Überzeugungsarbeit

Foto: Shutterstock

Die betriebliche Krankenversicherung entwickelt sich zu dem Wachstumstreiber in der privaten Krankenversicherung. Das Absatzzahlen steigen – trotz Pandemie und Energiekrise – weiter. Auch wenn immer mehr Unternehmen und Firmen die Vorteile der Gesundheitsförderung und Mitarbeiterbindung erkennen: Viele Betriebe haben noch nie etwas von der bKV gehört.

Es ist schon bemerkenswert, wie sehr die Corona-Pandemie die Wahrnehmung verändert hat. Allein in Deutschland hat sie bis Ende September 2022 mehr als 150.000 Menschenleben gekostet. Weltweit waren es laut John Hopkins Universität 6,5 Millionen, mindestens. Für viele hierzulande war die Pandemie ein Bewusstseinsmacher für das Thema Gesundheit. „Wir merken, dass sich die Sensibilität für Gesundheit erhöht hat. Das heißt, auch die Arbeitnehmer empfinden es als echtes Geschenk vom Arbeitgeber, dass er sich in der Krise um die Gesundheit der Mitarbeiter kümmert“, sagt Alexandra Markovic-Sobau, Zentralbereichsleiterin Vertrieb Hallesche Krankenversicherung, beim Cash.-Extra Roundtable Betriebliche Krankenversicherung. 

Die Hallesche hat ihre ersten Tarife 2012 auf den Markt gebracht. Nun ist die Nachfrage nach betrieblicher Gesundheitsvorsorge so hoch, dass die bKV mittlerweile zwischen ein Drittel bis ein Viertel des Gesamtumsatzes bei dem Krankenversicherer der ALH-Gruppe beisteuert. Auch bei der Arag, im Vergleich zur Halleschen ein kleinerer Anbieter, wächst die Nachfrage kontinuierlich. Spannend ist, dass selbst die aktuelle Energiekrise die massiven Kostensteigerungen in nahezu allen Bereichen der Wertschöpfungsketten aktuell nicht dazu führen, dass Arbeitgeber der bKV den Rücken zuwenden. „Erstaunlicherweise erleben wir bei den Tarifen, die in den vergangenen fünf bis sechs Jahren abgeschlossen wurden, eine hohe Bindung. Diejenigen, die eine bKV haben, behalten sie auch“, sagt Markovic-Sobau. Dr. Stefan Böhm, Hauptabteilungsleiter Markt- und Produktmanagement bei der Arag Krankenversicherung, bestätigt die Aussage der Vertriebsexpertin. Böhm sieht ebenfalls einen deutlichen Trend. „Auch bei der Arag nimmt die Anzahl der Anfragen von Arbeitgebern zu, die ihren Mitarbeitern attraktive Angebote im Bereich der bKV anbieten möchten“, sagt er in Cash. 

Nach Angaben des PKV-Verbandes hatten Ende 2021 etwa 18.000 Firmen und Unternehmen ihren Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern eine bKV angeboten. Etwa 1,6 Millionen Menschen hatten sich für das Angebot ihres Arbeitgebers entschieden. Zum Vergleich: 2015 waren es gerade einmal 3.800 Firmen mit 575.000 Mitarbeitern. Gezählt werden nach Angaben des PKV-Verbandes übrigens nur die Betriebe, die die Beiträge für ihre Mitarbeitenden auch vollständig tragen. 

Wie sehr die betriebliche Krankenversicherung zum Trendthema entwickelt hat, zeigen die Zahlen, die die Allianz private Krankenversicherung (APKV) Ende September veröffentlicht hat. Bezogen auf die Monatsbeiträge konnte der Marktführer in der bKV sein Neugeschäft gegenüber dem Vorjahreszeitraum fast verdoppeln. „Dabei war schon das letzte Jahr ein Rekordjahr“, sagt Jan Esser, Produktvorstand der APKV. Rund 46 Prozent des Wachstums am Markt gingen im ersten Halbjahr 2022 an die Allianz. Mit Blick auf die Branchen zeigt eine aktuelle Studie des Marktforschungsinstituts Infas Quo im Auftrag der Allianz, dass insbesondere Pflege und Krankenhäuser starkes Interesse an einer bKV haben. ufgeschlossen zeigen sich ebenfalls die IT-Branche oder das Transportgewerbe. Laut Allianz-Studie sind es vor allem größere Unternehmen mit 50 bis 249 Mitarbeitenden, die konkret über den Abschluss einer bKV nachdenken: Nahezu jedes vierte (24 Prozent) beschäftigt sich näher mit dem Thema bKV oder plant bereits konkret, eine solche Versicherung abzuschließen. Bei Betrieben mit 250 und mehr Beschäftigten trifft dies auf rund jeden fünften zu (18 Prozent).

