthias Wald, Leiter Vertrieb bei Swiss Life Deutschland. Hinzu kämen Kundenbetreuungstools für die Zeit zwischen den Beratungsterminen.

Laut Axa wollen die Vertriebspartner in erster Linie schnell und verlässlich an Informationen kommen. Genau hier schafften digitale Angebote sinnvolle Mehrwerte. Für R+V und Zurich steht bei den Vermittlern die Unterstützung im Agenturalltag mit performanten Beratungs- und Verkaufsfunktionen im Mittelpunkt, mit einer 360-Grad-Kundensicht, damit anhand der Kundendaten die relevanten Themen für die aktuelle Lebenssituation direkt ersichtlich seien. R+V nennt noch Servicefunktionalitäten in gleicher Güte, zum Beispiel für Schadenmeldung und -tracking. Bei der ALH forderten Vermittler auch verstärkt digitale Zielgruppenlösungen (alternative Zahlungsmethoden oder Authentifizierungsmöglichkeiten; Mehrsprachigkeit bei Angebot, Abschluss und Beratung). Den Vermittlern der Nürnberger sei bei aller digitalen Unterstützung für besondere Fragen der persönliche Kontakt zum Serviceteam des Versicherers nach wie vor sehr wichtig.

Was bieten die Häuser noch? R+V, Swiss Life und Zurich nennen Customer Relationship Managementsysteme (CRM). Die Zurich biete dies ihrem Exklusivvertrieb, die R+V dem Außendienst und den Generalagenten für effiziente Vertriebsprozesse entlang des Sales-Funnels und der Orchestrierung der Vertriebskanäle. Für Vermittler habe die Zurich ein Tool zur digitalen Terminvereinbarung. Wie auch Nürnberger und ALH legt die Zurich einen Fokus auf die Altersvorsorge mit einem Beratungstool für private und betriebliche Altersvorsorge (bAV). Mit dem Nürnberger bAV-Berater (XEMPUS advisor) werde die bAV digitaler bei Beratung und Berechnung. Wegen des vergleichsweise hohen Beratungs- und Verwaltungsaufwands von bAV und betrieblicher Krankenversicherung (bkV), böten die Alte Leipziger Lebensversicherung (zusammen mit ePension) und die Hallesche Krankenversicherung beispielsweise eigene Firmenportale. Zudem kooperiere man immer mehr mit digitalen Plattformanbietern wie wayly und Xempus. So sei man seit Herbst nicht nur in der bKV, sondern auch in der bAV an Xempus angebunden, alle Prozesse könnten darüber voll digital ablaufen. Besonders wichtig sei auch eine möglichst einfache, digitale Risikoprüfung mit passenden Tools. Dafür gebe es in der Lebensversicherung mit e-Votum ein Tool zur unkomplizierten Überprüfung von Vorerkrankungen bereits vor Antragsstellung, wodurch der Neuantrag schneller policiert werden könne. Auch die Krankenversicherung habe ein digitales Tool zum Risikocheck. Zudem könnten Berater mit den Online-Beratungssoftwares E@sy Web Leben und E@sy Web Sach individuelle Vorschläge plus Antrag erstellen. Die Hallesche Krankenversicherung biete darüber hinaus Vermittlern die Möglichkeit, individualisierte, personalisierte Abschlusslinks zu generieren, für deren Website oder für Kampagnen und Aktionen. Seit Anfang 2022 gebe es zudem einen Videogenerator für personalisierte Videokommunikation. Die Nürnberger entwickle ihre hauseigenen Verkaufssysteme (BT4all, My Komposit BT…) stetig weiter, um immer mehr elektronisch und langfristig dunkel zu verarbeiten. Mit dem Tool digidor könnten Vermittler fertige Kampagnen mit wenigen Klicks personalisieren und online veröffentlichen oder versenden. „Im Banken-Umfeld fokussieren wir uns aktuell auf Terminierungs- und Überleitungsfunktionen, um Kunden, Bankberater und Servicecenter technisch und prozessual mit dem R+V-Außendienst und der Direktberatung zu verbinden und gestalten damit neue, einfache und transparente Beratungsprozesse”, erläutert Laura Selbach, Gruppenleiterin Vertriebstechnologie Banken bei R+V. Axa und Swiss Life nennen überdies noch digitale Aus- und Weiterbildungsangebote.

