Über die nahende Rezession wird viel gesprochen und geschrieben, aber viele Finanzmarktteilnehmer scheinen nicht so recht daran zu glauben. Offenbar regiert das Prinzip Hoffnung – so schlimm wird es schon nicht werden. Entsprechend optimistisch ist der weit verbreitete Ausblick für die Aktienmärkte: Nach ein paar erneuten Rücksetzern geht es schon bald wieder aufwärts. So wünschenswert diese Aussicht nach dem schlimmen 1. Halbjahr an den Finanzmärkten auch ist – es dürfte anders kommen. Der Grund für diese Prognose ist wie so oft unser Konjunkturausblick: Wir können derzeit gar nicht anders, als sowohl für die USA als auch für die Eurozone eine langanhaltende Rezession zu prognostizieren. Unsere weit vorauslaufenden Frühindikatoren lassen uns in dieser Hinsicht wenig Interpretationsspielraum. Sie sind allesamt steil nach unten gerichtet und deuten auf eine Durststrecke hin, die sich bis Ende 2023 hinzieht – mit heftigen Folgen für die Finanzmärkte.
In den USA stützt zwar derzeit noch der Konsum die Wirtschaft, aber mittelfristig sind dort die Aussichten sehr trübe. Drei Gründe sprechen dafür, dass die Wirtschaft deutlich an Fahrt verlieren und in eine Rezession abrutschen wird. Erstens ist in den kommenden Quartalen mit sinkenden Investitionen zu rechnen. Als Belastung wirken hier vor allem die stark gestiegenen Zinsen. Hinzu kommt bei Rohstoffen sowie Vorprodukten eine deutliche Verteuerung und auch die Löhne der Beschäftigten steigen immer schneller. Diese Kostenbelastung wird mit der üblichen Zeitverzögerung von rund einem Jahr die Gewinnmargen der Unternehmen massiv unter Druck setzen, woraufhin diese ihre Investitionen zurückfahren werden. Das BIP-Wachstum wird dadurch gleich mehrfach belastet. Zum einen direkt, weil die Nachfrage nach Investitionsgütern sinkt. Zum anderen indirekt, da mit rückläufigen Investitionen die Beschäftigung unter Druck kommt, was sich in einer schwächeren Konsumnachfrage niederschlagen wird. Letztlich kommt es so zu einer klassischen konjunkturellen Abwärtsspirale.
Zusätzlich zu unserem skeptischen Investitionsausblick gibt der US-Arbeitsmarkt Anlass zur Sorge. Aktuell läuft der Jobmotor zwar noch auf hohen Touren – das führt aber zu einem wachsenden Problem. Denn inzwischen steht einer rekordtiefen Zahl Arbeitsuchender von knapp 6 Millionen eine rekordhohe Zahl an unbesetzten Arbeitsplätzen von rund 11 Millionen gegenüber. Der Überhang offener Stellen ist mit 5 Millionen so groß wie nie zuvor und lässt die Löhne immer schneller steigen. Um den daraus resultierenden Inflationsdruck zu verringern, will die Fed den heiß gelaufenen Arbeitsmarkt durch eine restriktiv ausgerichtete Geldpolitik abkühlen, ohne die Arbeitslosigkeit zu erhöhen. Wie ein Blick auf die vergangenen 60 Jahre zeigt, ist solch ein Spagat aber noch nie gelungen. Vielmehr kam es immer zu einem kräftigen Anstieg der Arbeitslosigkeit, also einer ausgewachsenen Rezession.
Neben der notwendigen Abkühlung des Arbeitsmarktes und der Aussicht auf sinkende Investitionen führt drittens die Fiskalpolitik zu Ungemach. So hat der Staat im laufenden Jahr seine Ausgaben nach den historisch beispiellosen Fiskalhilfen in den beiden Vorjahren um 1 Billion USD-Dollar zurückgefahren. Die Überersparnisse der privaten Haushalte als Folge der üppigen Corona-Hilfen werden diesen Bremseffekt sicherlich abschwächen, aber nicht komplett wettmachen können. Alles in allem hat sich damit trotz der jüngsten Konsumerholung einiges zusammengebraut. Deswegen dürfte es in den USA nicht nur eine milde Rezession geben, wie viele hoffen. Vielmehr sollte das BIP ab dem 4. Quartal 2022 nachhaltig schrumpfen. Mit einem wieder anziehenden BIP rechnen wir frühestens im Schlussquartal 2023, womit die Wirtschaftskrise mindestens so lange dauern würde wie der Durchschnitt der Rezessionen in der Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg.
