Oft liegen sie überkreuz. Aber beim Thema Arbeitskraftabsicherung sind sich Verbraucherschützer und Versicherer einig wie selten. Immer und immer wieder mahnen beide Seiten, argumentieren und versuchen gezielt, vorhandene Irrtümer auszuräumen. Das gelingt allerdings bei viel zu wenigen Berufstätigen. Denn vielfach ist es noch immer so: spätestens, wenn die Erkenntnis und die Bereitschaft im Beratungsgespräch auf den realen Preis treffen und das ganze mit dem gesundheitlichen Zustand des potenziellen Kunden abgeglichen wird, machen nicht wenige einen Rückzieher.
In der Tat ist eine Berufsunfähigkeitsversicherung alles andere als ein finanzielles Schnäppchen. So zahlt ein 28-jähriger Handwerksmeister, nennen wir ihn Tim, als Nichtraucher für eine BU-Versicherung mit einer Rente von 1.500 Euro im günstigsten Falle monatlich 66,52 Euro. Der teuerste Anbieter verlangt hier satte 298,86 Euro. Würde Tim als 28-jähriger Student der Betriebswirtschaftslehre eine BU-Versicherung über 2.000 Euro BU-Rente abschließen, müsste er zwischen 68,49 Euro und 140,09 Euro Monatsbeitrag kalkulieren.
Das ist viel Geld für eine Versicherung, bei der niemand weiß, ob er oder sie sie jemals in Anspruch nehmen wird. Beim Thema Berufsunfähigkeit und der Absicherung dagegen geht es viel um Wahrscheinlichkeiten und falsche Bilder. Eine Erhebung der Deutschen Aktuarvereinigung aus dem Sommer 2021 zeigt, dass jeder vierte der rund 45 Millionen Berufstätigen im Laufe seines Berufslebens mindestens einmal BU wird. Laut DAV gibt es aber gerade einmal 17 Millionen BU-Verträge in Deutschland.
Dem gegenüber stehen rund 27,5 Millionen Erwerbstätige, die ihre Arbeitskraft nicht abgesichert haben. Für den Versicherungsmathematiker und Vorstand der Deutschen Aktuarvereinigung Dr. Guido Bader sind die Zahlen Grund genug, Alarm zu schlagen. „Vor 20 Jahren war noch die Erklärung, dass die Jahrgänge bis 1963 durch die gesetzliche Erwerbsminderungsrente geschützt waren. Das hilft dem Gros der Arbeitnehmer heute nicht mehr. Insofern ist die niedrige Absicherungsrate in meinen Augen dramatisch. Die Leute sind sich des Risikos nicht wirklich bewusst“, mahnt Bader.
Die Aussagen decken sich mit einer repräsentative Studie der Continentale Versicherung zum Thema BU. Dort sahen gerade einmal 16 Prozent der Befragten für sich die Gefahr, berufsunfähig zu werden.
„Die meisten scheiden nur temporär aus dem Berufsleben aus – für ein, zwei, drei oder vier Jahre wegen Burnout, Stress oder Krebs“
„Es mangelt an der Einsicht. Leider gibt es genug, die das Risiko, berufsunfähig zu werden, für gering halten. Gerade Bürotätige meinen, sie seien sicher. Stress, Burnout, Bewegungsmangel – all das kann zur Berufunfähigkeit führen. Die Gefahr wird tendenziell unterschätzt“, sagt Thomas Lerch, Manager im Produktmanagement bei Canada Life im Cash. Extra Arbeitskraftabsicherung.
Keine Einzelmeinung. „Auch wir stellen fest, dass viele beim Thema Berufsunfähigkeit ein völlig falsches Bild haben. Viele denken, morgen passiert etwas, und dann kann ich 30 Jahre nicht mehr arbeiten“, ergänzt Steffen Hammer, Manager Marktbearbeitung bei Swiss Life Deutschland. Solche Fälle hat der Versicherer auch im Bestand. Allerdings seien die meisten Fälle eher temporär aus dem Berufsleben ausgeschieden. „Für ein, zwei, drei oder vier Jahre wegen Krebs, Burnout oder einer depressiven Phase.“
Psychische Erkrankungen oder Rückenprobleme sind mittlerweile Hauptursache für eine Berufsunfähigkeit. Wer „Ursachen für Berufsunfähigkeit“ als Suchbegriff bei Google eingibt, erhält binnen einer halben Sekunde rund 239.000 Treffer angezeigt. Doch warum verkennt oder ignoriert die berufstätige Bevölkerung das latente Risiko einer Berufsunfähigkeit und verzichtet auf die eigentlich notwendige Absicherung. Für die breite Mehrheit ist es schlichtweg eine Frage des Geldes, wie eine Metallrente-Studie zeigt.
