Versorger: Profiteure der Energiekrise in Europa?

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Hagen Ernst, DJE Kapital AG

Die Energiepreise kennen derzeit nur eine Richtung, nach oben. Viele Experten sprechen bereits von einem neuen Superzyklus in den Sektoren Energie und Rohstoffe. Sind Versorger tatsächlich die Gewinner der Krise?

Bereits seit September 2020 sehen wir stetig steigende Strompreise an den Terminbörsen. Der Strompreis war zunächst primär getrieben durch den steigenden CO2-Preis seit März 2020. Damals wurde der Tiefpunkt markiert, weil die Industrie und die Mobilität coronabedingt stillstanden und es folglich kaum Emissionen gab. Kostete die Tonne CO2 2021 im Durchschnitt noch 56 Euro pro Tonne, sind es aktuell bereits über 80 Euro, und viele Analysten erwarten einen weiteren Anstieg auf über 100 Euro pro Tonne. 

Um bis 2030 eine Reduzierung des CO2-Ausstoßes in Europa um 55 Prozent zu erzielen, ist ein weiterer Preisanstieg politisch gewollt und soll durch eine stetige Verknappung der CO2-Zertifikate bewirkt werden. Hinzu kommt, dass die europaweite Gasknappheit sowie die Abschaltung deutscher Atomkraftwerke dazu geführt haben, dass wieder mehr Strom aus Kohlekraftwerken produziert wurde, welche wiederum mehr CO2-Zertifikate benötigen. Erschwerend hinzu kommen steigende Preise bei wichtigen Rohstoffen. 

Ukrainekrise und Nord Stream II bestimmen den Gaspreis

Ein Barrel Rohöl der Sorte Brent verteuerte sich vom „Corona-Tief“ von ca. 20 Dollar auf aktuell 90 Dollar. Der Gaspreis explodierte vor allem infolge geringerer Gaslieferungen aus Russland auf in der Spitze 180 Euro/MWh im Dezember und liegt aktuell bei ca. 92 Euro/MWh, einem immer noch sehr hohen Niveau. Sicherlich sollte sich der Gaspreis spätestens ab April wetterbedingt etwas normalisieren, ob er aber wieder auf ein Niveau von 30-60 Euro/MWh, so die Einschätzung vieler Marktteilnehmer, zurückkommt, bleibt abzuwarten. Im Wesentlichen wird die Entwicklung des Gaspreises vom weiteren Verlauf der Ukrainekrise sowie der Genehmigung von Nord Stream II abhängen. Sollte es zur Entspannung in der Ukrainekrise sowie einer Genehmigung von Nord Stream II kommen, hätte das eine Normalisierung des Preisniveaus zur Folge. 

Europa und hier vor allem Deutschland sind und bleiben nach wie vor in besonderem Ausmaß von russischem Gas abhängig: So bezog beispielsweise Deutschland 2020 mehr als 55 Prozent seines Erdgasbedarfs aus Russland. Ein Ausfall bzw. ein Boykott russischen Gases kann weder durch den zweitgrößten Lieferanten Norwegen, der ca. 30 Prozent des benötigten Gases liefert, noch durch Flüssiggas-Importe aus den USA ausgeglichen werden. Sollten also in Folge des Ukraine-Konflikts Gaslieferungen aus Russland in größerem Umfang ausfallen, ist mit erneut stark steigenden Gaspreisen zu rechnen, mit entsprechenden preissteigernden Auswirkungen auf den Strompreis. Eine Eskalation im Ukraine-Konflikt würde die Energiekrise in Europa wohl massiv verschärfen.

Nicht nur der Ukrainekonflikt, sondern auch der Ausfall einiger französischer Atomreaktoren gefährden die Versorgungssicherheit

Zusätzlich verschärft worden ist die Energiekrise in Europa durch den temporären Ausfall wichtiger Nuklearreaktoren bei Électricité de France (EdF). Atomstrom ist mit einem Anteil von 30 Prozent gegenüber 15 Prozent im weltweiten Durchschnitt immer noch das Rückgrat der europäischen Stromproduktion. Mehr als die Hälfte des Atomstroms kommt aus Frankreich. Atomstrom ist nach dem europaweiten sukzessiven Ausstieg aus der Kohleverstromung einer der letzten verbliebenen verlässlichen Erzeugungsquellen. Nach ungeplanten Stillständen und Revisionen bei Reaktoren in Civaux und Choox, musste EdF die Produktionsprognose für 2022 deutlich senken. Statt 330-360 TWh wird man nur 300-330 TWh Nuklearstrom liefern können. Die Ankündigung hat zu einem temporären Anstieg des Forward-Strompreises auf über 500 Euro/MWh für das 1. Quartal 2022 geführt. 

Aktuell steht der Forward-Kontrakt für Grundlaststrom bei 200 Euro/MWh, einem Niveau, welches weder für die Industrie noch für den Endverbraucher tragbar und daher nicht nachhaltig sein dürfte. Allerdings sind die Forward-Kontrakte für 2023 mit 120 Euro/MWh sowie für 2024 mit 90 Euro/MWh ebenfalls auf sehr hohen Niveaus. Zwar ist – sofern es nicht zu einer Eskalation im Ukraine-Konflikt kommt – mit einer Normalisierung des Gaspreises zu rechnen, jedoch ist die Stromversorgung in Europa nach wie vor angespannt, insbesondere im Falle eines vorgezogenen Kohleausstiegs. Nuklearstrom aus Frankreich ist das Rückgrat der Grundlasterzeugung in dieser Dekade. Die Reaktorflotte ist aber mit einem Durchschnittsalter von 35 Jahren nicht mehr die jüngste. Es ist daher nicht auszuschließen, dass weitere ungeplante Stillstände in den Folgejahren erforderlich sein werden. 