War die Corona-Pandemie bislang der Katalysator für die betriebliche Krankenversicherung, dürfte sich der „War for Talents“ zu einem Turbo für die bKV entwickeln. Denn der Fachkräftemangel und die wachsenden Schwierigkeiten, neues Personal oder Azubis zu finden, macht inzwischen vielen Unternehmen zu schaffen. Wie herausfordernd die Situation ist, zeigt eine aktuelle Studie der Gothaer Versicherung. Demnach haben 46 Prozent der kleinen und mittelständischen Unternehmen Schwierigkeiten, qualifizierte Arbeitskräfte zu finden und an ihre Unternehmen zu binden. Dies entspricht einem Anstieg um sechs Prozentpunkte. Auffällig dabei sind laut Gothaer die Unterschiede zwischen kleinen und größeren Firmen. Je größer das Unternehmen, desto größer die Herausforderungen. Während bei Kleinstunternehmen mit bis zu zehn Mitarbeitenden gerade einmal 28 Prozent Probleme haben, geeignetes Personal zu finden, sind es bei Firmen von elf bis 20 Mitarbeitenden bereits 44 Prozent. Überraschend ist, dass sich die Schwierigkeiten mit zunehmender Unternehmensgröße erhöhen. So haben 58 Prozent der Firmen mit 21 bis 200 Mitarbeitern inzwischen Sorgen, kein neues Personal finden zu können. Im Vergleich zu 2021 ist das ein Plus von 13 Prozent. Unwesentlich besser stellt sich die Lage bei Firmen mit 201 bis 500 Mitarbeitern dar. Dort berichten 54 Prozent von Schwierigkeiten, Nachwuchs zu finden oder neue Fachkräfte anzuheuern. 

Immer mehr Unternehmen erkennen, dass eine bKV dazu beitragen kann, das Problem zu bewältigen. Das bestätigten auch die Teilnehmer des Cash. Extra bKV. Arbeitgeber könnten sich mit diesem ‚Extra vom Chef‘ echte Vorteile im Wettbewerb um die besten Talente verschaffen. Da ihre Leistungen außerdem regelmäßig erlebt werden, binde eine bKV bestehende Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter an das Unternehmen und helfe, die Fluktuation niedrig zu halten. „Gerade, wenn ein hoher Wettbewerb besteht, Stichwort „War for Talents“, und ein wirklicher Fachkräftemangel, sehen wir, dass ein Unternehmen auf regionaler Ebene bewusst ein Ausrufezeichen gegenüber Wettbewerber setzen möchte“, betont Arag-Mann Böhm. Insofern lohnt es sich für Vermittlerinnen und Vermittler, Firmenkunden auf die bKV anzusprechen. Die Wachstumsraten bestätigen dies. Die vertriebliche Herausforderung indes ist das breite Themenspektrum, mit dem sich ein Berater oder eine Beraterin auskennen muss, wenn Firmen in der bKV betreut werden. Dabei geht es nicht nur darum, das Produkt zu kennen, vielmehr stehen auch komplexe und vielschichtige Fragen rund um Datenschutz, Compliance, steuerliche Behandlung und Mitarbeiterkommunikation im Vordergrund. 

Doch worauf legen die Arbeitgeber Wert. „Der Trend geht eindeutig in Richtung Budgettarife. Sie laufen den Bausteintarifen inzwischen den Rang ab“, sagt Corinna Sevin, KV-Expertin beim Hamburger Analysehaus Softfair. Der Grund hierfür liegt darin, dass diese Tarife aufgrund ihres Aufbaus und der Struktur für Arbeitnehmer und Arbeitgeber verständlicher, fassbarer sind. Zudem muss der Arbeitgeber nur das Budget festlegen. Welche Leistungen dann konkret gewünscht werden, entscheiden hingegen die Mitarbeitenden. 

Trotz der deutlichen Wachstumsraten: Im Vergleich zur betrieblichen Altersvorsorge ist der bKV-Markt noch sehr jung. Und angesichts der Tatsache, dass 99,3 Prozent der Unternehmen hierzulande im klein- und mittelständischen Bereich unterwegs sind und 45 Millionen Arbeitnehmer in Lohn- und Brot, bieten sich für die bKV-Anbieter erhebliche Entfaltungsspielräume. Aber das braucht offensichtlich Zeit.

„Viele Betriebe haben noch nie etwas von der bKV gehört. Die bAV kennt jeder. Bei der bKV werde ich manchmal mit Aussagen wie „Ach, Lohnfortzahlung? Krankenversicherung. Also nein“, konfrontiert. Wenn ich über Benefits spreche, ist die Aufmerksamkeit geweckt“, sagt Markovic-Sobau. Die Herausforderung liegt also darin, die Unternehmen von den Vorteilen zu überzeugen. 

Weitere Artikel
Abonnieren
Benachrichtige mich bei
0 Comments
Inline Feedbacks
View all comments