Immerhin 38 Prozent der dort Befragten sagten, dass ihnen letztlich die finanziellen Mittel für die Absicherung fehlten. Jeder Dritte ohne Absicherung gab aber auch an, sich nicht oder nicht genug mit dem Thema beschäftigt zu haben oder einfach zu wenig darüber zu wissen. Und das erklärt letztlich auch ein weiteres Ergebnis der Umfrage. Der berufstätige Teil der Bevölkerung ist schlichtweg schlecht informiert über die vielfältigen Möglichkeiten zur Absicherung der Arbeitskraft.
Die BU ist bekannt, die Alternativen deutlich weniger
Wer bei Google sucht, findet massig Informationen. Warum die Fakten dennoch kaum bekannt sind, bleibt ein Rätsel. Einig sind sich die Experten, dass hier die Beraterebene massiv gefordert ist. Zumindest bei der BU-Versicherung treffen die Vermittler auf informierte Kunden. 88 Prozent der Menschen kennen das Produkt, auch das zeigte die Umfrage der Metallrente. Alternative Produkte hingegen finden eher wenig den Weg in die öffentliche Präsenz; So haben beispielsweise bisher nur 22 Prozent der in der Metallrente-Studie befragten etwas von der Grundfähigkeitsversicherung gehört.
Noch geringer sieht es mit dem Bekanntheitsgrad von Absicherungsprodukten wie der Multi-Risk-, Dread-Disease auch bekannt als Schwere-Krankheiten-Versicherung oder der Erwerbsunfähigkeitsversicherung aus. Und genau hier muss die Beratung ansetzen, darin waren sich die Teilnehmer des Cash. Extra-Expertengesprächs, nachzulesen auf den kommenden Seiten, einig. Denn die Berufsunfähigkeitsversicherung ist etwa wegen des Preises oder gesundheitlicher Einschränkungen nicht immer für jeden das optimale Produkt.
Glücklicherweise zeigen sich die Anbieter hier sehr innovativ. „Wir sind froh, dass die Palette mittlerweile deutlich weiter gefächert vor ein paar Jahren, als es nur die BU gab“, sagt Hammer. Mittlerweile konkurrieren Grundfähigkeits-, Schwere Krankheiten oder Erwerbsunfähigkeitsversicherungen sowie funktionale Invaliditätsversicherungen um die Gunst der Kunden.
Grundfähigkeit entwickelt sich zunehmend zur Alternative
Insbesondere die Grundfähigkeitsversicherung (GFV)wird zunehmend als gute, bedarfsgerechte Lösung im Markt angesehen. Das Produkt hat sich zu einer attraktiven Alternative zur BU entwickelt. Im Jahr 2000 hatte Canada Life erstmals die GFV auf dem deutschen Markt präsentiert. Damals galt der Versicherer mit dem Produkt und dem Tarifen noch als Pionier, sagt Lerch.
Und hat sich damit einen Namen in der Branche gemacht. Inzwischen wetteifern mehr als 15 Versicherer mit ihren Grundfähigkeitsversicherungstarifen und unterschiedlichsten Leistungskatalogen auf dem Markt um die Kunden. „Die Grundfähigkeit bietet die Möglichkeit, ganz bestimmte Fähigkeiten abzusichern. Das sind oftmals Fähigkeiten die ich im handwerklichen Bereich benötige“, erklärt Jan Roß, Bereichsvorstand Makler bei der Zurich Gruppe Deutschland.
Hierfür ist das Produkt wegen der exakten Definition der Grundfähigkeiten prädestiniert. Allerdings warnen die Experten im Roundtable davor, dass Produkt grundsätzlich mit handwerklichen Berufen zu verknüpfen. „Das ist viel zu kurz gesprungen.“ Swiss Life habe nicht wenige Kunden, die zwar eine BU abschließen könnten, aber mit der abstrakten Definition der BU-Versicherung und dem 50-prozentigen BU-Grad nicht viel anfangen können. „Die Definition der Grundfähigkeiten ist dagegen so plastisch, dass die Kunden praktisch selbst zuhause testen können, ob sie Leistungsfall sind, oder nicht“, sagt Hammer.
„Die Definition der Grundfähigkeiten ist so plastisch, dass Kunden zuhause selbst testen können, ob sie Leistungsfall sind oder nicht“
Dass es hier im Gegensatz zur BU-Versicherung keinen einheitlichen Leistungskatalog gebe, sei für das Produkt, Anbieter und Kunden kein Nachteil. „Wem nutzt diese Homogenität. Es ist letztlich die große Crux, warum die BU heute so aussieht, wie sie aussieht. Dazu haben die Ratings geführt. Wenn das gleiche Schicksal der Grundfähigkeitsversicherung blüht, sehen die Produkt am Ende gleich aus“, sagt Canada Life-Produktmanager Lerch. Die Heterogenität sei vielmehr eine Chance, ergänzt Hammer. „Davon profitieren wir als Anbieter ebenso wie die Kunden. Ich sehe aber auch einen ganz wichtigen Auftrag an für alle Vermittlerinnen und Vermittler, hier Aufklärungsarbeit zu leisten. Denn es gibt einen großen Platz für die noch relativ unbekannte Grundfähigkeitsversicherung“, resümiert der Experte. (dr)