In der Eurozone hat sich der Konjunkturhimmel bereits in den vergangenen Wochen immer weiter verdunkelt. Insbesondere der scheinbar unaufhaltsame Anstieg der Gas- und Strompreise stellt eine ernstzunehmende Bedrohung für die Wirtschaft dar. Auf die privaten Haushalte und die Unternehmen rollt eine gigantische Kostenlawine zu. Die Aussichten für den privaten Konsum sind mit Sicht auf die nächsten sechs bis neun Monate mithin äußerst bescheiden. Doch auch die Unternehmen ächzen unter den explodierenden Kosten. Vielfach wissen sie sich bereits jetzt nicht mehr anders zu helfen, als die Produktion zu drosseln und die Investitionsausgaben zu kürzen. Darüber hinaus hinterlässt die sich abzeichnende globale Konjunkturabschwächung bereits erste Spuren bei den Exportorders. Der Außenbeitrag dürfte das Wirtschaftswachstum infolge sinkender Ausfuhren bei weniger stark rückläufigen Einfuhren im Jahr 2023 dämpfen.
Angesichts solch trüber Aussichten haben die Unternehmen wenig Anreize, zu investieren. Die Verschärfung bei den Finanzierungskonditionen als Folge der steigenden Zinsen kommt als zusätzlicher Belastungsfaktor hinzu. Im Ergebnis prognostizieren wir für das kommende Jahr in der Eurozone einen BIP-Rückgang um 0,7%, wobei die Wirtschaftsleistung vom 4. Quartal 2022 an bis mindestens zum 2. Quartal 2023 schrumpfen sollte.
China wird als globaler Wachstumsmotor nicht in die Bresche springen können, wenn die westlichen Industrieländer ins Straucheln geraten. Zum einen bremst das Festhalten der Regierung an der Null-Covid-Strategie die Konjunktur. So wird vor allem der private Konsum auf absehbare Zeit immer wieder Rückschläge zu verkraften haben und das Wirtschaftswachstum dämpfen. Als zweiten Belastungsfaktor sehen wir den Immobilienmarkt, der infolge der 2020 begonnenen stärkeren staatlichen Regulierung bis zuletzt immer mehr unter Druck geraten ist. Auffallend ist, dass die Regierung trotz der jüngsten Zuspitzung der Lage weiterhin nur halbherzig gegensteuert, woran sich aber so bald nichts ändern dürfte. Denn der übergeordnete Trend am Immobilienmarkt hat inzwischen nach unten gedreht. Unter anderem führen die schrumpfende Bevölkerung und der nachlassende Schwung bei der Urbanisierung zu einem geringeren Bedarf an zusätzlichem Wohnraum.
Alles in allem werden die anhaltende Null-Covid-Strategie und der strukturelle Wandel am Immobilienmarkt das chinesische Wirtschaftswachstum in den kommenden Quartalen deutlich bremsen. Im laufenden Jahr dürfte der BIP-Zuwachs bei rund 3,0% liegen und 2023 nur leicht darüber, womit der Durchschnitt der Vor-Corona-Zeit von 6,0% deutlich unterschritten wird.
Für die Finanzmärkte sollte die ausgeprägte Rezession in den USA und der Eurozone ein Game Changer sein, weil schon bald statt der Inflations- die Rezessionsgefahren in den Vordergrund rücken werden. Denn sobald die Weltwirtschaft in einer Rezession steckt, ergibt es für die Notenbanken keinen Sinn mehr, weiter an der Zinsschraube zu drehen. Schließlich haben sie dann ihr Ziel erreicht, die Nachfrage nachhaltig zu dämpfen. Der Bedarf an Arbeitskräften und an Rohstoffen wird sinken. In der Folge dürfte auch der Preis- und Lohndruck spürbar nachgeben. Deshalb gehen wir davon aus, dass die Notenbanken spätestens Anfang 2023 den Kurs der geldpolitischen Straffungen beenden. In den USA sollte bei 3,75% bis 4,00% und in der Eurozone bei 1,50% bis 1,75% der Leitzinshochpunkt erreicht sein. Mehr noch, die Fed dürfte ab dem 2. Quartal 2023 auf den von uns prognostizierten namhaften Anstieg der Arbeitslosenquote mit monetären Lockerungen reagieren.
