Die Kalkulationsbasis von Lebensversicherungs-Zweitmarktfonds, die in den USA investieren, ist weitaus weniger solide als bisher angenommen. Die medizinischen Gutachten, die amerikanische Fachleute zur Abschätzung der Lebenserwartung erstellen, sind teilweise fehlerhaft und basieren auf lückenhaften Daten. Das brachte eine Fachtagung der Management Circle GmbH, Eschborn, in Frankfurt/Main zu Tage.
Hintergrund: Die Fonds steigen in bestehende Lebensversicherungsverträge ein, zahlen die Prämie weiter und erhalten die Versicherungssumme, sobald der Versicherte verstirbt. Die Rendite eines solchen Investments ist also umso niedriger, je länger der Versicherte lebt.Wenn bei Immobilien die entscheidenden drei Kriterien ?Lage, Lage, Lage? seien, heiße es bei den Policenfonds ?Lebenserwartung, Lebenserwartung, Lebenserwartung?, erklärte Dr. Jochen Ruß, Geschäftsführer des Instituts für Finanz- und Aktuarwissenschaften in Ulm.
Umso erstaunlicher ist, welch geringen Aufwand die Fonds für die medizinischen Gutachten betreiben. Sie werden für etwa 250 US-Dollar pro Stück auf Basis der Krankenakte und der Sterbetafeln – den Statistiken der Versicherer – erstellt. ?Um im Bild zu bleiben: Das entspricht etwa einer Immobilienbewertung allein anhand des Stadtplans und der Baubeschreibung?, lästerte einer der Teilnehmer am Rande der Tagung.
Kritisch ist eine solche Herangehensweise vor allem dann, wenn der Stadtplan nicht viel mehr ist als eine grobe Skizze. Robert Simon, Geschäftsführer der 21st Holdings LLC, Minneapolis/USA, bestätigte, dass die Sterbetafeln für Hochbetagte nur eingeschränkt Daten enthalten. Grund: Die Sterbetafeln dienen den Versicherungsgesellschaften primär dazu, ihre Tarife zu kalkulieren. 80- bis 85-jährige, deren Policen die Fonds wegen der generell geringen Rest-Lebenserwartung vor allem im Fokus haben, kommen für den (Neu-)Abschluss einer Risiko-Lebensversicherung aber kaum in Frage. Entsprechend dünn und brüchig ist die Datenbasis.
Damit nicht genug. Die Gutachten weisen teilweise eklatante systematische Fehler auf, wie Ruß ermittelt hat. So nehmen die Gutachter je nach Gesundheitszustand des Versicherten Zu- oder Abschläge von der durchschnittlichen Lebenserwartung vor. Dabei werde zum Teil aber nicht berücksichtigt, dass die meisten 80- bis 85-jährigen bereits unter Krankheiten leiden. ?Der durchschnittliche 85-jährige ist nicht gesund!?, betonte Ruß.
Eine 85-jährige zum Beispiel, die außer einer leichten Osteoporose (Knochenschwund) keine Krankheiten habe, könne durchaus gesünder sein als der Durchschnitt. Wird in einem solchen Fall auf die erwartete Rest-Lebensdauer ein Abschlag wegen der Krankheit statt eines Zuschlags wegen des relativ guten Gesundheitszustands vorgenommen, lebt die Versicherte voraussichtlich weitaus länger als gutachterlich prognostiziert. Das verhagelt die Rendite. Auch werde in manchen Gutachten unter anderem die generell steigende Lebenserwartung nicht ausreichend berücksichtigt, bemängelte Ruß.
Kaum abzuschätzen sind zudem die positiven Auswirkungen, die der Geldsegen durch den Verkauf der Police an den Fonds auf das Wohlbefinden der Versicherten hat – und damit unter Umständen auch auf ihre Gesundheit. Den Fonds und ihren Anlegern steht vermutlich noch die eine oder andere Überraschung darüber ins Haus, wie hartnäckig die amerikanischen Alten ihr Ableben verweigern.