Die USA haben ohne volkswirtschaftliche Not eine ernsthafte Krisensituation provoziert. Teile der politischen Elite wirken, als befänden sie sich in einer virtuellen Realität, in der sie gegen imaginäre Feinde kämpfen. Doch wenn jemand mit einer VR-Brille auf dem Kopf durch die Innenstadt rennt und wild um sich schlägt, werden die Passanten nicht plötzlich in denselben Kampf einsteigen. Viel wahrscheinlicher ist, dass sie kopfschüttelnd Abstand halten. Der potenzielle politische und wirtschaftliche Schaden einer solchen Realitätsflucht ist erheblich. Trump birgt aufgrund seiner Unberechenbarkeit und fehlenden volkswirtschaftlichen Strategie ein besonderes Gefahrenpotenzial. Das quotierten die Börsen mit teils extremer Kapitalflucht aus den USA. Doch das Geschehen in diesem Jahr geht weit über die Zoll-Thematik hinaus.
Neue Weltordnung – differenzierter betrachtet
Das große Ganze hinter diesem Kräftemessen ist eine sich verändernde Weltordnung. Wie Ray Dalio in seinem Buch „Principles for Dealing with the Changing World Order“ schon vor vier Jahren beschrieb, befinden wir uns in einer Phase des Wandels: Die einst dominante Weltmacht USA befindet sich im Abstieg, geplagt von inneren Konflikten, wachsender Ungleichheit und enormen Schuldenlasten. Historiker wie Adam Ferguson warnten bereits vor 300 Jahren, dass Nationen, die mehr für ihren Schuldendienst als für ihre Verteidigung ausgeben, historisch gesehen scheitern. Soweit das weit verbreitete Narrativ der im Untergang begriffenen USA, das medial sehr gerne resoniert wird, weil es eine so plastische Story ist, die sich historisch gut belegen lässt. China hingegen steigt in dieser Erzählung gerne als aufstrebende Weltmacht auf. Mit technologischer Führerschaft in Bereichen wie erneuerbare Energien und Automobilindustrie sowie militärischer Stärke stellt China die Dominanz der USA infrage. Doch bei genauerem Hinsehen zeigen sich erhebliche Schwächen im chinesischen Wachstumsmodell: Die Volksrepublik kämpft mit Deflation, einer massiven Immobilienkrise und inneren sozialen Spannungen. Die autokratische Regierung steht unter erheblichem Druck, nachdem der Wohlstand vieler Bürger zuletzt merklich gelitten hat. Die chinesischen Aktienmärkte bewegen sich seit rund einem Jahrzehnt seitwärts und enttäuschten die Anleger. Von einer klaren Ablösung der USA durch China kann daher keine Rede sein – das Narrativ von Chinas Aufstieg enthält deutliche Brüche, die Investoren nicht übersehen dürfen.
Entdollarisierung? Never bet against America
Auch das zweite häufig genannte Narrativ – der drohende Verfall des US-Dollar als globale Leitwährung – klingt zwar überzeugend, doch sollte man um den Dollar noch nicht fürchten. Historisch betrachtet, markiert das Ende einer Leitwährung oft den Beginn eines Imperialen Abstiegs, wie einst bei Großbritannien oder den Niederlanden. Aktuell jedoch spricht die Realität eine andere Sprache: Seit der globalen Finanzkrise 2008/2009 befindet sich der Dollar sogar in einem langfristigen Aufwärtstrend (s. Abb. 1), denn die US-Wirtschaft hatte sich robuster von Lehman & Co. erholt, als es die meisten erwartet hätten. Der Satz „Never bet against America“ hat daher nach wie vor Berechtigung. Der Wendehals von Donald Trump sollte nicht unterschätzt werden. Wenn jemand es ohne Sorgen, sein Gesicht zu verlieren, schafft, seine Meinungen täglich um 180 Grad zu wenden, dann ist es der aktuelle POTUS. Ein weiterer Hoffnungsschimmer liegt darin, dass Trump mit der Einsetzung von Finanzminister Scott Bessent einen Mann mit Hedgefonds-Vergangenheit ins Zentrum wirtschaftlicher Verantwortung rückt. Investoren werten dies als positives Zeichen, dass bald wieder rationalere handelspolitische Entscheidungen getroffen werden könnten. Sollten baldige Handelsabkommen folgen, könnte das die aktuelle Erholung an den Märkten zusätzlich stützen. Die Märkte signalisieren derzeit keine Panik, sondern Erholung: Der S&P 500 hat vom Tiefpunkt bereits über 7 % zugelegt, der Volatilitätsindex VIX ist wieder unter 28 gefallen, und der Risikoaufschlag für Hochzinsanleihen ist signifikant zurückgegangen. Solche Daten stützen das Narrativ, dass die USA trotz aller politischen Grotesken ökonomisch deutlich widerstandsfähiger sind, als viele derzeit annehmen. Auch der private Konsum bleibt robust – ein zentraler Stabilitätsanker der US-Wirtschaft, der oft übersehen wird, wenn Schlagzeilen den Ton angeben. Die US-Konsumenten konsumieren weiter, was eine unterschätzte Stärke des amerikanischen Wirtschaftsmodells ist. Dennoch sind bleibende Schäden der bisherigen Politik nicht auszuschließen, mit Chancen für andere Akteure, wie Europa.