Für gemischte Gefühle sorgt ChatGPT. Die Nürnberger sei mit einer DSGVO-konform betriebenen ChatGPT-Version gerade im Pilotbetrieb. Auch Vertriebler testeten als Pilotanwender, wie diese sie im Tagesgeschäft unterstützen könne. Grundsätzlich nutze man KI zur Persönlichkeitsentwicklung von Vermittlern bei Vertriebstrainings. Verschiedene Anwendungsfälle erprobe aktuell auch R+V. Im Vertrieb sei ChatGPT eine Möglichkeit für den Einsatz von KI. Es gebe bereits KI-basierte Impulse zur Kundenansprache. Man wolle diese künftig in der Live-Beratung von Kunden einsetzen, um Kunden- oder Beratereingaben in Echtzeit anpassen zu können. Swiss Life nutze Chatbots und digitale Tool beispielsweise im Kundenservice. Kunden wünschten aber nach wie vor das persönliche Gespräch – gerne digital, aber persönlich. Diese Einschätzung teilen Axa und Zurich. Bei der Zurich beschäftige man sich mit ChatGPT, da es ermögliche, besser mit Kunden und Mitarbeitern per Chat zu kommunizieren. ChatGPT könne Direktkanäle gut ergänzen und helfen, komplexe Themen einfach aufzubereiten. Da es bei Versicherungen aber auch um Empathie, Vertrauen und den Menschen gehe, seien zumindest bei komplexen Produkten Menschen weiter im Lead, mit möglicher Unterstützung durch GPT-Modelle. „Allerdings hat ChatGPT auch noch große Limitierungen. Die Ergebnisse sind zum Teil willkürlich, nicht erklärbar und werden teilweise vom Bot erfunden. Gleichzeitig werden Quellen nicht kenntlich gemacht”, so Kai Müller, Bereichsvorstand Exklusivpartner und Maklervertrieb bei der Zurich Gruppe Deutschland. Daher sehe man von einem produktiven Einsatz über den derzeitigen Protoyp hinaus aus Datenschutz-, urheberrechtlichen und ethischen Gründen zunächst ab. Auch sei zu klären, ob Open AI den EU-Act und die EU-DSGVO erfülle. Laut Axa sind mit ChatGPT generierte Aussagen aktuell nicht zuverlässig. Man nutze ChatGPT daher weder an der Kundenschnittstelle noch auf Axa-Endgeräten. KI könne künftig zum Beispiel in Kreativprozessen die Mitarbeiter davor bewahren, lange „vorm weißen Blatt Papier zu sitzen” und erste Impulse liefern, um Zeit für wertschöpfende Tätigkeiten zu gewinnen. „Der persönliche Kontakt und die persönliche Beratung werden aufgrund der unzuverlässigen durch ChatGPT generierten Inhalte aktuell eher noch verstärkt. Für uns bei Axa ist und bleibt Versicherung ein Vertrauensthema, bei dem der persönliche Kontakt eine entscheidende Rolle spielt”. Auch die ALH Gruppe setze Chat GPT wegen der fehlerhaften Inhalte und der Datenschutzproblematik derzeit nicht ein. Man beschäftige sich lediglich mit möglichen Anwendungsfällen mit der ChatGPT zugrunde liegenden Technologie.

Ein gelungenes Zusammenspiel mit digitalen Services ist für die Vermittler eine persönliche Beratung, unterstützt durch digitale Services, rechtssicher, mit nur einmal erforderlicher Dateneingabe, freier Wahl des Kunden bei Zeitpunkt, Kanal und Endgerät und der Möglichkeit von Onlineabschlüssen. Die digitale Transformation führte wohl nicht zur Beziehungskrise zwischen Versicherern und Vermittlern, denn mehr Kundenorientiertheit und Effizienz bringt allen was. Die Axa erlebe durch die Digitalisierung durchweg positive Veränderungen in der Beziehung zu ihren Vermittlern. Schon der Erfahrungsaustausch zu digitalen Angeboten und Lösungen verbinde. Wald von Swiss Life sagt: „Wir werden schlicht noch besser, was sich auch in unseren Geschäftszahlen zeigt”.

Die ALH stelle dagegen keine Veränderung in der Beziehung fest. Vermittler würden Präsenzveranstaltungen strenger selektieren, dennoch behielten diese ihre Daseinsberechtigung. Man habe spezielle Vertriebseinheiten für die digitale Unterstützung gegründet. Die „Digitale Services”, hätten auch ressortübergreifende Arbeitsgruppen wie eine BiPRO Task Force. „Die Nähe zum Vertrieb ist hier wichtig und nützlich, um die tatsächlichen Problempunkte der Vermittler zu verstehen und diese bestmöglich zu lösen”, so Kettnaker. Auch die Nürnberger wolle ihren Vermittlern das richtige „Handwerkszeug” für verschiedene Kundensituationen bieten, damit sich diese bestmöglich auf die persönliche Beratung konzentrieren könnten. Marcus Eppinger, Bereichsleiter Vertriebssteuerung und Technologie bei R+V, sagt aber: „Das omnikanale Angebot bietet enorme Chancen und Potenziale, ist aber auch deutlich komplexer als die Welt, mit der unsere Vertriebspartner noch vor zehn Jahren konfrontiert waren“. Daher unterstütze R+V mit vielen Schulungs- und Austauschformaten wie Omnikanal-Wochen mit best-practices. Denn die Vertriebspartner seien und blieben der Schlüssel zum Erfolg. Laut Zurich eröffnet die zunehmende Digitalisierung neue Chancen, Anforderungen würden schneller umgesetzt und die Zyklen von Updates könnten verkürzt werden. „Dazu wächst aber auch das Bewusstsein, dass die Digitalisierung nicht nur schnellere und intelligente IT-Lösungen mit sich bringt, sondern auch die Sicherheit von Daten und Systemen in dieser vernetzten Welt eine immer wichtigere Rolle spielen und dieses sichergestellt werden muss”, so Müller. Mensch-Maschine: es passt, solange der Mensch führend bleibt.

Autorin Silvia Fischer ist Diplom-Betriebswirtin und Journalistin (FJS).

Weitere Artikel
Abonnieren
Benachrichtige mich bei
0 Comments
Inline Feedbacks
View all comments