Hans-Werner Sinn: „Krise bei LV und Sparbuch unausweichlich“

Professor Dr. Dr. h.c. mult. Hans-Werner Sinn leitet das Münchener Ifo Institut und gehört zu den profiliertesten Wirtschaftsexperten hierzulande. Im Interview erklärt er, was in der Euro-Zone schiefläuft und wie Anleger sich schützen können.

„Die Lebensversicherung und das Sparbuch sind teilweise auch nichts anderes als ein privates Umlagesystem. Und deswegen ist die Krise beider Systeme in 15 Jahren programmiert. Es wäre gut, sich darauf einzustellen.“

Cash.: Die niedrigen Zinsen, die Banken zur Kreditvergabe und zum Kauf von Staatsanleihen bewegen sollen, stellen Versicherer wie auch Privatbürger, die Geld für ihre Altersvorsorge sparen wollen, vor große Probleme. Wie lässt sich dieses Dilemma überwinden?

Hans-Werner Sinn: Ja, eine echte Lösung ist nicht vorhanden, weil die Schuldner pleite sind und nicht zurückzahlen können. Da gibt es nur noch einen Ausweg, der Wahrheit ins Auge zu schauen, einen Schuldenschnitt zu machen und wieder neu anzufangen. Das ist natürlich hart für die Gläubiger, aber es ist auch nicht schlimmer als das Fortsetzen einer Nullzinspolitik.

Es hat den Vorteil, dass die Zinsen anschließend nicht mehr bei Null sein müssen, sodass ein gewisser Anreiz vorhanden ist, sich nicht zu stark zu verschulden. Bei den aktuellen Nullzinsen, die dafür da sind, dass die alten Schulden getragen werden können, entsteht ja der Wunsch, auch immer noch neue Schulden hinzuzufügen, also nicht nur neue Schulden zu machen, um die alten zu bedienen, sondern tatsächlich auch noch, um sich den Lebensstandard damit zu finanzieren. Und das verschlimmert die Problematik weiter.

Deutschland verliert bereits Vermögen?

Hans-Werner Sinn: Deutschland baut mit seinen riesigen Leistungsbilanzüberschüssen jedes Jahr zusätzliches Nettovermögen in Höhe von 200 Milliarden Euro im Ausland auf.

Ich habe ausgerechnet, dass wir als Deutsche mit den Zinsen des Jahres 2007 in den ersten sechs Krisenjahren 242 Milliarden Euro mehr eingenommen hätten. Die Krisenländer hätten rund 285 Milliarden Euro mehr auf den Tisch legen müssen. Also hat diese Niedrigzinspolitik bereits zu einer massiven Umverteilung geführt.

Nun kann man sagen, dies sei alternativlos, weil ansonsten ein Kollaps stattfindet und man sein Geld gar nicht zurückbekommt. Aber die Lebensversicherer hierzulande werden bei der Erfüllung ihrer Zinsverpflichtungen in Schwierigkeiten kommen.

Die normalen Sparer merken dies noch nicht so, weil sie in der Illusion leben, später was rauszukriegen. In Wahrheit aber werden die Kapitalsammelstellen gar nicht in der Lage sein, diese Verpflichtungen auch zu erfüllen, wenn die Sparer gleichzeitig ihr Geld zurückhaben wollen.

Kann ein Schuldenschnitt allein helfen?

Hans-Werner Sinn: Nein, die Euro-Zone muss bereinigt werden. Ich glaube nicht, dass der Währungsraum in diesem Umfang Bestand haben kann. Man muss einigen Ländern Südeuropas den Austritt ermöglichen. Es wird nur nicht gemacht und die Politik wird dieses Spiel weiter betreiben.

Es ist ein gefährliches Spiel, weil die Schulden immer mehr zunehmen, weil die Ersparnisse der Deutschen immer weiter in subalterne Verwendungen gelenkt werden und nicht zu Hause in unsere Infrastruktur.

Statt das Geld in echte Investitionen zu lenken, wurde es über unsere Banken und Versicherungen nach Südeuropa exportiert. Dort wurde es entweder aufgegessen oder in neuen Immobilienprojekten und ähnlichem verbrannt. Und das hat weder solide Arbeitsplätze noch ein solides Wirtschaftswachstum geschaffen.

Wird Deutschland unabhängig von den aktuellen Herausforderungen nicht ohnehin aufgrund seiner alternden Gesellschaft auf Dauer ein Problem haben, Wirtschaftswachstum zu generieren? Und ab wann wird dies akut?

Hans-Werner Sinn: Das ist so und wird sich in zehn Jahren bemerkbar machen. Sie müssen bedenken, dass die Babyboomer in der Spitze genau fünfzig Jahre alt sind. Der dicke Berg der Altersverteilung liegt heute bei einem Lebensalter von 50. Und in 15 Jahren ist dieser Berg 65, aber schon in zehn Jahren kommen die Ersten über das Alter von 65, und in zwanzig Jahren sind sie alle drüber.

Das heißt, dann haben wir etwa sieben Millionen Rentner mehr im Verhältnis zu den 17 Millionen, die wir jetzt bereits haben, und gleichzeitig sinkt die Zahl der Menschen im arbeitsfähigen Alter um etwa acht Millionen.

Da kommen riesige Probleme finanzieller Art auf Deutschland zu, weil einerseits die Babyboomer über das Umlagesystem ihre Rente haben wollen – von Kindern, die sie nicht haben. Und zweitens wollen sie das Geld wiederhaben, das sie den Lebensversicherungen gegeben haben.

Diese werden dann das Geld von den Staaten Südeuropas zurückfordern, mit deren Papieren sie sich vollgesogen haben, weil sie dafür kein Eigenkapital vorhalten mussten. Dort gibt es aber auch keine jungen Leute mehr, die das zurückzahlen können.

Im Grunde entspricht das, was wir Kapitaldeckung nennen, in Wahrheit auch einem Umlagesystem. Die Lebensversicherung und das Sparbuch sind teilweise auch nichts anderes als ein privates Umlagesystem. Und deswegen ist die Krise beider Systeme in 15 Jahren programmiert. Also, an dieser kommenden Krise selbst lässt sich heute nichts mehr ändern. Es wäre daher gut, sich darauf einzustellen.

Wie können private Altersvorsorger sich darauf einstellen?

Hans-Werner Sinn: Sie müssen in erster Linie reale Investitionen finanzieren, die davon nicht so sehr berührt sind. Dazu gehören Aktien und Immobilien. Nun sind die Kurse und Preise inzwischen auch in diesen Anlageklassen hoch, aber dennoch verfügt beispielsweise der Dax aktuell über ein Kurs-Gewinn-Verhältnis, das dem langfristigen Durchschnitt entspricht. Im Gegensatz etwa zum US-amerikanischen Dow Jones, der wesentlich teurer bewertet ist. Deswegen hätte ich bei heimischen Börsen-Investments jetzt keine großen Sorgen.

Dagegen stellt eine Staatsanleihe eine Beteiligung an einem Umlageverfahren dar. Davon habe ich als normaler Anleger schon genug, schließlich hängt daran bereits meine gesamte Rente. Wenn ich richtigerweise für die Altersvorsorge diversifizieren will, darf ich doch nicht noch mehr kaufen.

Das Gespräch führte Marc Radke.

Lesen Sie den vollständigen Beitrag in der aktuellen Cash.-Ausgabe 1/2015.

Foto: Ifo Institut

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