Europäische Stromversorger sollten vom hohen Strompreis profitieren

Vor dem Hintergrund sollte der Strompreis auf hohem Niveau verharren. Hiervon würden dann vor allem europäische Stromerzeuger wie Fortum, Verbund, RWE oder Uniper profitieren. RWEs Stromerzeugung fokussiert sich zwar mittlerweile auf erneuerbare Energien mit langfristig vertraglich festgesetzten Erzeugerpreisen. Jedoch ist die RWE-Aktie im Gegensatz zu den anderen Versorgern bislang nicht so stark gestiegen und profitiert zumindest teilweise von hohen Strompreisen. So ist in diesem Jahr knapp zehn Prozent der RWE-Stromproduktion für 2022 Jahr nicht „abgehedged“ und kann zu sehr hohen Preisen im Spotmarkt verkauft werden. Zudem ist ein Teil der Stromproduktion aus erneuerbaren Energien (14-17 TWh) frei verfügbar und kann am Markt ebenfalls zu hohen Preisen verkauft werden. Ferner besitzt RWE einen deutlichen Bewertungsabschlag zu anderen Stromerzeugern aus erneuerbaren Energien, welcher sich im Falle eines vorgezogenen Kohleausstiegs reduzieren kann. 

Von der angespannten Lage bei der Stromerzeugung könnten auch Hersteller von Windturbinen oder Gaskraftwerken profitieren. So litt z.B. Siemens Energy jahrelang unter der Investitionsrückhaltung europäischer Stromversorger in Gaskraftwerke, weil es sich nicht mehr rechnete. Die Belegschaft musste abgebaut werden. Nun muss die Politik aber handeln, um die Versorgungssicherheit in Europa nicht zu gefährden. Für einen vorgezogenen Kohleausstieg ist der Bau neuer Gaskraftwerke als Brückentechnologie erforderlich. Hier müssen festvergütete Kapazitätsmärkte analog zu Großbritannien geschaffen werden, um sichere Investitionsrahmenbedingungen zu schaffen.

Zudem ist ein schnellerer Ausbau der erneuerbaren Energien geboten. Hierfür benötigt man sowohl Solar als auch Wind. Beide Erzeugungsarten ergänzen sich gut, da Sonne vor allem im Sommer scheint, während Wind vor allem im Winter weht. Sowohl bei erneuerbaren Energien, vor allem Offshore Wind, als auch bei Gaskraftwerken, ist Siemens Energy gut positioniert. Die nächsten Quartale könnten jedoch aufgrund der aktuell noch schlechten Auftragslage und einiger hausgemachter Probleme in der erneuerbaren-Sparte Siemens Gamesa weiter schwierig bleiben. 

Außerordentlich gute Gewinnperspektive bei europäischen Öl- und Gastiteln

Außerordentlich gut stellt sich aktuell die Gewinnperspektive bei den europäischen Öl- und Gaswerten dar: Equinor aus Norwegen beispielsweise dürfte aufgrund der hohen Gaspreise im 4. Quartal 2021 ein historisches Rekordergebnis einfahren. Equinor kann in gewisser Weise als Hedge-Investment gesehen werden, wenn es zu einer Eskalation im Ukraine-Konflikt kommt. Kein anderes europäisches Öl- und Gasunternehmen dürfte eine so hohe Sensitivität zum Gaspreis haben wie Equinor.

Doch auch breiter aufgestellte europäische Öl- und Gaskonzerne wie BP, Royal Dutch Shell oder Total Energies profitieren von den hohen Öl- und Gaspreisen und dürften nicht nur sehr gute Zahlen für das 4. Quartal 2021 liefern, sondern auch im Gesamtjahr 2022 erneut hohe Gewinne generieren. Der freie Cash Flow dürfte dabei im Gesamtjahr 2021 einen historischen Rekordwert erreicht haben und könnte 2022 sogar noch übertroffen werden. 

Europas Öl-Multis stecken gerade in einem massiven Umbau, weg vom traditionellen Geschäft hin zu erneuerbaren Energien. Bis 2030 könnten diese bis zu 40 Prozent ihrer Investitionen in erneuerbare Energien stecken, etwas mehr als viermal so viel wie heute. Durch die aktuell sehr hohe Mittelgenerierung kann diese Transformation auch problemlos finanziert werden und im Vergleich zu einstigen Großprojekten im Öl- und Gasgeschäft sind die Investitionen in Wind- und Solarparks etc. auch nicht besonders groß. 

Der europäische Öl- und Gassektor wird inzwischen aus ESG- und Nachhaltigkeitsgründen von vielen institutionellen Anlegern gemieden. Rein aus dem Investitionsblickwinkel bleibt die Branche aber sehr spannend, denn ins klassische Öl- und Gasgeschäft wird wenig investiert, was auch für längerfristig hohe Ölpreise spricht. Darüber hinaus sind die Investitionen in erneuerbare Energien nicht so groß wie ehemalige Investitionen in große Öl- und Gasprojekte. Relativ gesehen sind Unternehmen wie Equinor oder Totalenergies bei der Transformation schon relativ weit fortgeschritten und in ihrer Branche auch mit am besten bzgl. der ESG- und Nachhaltigkeitskriterien bewertet.

Autor Hagen Ernst ist stellvertretender Leiter Research & Portfoliomanagement bei der DJE Kapital AG.

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