Ukrainekrieg: Verlierer und Gewinner

Foto: Instinctif / Dieter Wermuth/Lars Hofer
"Russland kann zudem vorläufig nicht mehr mit Direktinvestitionen aus dem Westen rechnen – das Land ist selbst für die Wagemutigsten ein zu heißes Pflaster."

Je länger sich der Krieg in der Ukraine hinzieht, desto tiefere Spuren wird er in der Weltwirtschaft hinterlassen. Eine Einschätzung über den Konflikt und seine wirtschaftlichen Konsequenzen von Dieter Wermuth, Economist und Partner bei Wermuth Asset Management.

Je länger sich der Krieg in der Ukraine hinzieht, desto tiefere Spuren wird er in der Weltwirtschaft hinterlassen. Der Krieg ist kein Nullsummenspiel. Es gibt sowohl Verlierer als auch Gewinner, aber der Verlust an Leben, die Zerstörung eines großen Teils des ukrainischen Kapitalstocks, die starke Expansion des Rüstungssektors, nicht nur des europäischen, oder der Einbruch der Terms of Trade in den Ländern, die netto Energie importieren müssen, übertreffen bei Weitem die positiven Effekte, die der Krieg an der einen oder anderen Stelle mit sich bringt.

Die Karten werden neu gemischt, aber unter dem Strich wird der Wohlstand in den Industrieländern des Westens noch langsamer zunehmen als bisher, wenn nicht teilweise sogar schrumpfen. Dass die Ukraine der Hauptleidtragende ist, liegt auf der Hand: nicht nur, dass weite Teile des Landes zerstört sind und das reale Bruttoinlandsprodukt im Vergleich zur Vorkriegszeit um ein Drittel gesunken ist, auch die Bevölkerung ist durch Flucht und Tod um rund zwanzig Prozent geschrumpft.

Russland hat nichts gewonnen

Dabei hat der Aggressor Russland bislang nichts gewonnen. Trotz der hohen Weltmarktpreise für Gas und Erdöl ist das BIP in letzter Zeit gesunken und dürfte gegen Ende dieses Jahres um etwa zehn Prozent unter dem Niveau von 2019 liegen. Junge und gut ausgebildete Menschen verlassen in Scharen ein Land, das sich immer mehr in eine absolute Diktatur verwandelt, während diejenigen, die sich nicht wehren können, als Kanonenfutter an der Front eines sinnlosen Kriegs verheizt werden. Demographisch ist Russland in einem katastrophalen Zustand.

Die Sanktionen dürften Wirkung zeigen

Allmählich dürften zudem die Sanktionen des Westens Wirkung zeigen. Die EU hat gerade ihr zehntes Maßnahmenpaket auf den Weg gebracht. Bisher ist es für Russland noch möglich, beispielsweise über das NATO-Land Türkei indirekt an dringend benötigte Waren zu kommen – das hat unter anderem dazu geführt, dass die türkischen Exporte nach Russland im Dezember um etwa 110 Prozent höher waren als zwölf Monate zuvor. Auch solche Schlupflöcher werden sich schließen.

Russland kann zudem vorläufig nicht mehr mit Direktinvestitionen aus dem Westen rechnen – das Land ist selbst für die Wagemutigsten ein zu heißes Pflaster. Außerdem ist das große private und staatliche Auslandsvermögen, das sich durch die kumulierten Überschüsse in der Leistungsbilanz angesammelt hat, grundsätzlich beschlagnehmbar – und es kann nicht mit einem Federstrich einfach verlagert werden, etwa nach China. Würde sich Russland dadurch nicht zu einem Vasallen Chinas machen?

Norwegen wird zum größten Profiteur

Nach unserer Rechnung ist Norwegen der größte Profiteur des Krieges, insbesondere wegen der bis in den Herbst hinein stark gestiegenen Preise für Gas und Öl und seiner hohen Außenhandelsintensität: Mehr noch als zuvor ist das Land auf pro-Kopf-Basis unter den Demokratien das mit Abstand reichste der Welt. Ein anderer Profiteur sind die USA (gemessen an den Terms of Trade), aber weil sowohl der Energiesektor als auch der Außenhandel dort im Vergleich zum Rest der Wirtschaft klein sind, hat das Realeinkommen der Bevölkerung viel weniger zugenommen als in Norwegen.

In den übrigen Ländern des OECD-Raums war es 2022 zu einem kräftigen Rückgang der Terms of Trade gekommen und wegen ihrer meist hohen Außenhandelsintensität auch zu einem fühlbar negativen Effekt auf das Realeinkommen. Das begrenzt die Spielräume für höhere Löhne – ein voller Ausgleich für die Inflation wird kaum gelingen, jedenfalls nicht im gesamtwirtschaftlichen Durchschnitt. Seit einigen Monaten haben sich die Terms of Trade bei den Nettoimporteuren von Energie zwar wieder verbessert – Öl und Gas haben sich verbilligt –-, sie bleiben aber weiterhin deutlich unter dem Niveau der Jahre bis 2019 (um etwa ein Zehntel).

Turbo für die Klimawende

Der Krieg und die hohen Energiepreise wirken im Übrigen wie ein Turbo für die Klimawende. Auch dem letzten Skeptiker ist klargeworden, dass die Zukunft den erneuerbaren Energien gehört, ebenso wie allen Strategien, mit denen versucht wird, den Energieverbrauch zu senken. Der Strukturwandel hat gerade erst begonnen, nimmt aber zusehends Fahrt auf. Neue Industrien und Jobs entstehen.

Ein anderer Profiteur des Ukrainekriegs ist natürlich leider die Rüstungsindustrie des Westens, und zwar umso mehr, je länger er dauert. Profiteure sind darüber hinaus voraussichtlich alle lebenswichtigen Branchen, die zurzeit zu sehr auf Importe aus Diktaturen angewiesen sind, vor allem solchen aus China. Es wird versucht, ihre Wettbewerbsfähigkeit wiederherzustellen. Resilienz, Unabhängigkeit und De-Globalisierung sind hier die Stichworte. Die Politik ist dabei, hier den Strukturwandel voranzutreiben.

Die positiven Folgen

Politisch wird der Krieg durchaus positive Folgen haben: Die Ukraine wird demnächst als demokratisches Land der Europäischen Union und der Nato beitreten und damit das geopolitische Gewicht Europas stärken. Unter normalen Umständen wird die Wirtschaft der Ukraine zudem viele Jahre lang kräftig wachsen und damit auch den Rest der EU stimulieren. Go east, young man. Ein Wunschtraum.

Positiv ist weiterhin, dass Finnland und Schweden der Nato beitreten wollen und so das Risiko vermindern, dass Russland eines Tages versuchen könnte, Moldawien oder die baltischen Länder anzugreifen. Der verstärkte europäische Zusammenhalt ist eine positive Folge des Kriegs

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