Warum Überwachungsskandal und Verlust der Privatsphäre vielen von uns egal ist

Der Überwachungsskandal beherrscht nun bald acht Monate lang die Medien. Noch immer kommt jede Woche ein weiteres Detail an die Öffentlichkeit. Es ist ermüdend.

Die Pradetto-Kolumne

Überwachung
„Wir müssen Daten und Kommunikation sorgsamer behandeln. Als Finanzdienstleister trifft uns hierbei eine besondere Verantwortung.“

Doch selbst zu Beginn der Überwachungsaffäre hat uns das aktuelle Ergebnis des letzten Bundesligaspiels mehr aufgeregt als die Erkenntnis, dass die westlichen Staaten (einschließlich Deutschland!) die eigenen Bürger intensiver überwachen als gedacht. Angesichts der grenzenlosen Ausforschung unserer Intimsphäre durch die Staatsapparate bleiben wir gelassen. Warum ist das so?

Dschungelcamp & Co. härten ab

In unendlichen Dschungelcamps und Doku-Shows werden uns täglich charakterliche Mängel und Peinlichkeiten anderer präsentiert: Fotos von einem angetrunkenen Justin Bieber, ein Seitensprung des französischen Präsidenten, Boris Becker aufgedunsen und mit Fliegenklatschenmütze.

Was früher nie an die Öffentlichkeit gelangt wäre, ist heute eine Schlagzeile auf der Titelseite wert. Unsere Sensationslüsternheit wird von der Medien- und Netzwelt schamlos ausgenutzt. Wie bei Junkies muss die Dosis erhöht werden, um unsere Aufmerksamkeit weiter zu fesseln.

Dieser Trend hat unsere Kultur und unser Denken nachhaltig verändert. Wenn jeder, der ins Rampenlicht gezerrt wird früher oder später seine menschlichen Fehler offenbart, erwächst daraus die Erkenntnis, dass gelegentliches Versagen normal ist.

Peinlichkeiten werden nicht versteckt

Wer hat sich noch nie betrunken übergeben, sich beim Ansprechen einer Dame bis auf die Knochen blamiert oder auf andere Weise peinlich benommen? Gelegentliche Peinlichkeiten müssen nicht mehr schamhaft versteckt werden, denn sie sind normal geworden. Darum geben wir täglich Intimes über Facebook, Xing & Co. preis.

Medienexperten warnen davor, Bilder einer Partynacht auf Facebook zu teilen. Ein Arbeitgeber könnte sie sehen und daraus nachteilige Schlüsse ziehen.

Doch ganz ehrlich: Eigentlich müssten die Medienberater davor warnen sich mit Arbeitgebern abzugeben, die ihre Mitarbeiter erst ausforschen, um dann ethische Maßstäbe anzusetzen denen Sie – ehrlich betrachtet – selbst nicht genügen.

Die Jugendlichen von heute wissen dies instinktiv und was für uns ältere wie Arglosigkeit aussieht, ist in Wahrheit ein tieferes Verständnis der sich verändernden Wertewelt.

Neue Offenheit hat auch etwas Positives

Diese Entwicklung hat durchaus etwas Positives. Die neue Offenheit bringt uns einander näher. Wir entwickeln mehr Verständnis. Wir werden toleranter. Die Welt wird friedlicher.

Allerdings entsteht auch ein großes Problem. Wir gehen die neue Gelassenheit beim Schutz unserer Intimsphäre gewissermaßen verkehrt herum an. Ein markantes Beispiel mag dies deutlich machen.

Seite zwei: Überwachung stört uns nicht

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