Europa zwischen Herausforderung und Chance
In diesem zunehmenden Protektionismus könnten sich nicht nur für China, sondern auch für europäische Unternehmen Gelegenheiten ergeben, wenn sie die entstehenden Lücken in globalen Lieferketten nutzen. Allerdings bleibt Europa mit einer zersplitterten Binnenmarktstruktur und mangelnder politischer Geschlossenheit konfrontiert, was den Zugang zu diesen Chancen erschweren könnte. Gleichzeitig ist die Gefahr scheiternder hoch verschuldeter Staaten mit inneren und äußeren Konflikten kein Szenario, das nur die USA betrifft. Die Europäische Union könnte jedoch an Einfluss gewinnen, sofern sie ihre Kräfte bündelt und eine eigene strategische Position findet.
Vergegenwärtigen wir uns abschließend gemeinsam die fünf langfristigen Triebfedern der Märkte, um einen klaren Kopf zu bewahren:
1. Geld- und wirtschaftspolitische Ordnung: Extreme Schuldenstände in den USA mit China als wichtigsten Gläubiger: China kann den USA geldpolitisch enormen Schaden zufügen, wenn es bereit ist, selbst auch Verluste zu tragen.
2. Innere politische Ordnung: Polarisierung und soziale Ungleichheiten lassen Volkswirtschaften anfällig für Populismus und Extrempositionen werden, selbst in gefestigten Demokratien wie der Bundesrepublik.
3. Internationale geopolitische Ordnung: Das Ende der unipolaren Dominanz der USA zeichnet sich ab, während andere Pole aufsteigen und der globale Machtwettbewerb neu entflammt.
4. Naturereignisse: Klimaveränderungen und Pandemien verstärken Instabilitäten, eine globale Zusammenarbeit wird jedoch durch politische Egoismen erschwert.
5. Technologische Fortschritte: Künstliche Intelligenz und Automation verändern Wertschöpfungsprozesse und Militärstrategien. Rivalitäten in Forschung und Entwicklung verschärfen den Konflikt unter Großmächten zusätzlich.
Fazit: Willkommen zurück in der Realität
Sind die Dinge tatsächlich so dramatisch, wie es oft dargestellt wird? Medien profitieren von Krisen, da schlechte Nachrichten höhere Aufmerksamkeit generieren. Historisch gesehen ist die mediale Krisenrhetorik selbst ein Kontraindikator: Vier aufeinanderfolgende Economist-Titel im April mit Untergangsszenarien für den US-Dollar und die US-Wirtschaft deuten eher auf ein Stimmungsmaximum in die falsche Richtung hin. Anleger tun gut daran, das große Ganze differenziert zu betrachten und sich von Schwarz-Weiß-Narrativen zu distanzieren. Ein Wandel der Weltordnung braucht Zeit, die in Jahrzehnten oder Jahrhunderten gemessen wird. Selbst Ray Dalio betont, dass historische Machtwechsel typischerweise mehrere Jahrzehnte dauern. Eine Weltordnung, die seit fast einem Jahrhundert Bestand hat, verschwindet nicht innerhalb weniger Monate. Anleger sollten sich zwar auf langfristige Veränderungen einstellen, jedoch Panik oder vorschnelles Handeln vermeiden. Klar ist jedoch: Anleger müssen jetzt wieder genauer hinschauen. Risikomanagement und ein sinnvolles Risikobudget sind wichtiger denn je. Die Zeiten, in denen ein einfacher MSCI-World-oder Nasdaq-ETF alles richten konnte, sind vorbei – willkommen zurück in der Realität. Wer erfolgreich navigieren will, braucht jetzt wieder eine durchdachte Strategie, die geopolitische Risiken und Chancen gleichermaßen berücksichtigt und vor allem auf das eigene Anlegerprofil gepaart mit einem realistischen Anlagehorizont abstimmt. Genau darin sehen wir als Vermögensverwalter und Asset Manager unsere Aufgabe.
