Ab 2021 wird nachhaltiges Investieren in der Finanzbranche in ganz Europa zum Megathema. Cash. sprach mit vier Experten über die Bedeutung des Themas während und nach der Corona, das Fehlen von Branchenstandards, die Gefahren des Greenwashing und das vertriebliche Potenzial.
Die Corona-Pandemie hat die Finanzmärkte fest im Griff und verursachte bereits in vielen Branchen zum Teil dramatische Zäsuren. Wie hat sich die Pandemie auf das Segment nachhaltiger Investments ausgewirkt?
Göhner: Durch Corona hat die Nachfrage nach der GrüneRente, unserer nachhaltigen Altersvorsorge, noch einmal einen ganz neuen Schwung erhalten. Im vergangenen Jahr hatte die GrüneRente einen Anteil von zehn Prozent am Neugeschäft, in diesem Jahr werden es schätzungsweise 20 Prozent werden. Durch Corona rücken die Themen Gesundheit und Sicherheit massiv in den Vordergrund. Die Sensibilität für die finanzielle Absicherung der eigenen Zukunft ist merklich gestiegen.
Jäderberg: In unserem Geschäftsumfeld merken wir ein exponentiell gestiegenes Interesse, ein „must have“ von Nachhaltigkeitsqualität seitens Anlegern jeglichen Typs. Aber durch die Langfristigkeit unseres Projekts herrscht noch eine kurzfristige Zurückhaltung, solange die Unsicherheit und fehlende Planbarkeit der wirtschaftlichen Konsequenzen der Pandemie vorherrschen.
Reetz: Abgesehen von den Hygienekonzepten in unserem Unternehmen, die natürlich unsere Abläufe und unsere gesamte Kommunikation vor neue Herausforderungen gestellt haben, ist unser Geschäft und vor allem sind unsere Projekte von Covid-19 nicht betroffen. Das gilt sowohl für unsere Windparks als auch für die Gezeitenkraftwerke, die wir bauen und betreiben, sowie im Vertrieb. Die Nachfrage von Kunden nach unseren grünen Geldanlagen ist ungebrochen. Es gab keinerlei Umsatzeinbrüche durch Corona. Im Gegenteil, wir erfahren täglich, dass der Markt kräftig wächst. Vertrieblich haben wir einen deutlichen Anstieg zu verzeichnen. Corona scheint eine neue Nachdenklichkeit über das Morgen auch aus Investorensicht ausgelöst zu haben. Kunden fragen sich verstärkt, was ist zukunftsfähig. Zudem sind viele mehr zu Hause und haben Zeit, sich mit den Investments zu beschäftigen. Insofern ist die Entschleunigung für unser Geschäft durchaus positiv.
Eitle: Bezogen auf unsere Projekte gibt es in keiner Weise eine negative Beeinflussung durch Corona, im Gegenteil. Auf der Projektentwicklungsseite haben wir eine ganze Reihe von Angeboten. Gerade Corona wird dazu beitragen, dass viele Projektentwickler händeringend nach Investoren suchen, um Projekte weiterzuentwickeln. Durch aktuelle Projektentwickungsfonds mit Anlagen in Japan und den USA haben wir Mittel zur Verfügung, und entsprechend haben wir viele Projekte gewinnen können, die wir umsetzen werden. Vertrieblich lagen wir Stand 30. Oktober ca. 50 Prozent über der Leistung des Jahres 2019. Das ist schon eine erstaunliche Entwicklung, die wir mit Beginn der Pandemie so nicht erwartet hätten. Im Retailbereich haben wir dieses Jahr bereits über 40 Millionen Euro einsammeln können. Im institutionellen Bereich ist die Nachfrage extrem hoch. Wir haben viele Versorgungswerke, Versicherungen, die direkt auf uns zukommen und wir werden in den kommenden zwei Jahren viele Projekte in den USA, in Japan und auch in Deutschland umsetzen.
Losgelöst von Corona wird im Markt oft kolportiert, dass nachhaltiges Investieren von den konjunkturellen Entwicklungen unabhängig sei. Inwieweit würden Sie dem zustimmen?
Reetz: Tatsächlich ist der Trend zu mehr Nachhaltigkeit doch ein wichtiger Impuls für die Konjunktur. In Gesellschaft, Politik, Wirtschaft und in der Industrie findet ein Umdenken statt. Insofern sehen viele, dass nachhaltige Investments einfach sinnvoll sind, sowohl aktuell für uns selbst, aber auch für die nachfolgenden Generationen. Allerdings werden bestimmte Investitionen nur getätigt, wenn sie auch entsprechende Renditen erwirtschaften. Da ist es erfreulich, dass die Politik mit den neuen Corona-Konjunkturpaketen auch zahlreiche nachhaltige Zukunftssektoren fördert. In Deutschland soll rund ein Viertel der Investitionen in den Klima- und Energiebereich fließen. Kanada zum Beispiel geht sogar so weit, staatliche Hilfen nur gegen Klimaauflagen zu gewähren. Mit Blick auf unseren Markt ist jedoch zu ergänzen, dass Sachwertinvestitionen, die vertraglich über PPAs geregelt sind, weitgehend konjunkturunabhängig laufen. Beispielsweise unsere Gezeiten- kraftwerke in Kanada oder auch die Windparks in Finnland. Die Tarifvereinbarungen laufen einfach ihre fünfzehn bis zwanzig Jahre durch. Förderprogramme in den einzelnen Ländern sind hingegen nicht von der Konjunktur losgelöst.