Unsere Leitzinsprognose weicht damit erheblich von dem an den Geldterminmärkten eingepreisten Szenario ab. Aktuell rechnen die Märkte damit, dass die Leitzinsen in der Eurozone auf 2,75% angehoben werden und die Fed-Funds-Rate im März 2023 bei knapp 4,75% liegt. Im Laufe des 4. Quartals sollten die Investoren realisieren, dass sie damit über das Ziel hinausgeschossen sind und ihre Erwartungen nach unten korrigieren müssen. In diesem Zuge sollten auch die Renditen von Staatsanleihen in einen übergeordneten Abwärtstrend einschwenken. Entsprechend sehen wir über die kommenden zwölf Monate ein Rendite-Abwärtspotenzial von 100 bis 120 Basispunkten. In der Folge dürften 10-jährige deutsche Bundesanleihen Ende 2023 bei rund 0,60% und 10-jährige US-Treasuries bei gut 2,00% rentieren. Top-Staatsanleihen werden nach hohen Verlusten im laufenden Jahr somit bereits 2023 wieder zu Ertragsperlen. Damit weichen wir deutlich vom Konsensus ab, der 2023 mit weiteren Renditeanstiegen rechnet.
Schrumpft die Wirtschaftsleistung, geraten auch die Unternehmensgewinne unter Druck. An den Aktienmärkten ist dieser Gewinneinbruch aber noch nicht eingepreist. Im Gegenteil: Viele Analysten rechnen nach wie vor damit, dass die Unternehmenserträge in den USA und Europa 2023 zulegen werden. Hier hat sich enormer Revisionsbedarf aufgestaut, der sich in den nächsten Monaten entladen und dabei die Aktienkurse nach unten ziehen dürfte. Das Rückschlagpotenzial für die europäischen und die US-amerikanischen Börsenindizes liegt bei 25%. Eine Besserung ist frühestens im 2. Halbjahr 2023 in Sicht, wenn der konjunkturelle Tiefpunkt durchschritten wird.
Auch andere Risikoassets werden im Zuge der von uns prognostizierten globalen Rezession in schwieriges Fahrwasser geraten. Bei Unternehmensanleihen sind an vorderster Stelle High-Yields zu nennen, die unter der Zunahme an Kreditausfällen und Ratingherabstufungen besonders leiden sollten. Eine Ausweitung der Risikoaufschläge gegenüber Top-Staatsanleihen um rund 250 bis 300 Basispunkte ist wahrscheinlich.
Für Staatsanleihen der Euro-Peripherie nimmt der Gegenwind ebenfalls zu. Die EZB hat indes Instrumente entwickelt, um nicht zuletzt die Risikoaufschläge von italienischen Staatsanleihen unter Kontrolle zu halten. Wir rechnen daher bestenfalls mit einer moderaten Ausweitung der Spreads. Unternehmensanleihen (Investment Grade) und Pfandbriefe sollten im Vergleich zu Staatsanleihen underperformen. Allerdings dürfte sich in diesen Segmenten die Spreadausweitung in Grenzen halten, sodass zumindest kein negativer Ertrag zu erwarten ist.
Weil eine weltweit rückläufige Nachfrage nach Industriegütern kein gutes Umfeld für Industrierohstoffe ist, sollten Anleger sich aus dieser Assetklasse temporär zurückziehen. Gleiches gilt für inflationsgeschützte Staatsanleihen (Linker), weil die globalen Teuerungsgefahren 2023 abklingen dürften. Allerdings ist in beiden Fällen ein schillerndes Comeback vorgezeichnet, sobald die Konjunktur wieder anzieht. Der Wiedereinstieg sollte daher bereits für Ende 2023 ins Auge gefasst werden.Fazit: Wer auf eine Jahresendrallye bei Aktien setzt, dürfte enttäuscht werden. Der Abwärtstrend sollte sich hier fortsetzen und 2023 aufgrund der Rezession der Weltwirtschaft sogar noch an Schärfe gewinnen. Staatsanleihen sollten hingegen im kommenden Jahr ein Comeback feiern und wieder deutliche Kursanstiege verbuchen. Damit werden sie zugleich ihrer traditionellen Rolle als sicherer Hafen in schwierigen Zeiten gerecht.