Eine starke Konzentration am Aktienmarkt, also der Umstand, dass nur wenige Werte einen Großteil der gesamten Marktkapitalisierung auf sich vereinen, gab es auch in der Vergangenheit immer mal wieder. Beispielsweise haben in den Sechzigerjahren die „Nifty Fifty“ die Entwicklung der Aktienmärkte geprägt. Allerdings war das – wie der Name schon sagt – eine Gruppe aus rund 50 Konzernen. Die Top Ten der „Nifty Fifty“ kamen aus unterschiedlichen Branchen wie Energie, Konsum und Industrie. Heute stammen die Top Ten im US-amerikanischen S&P 500-Index – dazu zählen auch die „Magnificent Seven“ – fast ausschließlich aus dem Technologiesektor. Nicht nur das: Der maßgebliche Treiber für diese Technologieunternehmen ist das eine Thema – Künstliche Intelligenz (KI). Die schon vor dem KI-Boom dominanten Tech-Giganten haben sich seit rund zwei Jahren deswegen noch einmal sprunghaft besser entwickelt als andere Unternehmen. Das ist eine unglaubliche Konzentration auf ein einziges Thema und sucht Seinesgleichen.
Mit dieser Dominanz der Tech-Werte wächst bei dem ein oder anderen Marktteilnehmer die Sorge, dass sich wieder eine Blase wie zu Zeiten des „Neuen Marktes“ bilden könnte. Das scheint derzeit aber eher unbegründet: Denn die „Magnificent Seven“ erwirtschaften bereits verlässlich Erträge. Die profitablen Unternehmen erhalten durch das Thema KI noch einmal zusätzliche Wachstumsperspektiven. Anders in den frühen 2000er Jahren – da wurden die Kurse fast nur von der Hoffnung auf künftige Gewinne getrieben. Die Bewertungen waren außerdem noch deutlich extremer als heute. Die Erwartungen rund um das Thema KI sind derzeit zwar ambitioniert, aber nicht losgelöst von jeglicher ökonomischen Realität.
Konzentration am Aktienmarkt birgt erhebliche Risiken
Dennoch stellt die außergewöhnlich starke Marktkonzentration zusammen mit den geopolitischen Risiken aktuell das größte Risiko am Kapitalmarkt dar. Grundsätzlich ist das Thema KI und das damit verbundene Potenzial für die Unternehmen und die Märkte positiv einzuschätzen. Immerhin könnte KI die Gesellschaft so verändern wie es einst die Dampfmaschine und das Internet getan haben. Damit sollte sich über Jahre hinweg weiteres Anlagepotenzial bieten. Nur ist eben auch klar: Die Kursentwicklung in diesen Titeln wird keine gerade Linie nach oben darstellen. Vielmehr sind Rücksetzer zu erwarten. Anleger brauchen also eine gewisse Risikotragfähigkeit, weil die Kurse auch mal korrigieren können. Das ist in diesem Jahr schon sichtbar geworden: Nicht alle Aktien der „Magnificent Seven“ gehören zu den Gewinnern, es sind eher noch fünf, vielleicht bald nur vier oder drei Aktien, deren Kurse unbeirrt ansteigen. Der Markt unterscheidet also heute schon – was aber positiv zu beurteilen ist.
Eine Frage des richtigen Fondsmanagements
In einer Phase solch hoher Konzentration kommt es mehr denn je auf die richtige Auswahl an. Eine aktive Strategie kann stärker zwischen Gewinnern und Verlierern unterscheiden, also auch beim Thema KI die Spreu vom Weizen trennen. Künftig wird es darauf ankommen, angesichts der Größe der potenziellen Verlierer schnell die richtigen Titel abzubauen und dafür auf Aktien zu setzen, die momentan noch nicht zu den Lieblingen im Markt gehören. Dazu muss man den Markt und die Unternehmen im Detail kennen und richtig einschätzen. Spannend wird es, wenn das Thema KI mal eine Verschnaufpause einlegt und die Tech-Giganten gleichzeitig korrigieren würden. Dann wird die hohe Konzentration sehr risikoreich für alle Anleger, die nur eins zu eins auf den Index setzen.
Daneben wird zu beobachten sein, wie sich die Konzentration am Aktienmarkt weiter entwickelt. Es ist heute noch schwer abzuschätzen, ob der Fokus auf einige wenige Megakonzerne noch weiter zunehmen wird. Wenn das Thema KI wirklich so gesellschaftsverändernd wirkt wie vermutet, dann werden auch Unternehmen außerhalb des Technologiesektors in der Breite profitieren. Die Frage ist aber immer: Wer profitiert am meisten und kann eine dominante Marktposition aufbauen? Aktuell ist die Marktdominanz der großen Tech-Unternehmen so überbordend, dass diese bis auf Weiteres wohl auch zu den künftigen Gewinnern zählen. Aber: Neue Technologien können jederzeit die Spielregeln ändern und neue Wettbewerber hervorbringen. Wenn KI schneller voranschreiten sollte, werden sich nicht alle der Top Ten-Unternehmen gleichermaßen entwickeln. Darauf gilt es, aktiv zu schauen.
Autor Arne Rautenberg ist Aktienfondsmanager bei Union Investment.