Cash.: Kann Deutschland tatsächlich auf Gas aus Russland verzichten?
Schrieber: Deutschland hat sich mit dem Ziel, die Kohleförderung abzuschaffen und die Atomkraftwerke stillzulegen, in eine Lage gebracht, in der das nicht einfach möglich ist. Alternativen wie Flüssiggas aus Qatar oder den USA oder erhöhte Gaslieferungen via Pipeline aus Norwegen sind keine kurzfristigen Lösungen. Den Ausfall von russischem Gas kann man nur mittelfristig durch einen verstärkten Import von Flüssiggas (LNG) ersetzen. Hier sind die Produktionskapazitäten zurzeit voll ausgeschöpft.
Sie lassen sich nur über vier bis fünf Jahre erweitern: Der führende US-Flüssiggas-Produzent Cheniere Energy ist bis 2030 zu 95 Prozent ausgelastet. Das Unternehmen hat jetzt bekanntgegeben, seine Produktion um 20 Prozent zu erhöhen. Die Erstellung der neuen Produktionsanlagen wird mehr als vier Jahre in Anspruch nehmen. Zum Transport von LNG sind entsprechende Schiffe notwendig. Aber für die nächsten vier Jahre sind diese ausgebucht und Neubauten brauchen ebenfalls einige Jahre. In Deutschland müssen die LNG-Terminals erst errichtet werden – das dauert etwa vier Jahre. Hinzu kommen die größeren ökologischen Folgen: LNG entsteht durch energieintensive Verflüssigung von Gas.
Cash.: Welche Folgen hat die Verknappung von Rohstoffen? Wie kann Deutschland sich positionieren, um Schäden abzuwenden?
Schrieber: Charles de Gaulle hat es einst auf den Punkt gebracht: „Staaten haben keine Freunde, Staaten haben Interessen“. Von daher muss Deutschland auch in seinen außenpolitischen Bemühungen mehr Profil zeigen. So schwer das unter moralischen Gesichtspunkten auch fällt, muss sich Deutschland für einen Dialog mit Staaten wie Venezuela und Iran einsetzen.
Denn kurzfristig wird es leider ohne Öl noch nicht gehen. Und ein kategorisches Sanktionieren dieser Staaten führt dazu, dass sie keine Rolle bei der weltweiten Ölversorgung spielen. Nur ein Einbinden dieser Staaten kann dazu führen, dass sie wieder eine Rolle für die Ölversorgung spielen können. Das würde den Preisdruck aus den Märkten nehmen. Deutschland ist in einer anderen Situation als die USA, die sich leichter tun mit Sanktionen, denn die Verinigten Staaten sind im Öl-/Gas-Sektor eigenständig.
Cash.: Braucht Deutschland – im Sinn der eigenen Interessen – China als Verbündeten?
Schrieber: Wir sollten hier nicht nur auf China schauen, denn es haben sich viele Staaten (Indien, Venezuela, Brasilien, Türkei, etc.) nicht an der Sanktionspolitik des Westens beteiligt. Diese Länder profitieren jetzt sogar von Discounts bei den Importen russischen Gases und Öls. Somit besteht auch weiterhin ein entsprechender Liquiditätsfluss in Richtung Russland. China ist auf dem Weg zur globalen Nummer eins.
Der Russland-Krieg spielt den USA in die Hände, wird aber den Weg Chinas nicht aufhalten. China und Russland werden auch zukünftig stärker kooperieren. Aber China wird aufgrund der Verzahnung seiner Wirtschaft mit dem Westen ein Interesse daran haben, dass die Situation in der Ukraine nicht weiter eskaliert.
Cash.: Begeben wir uns mal in Richtung von Spekulationen. Wird es aus Ihrer Sicht eine neue Weltordnung beziehungsweise Wirtschaftsordnung geben und wie könnte diese aussehen?
Schrieber: Eines ist klar: Es wird ökonomische Gewinner des Krieges geben. Primär sind das die USA. Sie profitieren von grundsätzlich höheren Energiepreisen, gestiegenen Nahrungs- sowie Düngemittelmittelpreisen und einer sich in Bewegung setzenden Rüstungsspirale. Die Hoffnung bleibt, dass die Europäer geeinter aus dieser Situation hervorgehen und ihre Interessen in den Vordergrund stellen bei: Energieunabhängigkeit, Forcierung alternativer Energien und Antriebe, Sicherheits- und Verteidigungspolitik sowie der Außenpolitik: Sie muss der wirtschaftlichen und bevölkerungsmäßigen Stärke entsprechen. Aber eine neue Weltordnung sehe ich nicht. Sicher wird das Gewicht Asiens weiter steigen und in diesem Kontext auch der Konflikt zwischen China und Taiwan eine Rolle spielen.
Cash.: Der Krieg in der Ukraine beherrscht die Kapitalmärkte, die Volatilität an den Börsen zeugt davon, dass Anleger nach Orientierung suchen. Was ist Ihre Empfehlung?
Schrieber: Hätten wir kein exogenes Ereignis wie den Krieg, dann wäre in diesem Jahr das Szenario, dass die europäischen Börsen besser abschneiden als die USA, in vielerlei Hinsicht realistisch gewesen. Der Krieg verändert alles, und über die Unsicherheit der Energiefrage steigt die Volatilität, sprich Nervosität an der Börse.
Für den „Normalanleger“ heißt es, Ruhe zu bewahren und den Profis (aktive Fondsmanager) die Allokation zu überlassen. Der von Dr. Jens Ehrhardt bereits seit 35 Jahren gemanagte FMM-Fonds (ISIN DE 0008478116) verdiente im laufenden Jahr für seine Anleger rund 3 Prozent durch eine geschickte dynamische Cashquoten-Steuerung und die Arrondierung mit Rohstoffen wie Gold, Nickel und Palladium. Mittel- bis langfristig wird aber auch das Segment Nahrungsmittel Kurssteigerungen erfahren, und hier geht es nicht um die Spekulation mit physischen Nahrungsmitteln, sondern zum Beispiel um Düngemittelproduzenten, Landmaschinenhersteller, etc. die von einer Ausweitung der Agrarproduktion in Europa (ex Russland und Ukraine) profitieren.
Denn aktuell ist davon auszugehen, dass hierzulande viele Brachflächen wieder hochgefahren werden. Aus dem Blickwinkel eines erfahrenen aktiven Fondsmanagers gibt es immer Möglichkeiten, Vermögenswerte zu schützen. Dies ist nicht die Zeit für passives Investieren.“