„Wie das Internet die Kundenbeziehung revolutioniert“

Viele Versicherungsvermittler betrachten das Social Web lediglich als neuen, bedrohlichen Vertriebsweg. Das ist allerdings zu kurz gesprungen, denn das Internet verändert die Spielregeln der Assekuranz dramatisch.

Gastbeitrag von Dr. Mathias Bühring-Uhle, Vorstandsmitglied des Gothaer Konzerns und zuständig für Asstel, Direktversicherer der Gothaer

Dr. Mathias Bühring-Uhle, Gothaer

Das Internet verändert die Spielregeln der Wirtschaft. Gerade Unternehmen wie Apple und Google zeigen, welche Strategien besonders erfolgreich sind. Auch soziale Netzwerke wie Facebook oder Xing spielen eine herausragende Rolle, da sie die Bildung von unternehmenseigenen Communities und das Empfehlungsverhalten stark fördern.

Obwohl die Versicherungsbranche eine eher traditionelle Branche ist, sind hier durchaus Parallelen sichtbar: Der Versicherungsschutz als individuelle Dienstleistung, Informationen als zentrales Kriterium der Preisfindung und der Versicherungsvertrag als digitalisierbares Produkt. Trotzdem betrachten viele Vermittler – ähnlich wie weite Teile der Branche – das Social Web lediglich als neuen, bedrohlichen Vertriebsweg. Das ist allerdings zu kurz gesprungen, denn das Internet verändert die Spielregeln unserer Branche dramatisch.

Einfluss der Vergleichsportale

Vergleichsportale verändern die Vertriebslandschaft, indem sie sich zwischen den Kunden und den Versicherer stellen. Nach Schätzungen wurde im Jahresendgeschäft 2012 rund die Hälfte aller Kfz-Verträge über das Internet abgeschlossen, davon circa 60 Prozent bei Vergleichsportalen. Eine von Asstel durchgeführte YouGov-Studie unter 1.000 Personen ergab zudem, dass jeder dritte Deutsche (27 Prozent) Vergleichsseiten im Internet grundsätzlich als Informationsquelle bei der Suche nach Versicherungen nutzt unabhängig davon, über welchen Kanal letztendlich der Vertrag abgeschlossen wird. Besonders junge Leute im Alter von 30 bis 35 Jahren (82 Prozent) nutzen diese Möglichkeit. Die Ankündigung, dass Google in diesem Jahr ein eigenes Kfz-Vergleichsportal in Deutschland launchen wird, sorgt bereits für erhebliche Unruhe in der Branche.

Einfluss von Suchmaschinen

Neben den Vergleichsportalen dominiert maßgeblich die Suchmaschine Google. Der Suchbegriff „Versicherung“ (und verwandte Begriffe) gehört mittlerweile zu den wertvollsten Adwords im Google-Universum. Schätzungen von Wordstream – Spezialist für Suchmaschinenmarketing – aus 2011 besagen, dass Google in den USA an jedem durch die Suchmaschine vermittelten Versicherungsvertrag circa 100 US-Dollar verdient. Zudem lässt sich beobachten, dass die Suchanfragen zu Versicherungsthemen seit fünf Jahren beständig um durchschnittlich 20 Prozent im Jahr steigen. Um möglichst hohe Abschlusskosten zu erzielen, überbieten sich Versicherer und Vergleichsportale besonders im Kfz-Geschäft zur Wechselfrist.

Bessere Analyse der Kundenbedürfnisse ermöglicht Maßschneidern

Kundenbedürfnisse können auf Grundlage einer breiten Informationslage besser analysiert und befriedigt werden. Das Internet bietet zudem neue Möglichkeiten der Individualisierung von Produkten (Mass Customization). Der Verbraucher kann individuelle Produktanforderungen definieren, die über standardisierte Prozesse zu einem aus Kundensicht einzigartigen Produktbündel zusammengeführt werden.

