Die „Wirtschaftsweisen“ haben wegen der Folgen des Ukraine-Kriegs ihre Konjunkturprognose für dieses Jahr deutlich nach unten geschraubt.
Der Sachverständigenrat erwartet nun nur noch ein Wachstum des Bruttoinlandsprodukts von 1,8 Prozent, wie das Beratergremium der Bundesregierung am Mittwoch in Berlin mitteilte. Für das kommende Jahr wird ein Plus von 3,6 Prozent vorhergesagt.
Prognose nach unten korrigiert
Die „Wirtschaftsweisen“ hatten im vergangenen November für 2022 noch mit einem Wachstum von 4,6 Prozent gerechnet. Verschiedene Institute hatten ihre Prognose zuletzt bereits nach unten korrigiert. Die Unternehmen werden belastet etwa durch Lieferengpässe und steigende Energiepreise.
Der russische Angriffskrieg gegen die Ukraine dämpfe das Wachstum, trage zum weiteren Anstieg der Energie- und Verbraucherpreise bei und führe zu hoher Unsicherheit, so der Sachverständigenrat. Die Inflation dürfte durch die hohen Energiepreise in diesem Jahr auf 6,1 Prozent steigen und im kommenden Jahr auf 3,4 Prozent zurückgehen.
Die „Wirtschaftsweisen“ sehen ein „substanzielles“ Risiko einer Rezession in Deutschland infolge des Ukraine-Kriegs. Das sagte Volker Wieland, Mitglied des Sachverständigenrates. Sollte es zu einem Lieferstopp russischer Energieimporte oder einem Embargo durch den Westen kommen, fiele die wirtschaftliche Entwicklung noch schlechter aus als derzeit prognostiziert.
Deutschland soll sich wappnen
„Deutschland ist stark von russischen Energielieferungen abhängig. Ein Stopp dieser Lieferungen birgt das Risiko, dass die deutsche Volkswirtschaft in eine tiefere Rezession abrutscht und die Inflation noch stärker zunimmt“, sagte Monika Schnitzer, Mitglied des Sachverständigenrates.
Deutschland sollte umgehend alle Hebel in Bewegung setzen, um sich gegen einen Stopp russischer Energielieferungen zu wappnen und die Abhängigkeit von Russland zu beenden.
Die Bundesregierung hatte am Mittwoch die erste Stufe eines Notfallplans Gas ausgerufen. Russland fordert, dass russische Gaslieferungen nach Westeuropa in Rubel bezahlt werden. Das lehnen Deutschland und andere westliche Staaten ab.
Die Bundesregierung bereitet sich vor dem Hintergrund des russischen Angriffskriegs auf die Ukraine auf eine erhebliche Verschlechterung der Gasversorgung vor.
Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) setzte deswegen am Mittwoch in Berlin die Frühwarnstufe des Notfallplans Gas in Kraft. Dies diene der Vorsorge. Die Versorgungssicherheit sei weiterhin gewährleistet. Nach dem Notfallplan gibt es drei Krisenstufen: Frühwarnstufe, Alarmstufe und Notfallstufe. Erst in der Notfallstufe greift der Staat in den Gasmarkt ein. Haushaltskunden wären dann besonders geschützt.
„Es gibt aktuell keine Versorgungsengpässe“, betonte Habeck. „Dennoch müssen wir die Vorsorgemaßnahmen erhöhen, um für den Fall einer Eskalation seitens Russlands gewappnet zu sein.“ Mit Ausrufung der Frühwarnstufe sei ein Krisenteam zusammengetreten. „Das Krisenteam analysiert und bewertet die Versorgungslage, so dass – wenn nötig – weitere Maßnahmen zur Erhöhung der Versorgungssicherheit ergriffen werden können. Die Bundesregierung tut alles, um die Versorgungssicherheit in Deutschland weiter zu gewährleisten.“
Gesamtversorgung der Gasverbraucher gewährleistet
Die Gesamtversorgung aller deutschen Gasverbraucher sei aktuell weiter gewährleistet, so das Ministerium. Habeck appellierte an alle Gasverbraucher, Gas zu sparen. „Dennoch ist ab sofort jeder Gasverbraucher – von der Wirtschaft bis zu Privathaushalten – auch gehalten, seinen Verbrauch so gut wie möglich zu reduzieren.“ Jede eingesparte Kilowattstunde Energie helfe, sagte der Grünen-Politiker in Berlin.