Jäderberg: Wie immer, ist eine differenzierte und punktuelle Betrachtung geboten. Wenn ich zu einer Pauschalantwort gedrängt werde, würde ich sagen, dass Geschäftsmodelle, die langfristig ökologische und soziale Wirkungen berücksichtigen oder gar darauf ausgerichtet sind, langfristig stabiler sind. Trotzdem bleibt Nachhaltigkeit nicht losgelöst von wirtschaftlichen Aspekten eines Geschäfts, sondern sind integriert, erweitern eigentlich nur den Betrachtungsrahmen, wie zukunftsträchtig und zukunftskompatibel das Geschäftsmodell ist. Umso substanzieller ist die Geschäftsprognose. Wiederum, wenn man unter nachhaltigem Investieren den Etikettenschwindel des Kapitalmarkts versteht, hat das einerseits keine Verankerung in der Wirklichkeit, andererseits wirkt dafür die selbsterfüllende Prophezeiung mit den Gefahren einer Tulpenmanie oder des Neuen Markts.
Wie sind die politischen Rahmenbedingungen in den USA? Präsident Donald Trump ist ja nicht unbedingt als Freund von Nachhaltigkeitsthemen bekannt.
Eitle: Die Energiepolitik wird in der Tat auf Bundesstaatenebene entschieden. Da hat Donald Trump eher wenig Einflussmöglichkeiten. Lediglich der steuerliche Vorteil, den es über die gesamte USA gibt, kann beeinflusst werden. Allerdings läuft er in der jetzigen Form 2023 aus. Der zukünftige Präsident hat sich positiv bezüglich erneuerbarer Energien geäußert und wir erwarten, dass sich die Lage nur weiter verbessern kann. Wir haben in fast allen Ländern vorrangige Netzeinspeisung von erneuerbaren Energien. Das bedeutet, bevor Atomstrom, Kohlestrom etc. eingespeist werden kann, wird zunächst der Strom aus erneuerbaren Quellen genutzt. Letztendlich haben wir auch einen großen Vorteil in der nachhaltigen Stromgewinnung im Bereich Photovoltaik. Wir sind nicht nur konjunkturunabhängig, sondern stellen in einem Portfolio auch eine Diversifikation dar, und können es absichern, weil wir letztlich den wirtschaftlichen Gegebenheiten trotzen.
Göhner: Nachhaltige Kapitalanlagen tragen oftmals auch zur Risikoreduktion bei. Außerdem haben Studien gezeigt, dass nachhaltige Anlagen im Vergleich zu konventionellen mindestens eine gleichwertige, teils aber sogar eine höhere Rendite erzielen. Nehmen Sie zum Beispiel den MSCI World Index. Gerade in Krisenzeiten hat sich die nachhaltige Variante dieses Index deutlich besser entwickelt als die konventionelle. Solche Effekte sieht man auch bei anderen Anlageklassen.
Eitle: Das ist ein ganz wichtiger Punkt, Nachhaltigkeit und Rendite stehen nicht im Widerspruch. Ich denke, wer sich heute nicht nachhaltig ausrichtet, wird in Zukunft auch keine entsprechende Rendite mehr liefern können. Das hat die Entwicklung gezeigt.
Reetz: Das kann ich nur unterstreichen. Nachhaltigkeit birgt am Finanzmarkt aussergewöhnliche Renditechancen, Nachhaltigkeit wird über kurz oder lang vor allem das neue Normal sein.
Noch immer gibt es keinen einheitlichen Standard, was unter Nachhaltigkeit zu verstehen ist. Lediglich ein ganzes Heer an Nachhaltigkeits-Siegeln verwirrt Anleger und Vertrieb eher. Inwieweit plädieren Sie für einen einheitlichen Standard im Markt?
Göhner: Auch in Zukunft wird es unterschiedliche Standards geben. Die Assetklassen und Produkte sind zu unterschiedlich in ihrer Konstruktion – im nationalen wie im internationalen Vergleich. Wie schwierig die Definition eines einheitlichen Standards ist, zeigt sich ja gerade bei der europäischen Kommission, wo die Abstimmungen noch laufen. Aber mit dem Problem unterschiedlicher Standards ist die Finanzbranche nicht allein. Das beste Beispiel ist der Lebensmittelbereich. Auch dort existiert nicht der eine Ökostandard, sondern es gibt eine ganze Reihe davon.