Nach Abschluss werden neue Technologien relevanter

Neue Internet-Technologien gewinnen nach Abschluss eines Versicherungsvertrages zunehmend an Relevanz. Die Möglichkeit große Datenmengen zu analysieren wirkt sich dabei besonders auf die Kundenbetreuung, Kampagnensteuerung, das Cross-Selling und weitere Dienstleistungen aus. Zudem nutzen Verbraucher soziale Netzwerke als Service- und Feedback-Kanal. Die entstehenden Bewertungen werden zukünftig Einfluss auf die Entwicklung der klassischen Internetsuche nehmen.

eCall fordert Versicherer heraus

Zu diesen vier genannten Bereichen kommt der Einfluss anderer Branchen auf die Versicherungswirtschaft – zum Beispiel der eCall in der Automobilbranche – , der ebenfalls Veränderungen hervorrufen wird. Modernste Sensoren werden künftig in Autos zu einem analytischen System verbunden. Diese erfassen bei einem Unfall die Schadenschwere am Fahrzeug und mögliche Verletzungen der Insassen und geben diese Informationen zusammen mit dem Standort an die Hilfskräfte weiter. Für die Versicherer eine gefährliche Situation, da die Automobilhersteller die Unfallwagen in die eigenen Werkstätten transportieren, Informationen selbst auswerten und für eigene Versicherungsangebote nutzen. Die Automobilhersteller halten das System unter Verschluss, während die Versicherer nur versuchen können, die Kontrolle nicht vollständig zu verlieren.

Wer kontrolliert künftig die Kundenbeziehung?

Vor dem Hintergrund dieser tiefgreifenden Veränderungen stellt sich eine zentrale Frage: Wer kontrolliert zukünftig die Kundenbeziehungen? Zwei Antwortrichtungen sind vorstellbar:

1. Rückzug auf Zulieferer-Rolle

Diese Richtung verweist auf die Kernkompetenzen der Versicherer: Risikobewertung, Bereitstellung von Risikokapital und Aufbau von Abwicklungsplattformen. Eine Äußerung des Vorstandes der Talanx-Gruppe, die mit Mercedes Benz kooperiert, zeigt bereits erste Entwicklungen. Seiner Meinung nach sollten sich Kfz-Versicherer nur noch als Zulieferer der Automobilbranche verstehen und die Positionierung der eigenen Marke im Interesse der Kooperation aufgeben.

2. Schaffung proprietärer Systeme

Bei diesem Ansatz bekommt der Kunde ein geschlossenes Universum à la Apple an Lösungsangeboten aus den Bereichen Versicherungen und Dienstleistungen. Dem Versicherer obliegt somit die volle Kontrolle der Kundenbeziehung. In der Versicherungsbranche gibt es bislang kein vergleichbares System wie das von Apple, es wird aber daran gearbeitet. Für die Umsetzung dieses zweiten Handlungsstrangs spielt der Ausbau von Multikanal-Vertriebssystemen eine große Rolle. Versicherer mit einer Ausschließlichkeitsorganisation haben dabei einen natürlichen Vorteil.

Beide vorgestellten Richtungen sind sehr unterschiedlich bezüglich der Strategien und Unternehmenskulturen. Und ein Trend, sei es auf Ebene der Branche oder der einzelnen Unternehmen, lässt sich derzeit nicht ausmachen. Die unterschiedlichen Anforderungen an das Management, die Unternehmenskultur und die Unternehmenssteuerung machen eine Zweigleisigkeit aber langfristig schwierig. Es bleibt abzuwarten, welcher Weg sich durchsetzen wird.

Autor Dr. Mathias Bühring-Uhle (47) ist studierter Diplom-Kaufmann und Vorstand der Gothaer Versicherungsbank VVaG, Gothaer Finanzholding AG, Asstel Lebensversicherung AG sowie der Asstel Sachversicherung AG

Foto: Gothaer

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