Auch der Präsident der Bundesnetzagentur, Klaus Müller, appellierte an Verbraucher und Unternehmen, durch Einsparungen und verstärkte Zukäufe mitzuhelfen. Ziel sei, eine Verschlechterung der Gasversorgung für Deutschland und Europa zu vermeiden, schrieb er auf Twitter.
Habeck betonte die europäische Solidarität. „Die Sanktionen sind deswegen wirkungsstark, weil wir als Europa zusammenstehen in der transatlantischen Partnerschaft.“ Auch wenn man LNG-Terminals in Deutschland baue oder man sich um weitere Gasimporte nach Deutschland kümmere: „Wir sind natürlich auch in der europäischen Solidarität, so wie wir jetzt ja extrem darauf angewiesen sind, dass Belgien, Frankreich und die Niederlande Gas durchleiten.“ Würde das nicht solidarisch passieren, «wären wir in keiner guten Situation“.
Die Frühwarnstufe bedeutet laut Habeck, dass jetzt täglich ein Krisenstab beim Wirtschaftsministerium zusammentritt, der aus Behörden und den Energieversorgern besteht. Die Gasversorger und die Betreiber der Gasleitungen werden verpflichtet, regelmäßig die Lage für die Bundesregierung einzuschätzen. Die Bundesnetzagentur wird ab Donnerstag täglich einen Sachstandsbericht veröffentlichen. Noch greift der Staat nicht ein. Gashändler und -lieferanten, Fernleitungs- und Verteilnetzbetreiber ergreifen „marktbasierte“ Maßnahmen, um die Gasversorgung aufrechtzuerhalten: Dazu gehören laut Ministerium etwa die Nutzung von Flexibilitäten auf der Beschaffungsseite, der Rückgriff auf Gasspeicher und die Optimierung von Lastflüssen.
Hintergrund für die Ausrufung der Frühwarnstufe: Russland bleibt bei seiner Forderung nach Bezahlung russischer Gaslieferungen nach Westeuropa in Rubel unnachgiebig. Bis Donnerstag (31. März) würden auf Anordnung von Präsident Wladimir Putin die Modalitäten ausgearbeitet, damit das System «einfach, verständlich, transparent und umsetzbar» für die europäischen und internationalen Gasbezieher sei, sagte Kremlsprecher Dmitri Peskow am Dienstag nach Angaben der Agentur Interfax. „Keiner wird Gas umsonst liefern, und bezahlt werden kann es nur in Rubel“, betonte er einmal mehr.
Putin hatte vergangene Woche verkündet, dass Russland Gas an Deutschland und weitere „unfreundliche Staaten“ nur noch gegen Zahlung in Rubel liefern werde. Dies würde die unter Druck geratene russische Währung stützen. Die Gruppe der G7-Wirtschaftsmächte, darunter Deutschland, sowie die Europäische Union insgesamt lehnen Zahlungen in Rubel für Gas jedoch ab.
Notfallplan Gas hat drei Krisenstufen
Habeck bekräftigte am Mittwoch, falls Russland eine Bezahlung der Gasimporte nur noch in Rubel akzeptiere, stelle dies einen Bruch der privaten Lieferverträge dar. Um auf mögliche Liefereinschränkungen oder -ausfälle vorbereitet zu sein, habe das Ministerium deshalb die Frühwarnstufe ausgerufen. Die aktuelle Situation im Gasnetz werde engmaschig beobachtet und bewertet.
Nach dem Notfallplan gibt es drei Krisenstufen. Die Frühwarnstufe bedeutet, dass „konkrete, ernstzunehmende und zuverlässige Hinweise“ darauf vorliegen, dass ein Ereignis eintreten kann, welches wahrscheinlich zu einer erheblichen Verschlechterung der Gasversorgungslage führt – sowie wahrscheinlich zur Auslösung der Alarm- beziehungsweise Notfallstufe.
Bei der Notfallstufe läge eine „erhebliche Störung“ der Gasversorgung vor. Der Staat müsste einschreiten, um insbesondere die Gasversorgung der „geschützten Kunden“ sicherzustellen – das sind etwa private Haushalte, aber auch Krankenhäuser, Feuerwehr und Polizei. (dpa-AFX)