Reetz: Leider muss ich Ihnen absolut Recht geben. Deshalb würde ich eher einen pragmatischen Ansatz wählen. Auf EU-Ebene sollte ein Rahmen vorgegeben und auf einzelne Branchen und Verbände heruntergebrochen werden. So ließen sich Standards für bestimmte Branchen einführen. Herr Eitle ist mit seinem Unternehmen weltweit engagiert, wir sind auch in verschiedenen Ländern Amerikas oder Europas unterwegs. Insofern nützt es uns natürlich nichts, wenn wir nur einfache Standards in Deutschland haben. Vielmehr brauchen wir Benchmarks, die international funktionieren und so auch eine gewisse Vergleichbarkeit ermöglichen. Dabei sollte Europa und auch Deutschland nicht wieder über das Ziel hinausschießen wie bei der Ein- führung des KAGB vor ein paar Jahren. Das hat die Finanzbranche in Deutschland im internationalen Wettbewerb aus dem Rennen geschossen. Das darf uns mit einem solchen Standard nicht wieder passieren.
Göhner: Der Wunsch nach einem Nachhaltigkeitssiegel ist verständlich und im Prinzip sinnvoll. Die Herausforderung liegt in der Tat im Detail, in der Messbarkeit und Vergleichbarkeit. Wie viel ist das Retten einer vom Aussterben bedrohten Spezies wert, verglichen mit der Schließung eines Kohlekraftwerks? In Deutschland prädestiniert sehe ich grundsätzlich die FNG e.V., das Forum Nachhaltiger Anlagen, die sich nunmehr seit fast 20 Jahren als seriöse, treibende Kraft etabliert hat. Allerdings bin ich kritisch ob ihres System- und Denkfehlers, Aktienfonds und ETFs als nachhaltig einzuschätzen.
Eitle: Wir sind Mitglied der Principles for Responsible Investments, die von der UNO 2006 aus der Taufe gehoben wurden – die UNPRI. Dieser Standard definiert UN- Nachhaltigkeitsziele, die auf den Weg gebracht werden sollen und letztendlich auch in Geldanlagen integriert werden sollen. Darüber hinaus sind wir Mitglied beim FNG Forum Nachhaltige Geldanlagen. Aber ich gebe Ihnen Recht, Standards oder ein Verbraucherlabel für nachhaltige Finanzanlagen gibt es derzeit nicht, obgleich es natürlich wünschenswert wäre. Ich glaube aber auch nicht wirklich dran, dass es diesen in naher Zukunft geben wird. Durch UNPRI und andere ist das Thema aber zumindest einmal angeschoben und es wäre wünschenswert, wenn diese bei nachhaltigen Geldanlagen auch beachtet werden.
Ist UN PRI auch ein Thema für Sie, Herr Göhner?
Göhner: Mit Initiativen wie UNPRI beschäftigen wir uns seit langem. Gleichzeitig haben wir uns aktuell entschieden, konkret und transparent zu dokumentieren, nach welchen Anlagegrundsätzen wir unsere Kapitalanlagen selektieren und in welche Kapitalanlagen wir derzeit investiert sind. Die Nachhaltigkeit unserer Kapitalanlagen lassen wir regelmäßig durch das unabhängige Institut für nachhaltiges, ethisches Finanzwesen, kurz INAF e. V., überprüfen.
Standard hin oder her. Inwieweit braucht der Vertrieb solche Leitplanken, um beim Thema in der Spur zu bleiben?
Reetz: Die aktuelle Erfahrung zeigt, dass man nachhaltige Investments auch ohne Standards und Siegel verkaufen kann. Einheitliche Standards, die man transparent in den Markt bringt, würden die Akzeptanz für grüne Geldanlagen jedoch noch weiter erhöhen und die Nachfrage ankurbeln. Es ließen sich sicher weit mehr Kunden dafür begeistern, nachhaltig, zum Beispiel in regenerative Energien, zu investieren.
Eitle: Ab dem nächsten Jahr wird Nachhaltigkeit in der Finanzberatung eine zentrale Rolle spielen. Man muss den Kunden dann darauf hinweisen, man muss ihn fragen, ob er ethisch, nachhaltig, wie auch immer investieren möchte. Es wird für den Vertrieb ganz sicher schwieriger werden, wenn es keine Orientierungsmöglichkeiten gibt. Praktikabel und auch notwendig wäre dann tatsächlich eine Qualifikation eines Produkts, das es dann als nachhaltig definiert wird. Ich gehe sogar so weit zu sagen, dass das Thema Nachhaltigkeit künftig aus dem magischen Dreieck – Rendite, Sicherheit, Laufzeit – ein magisches Viereck machen wird. Letztendlich werden und wollen wir als Finanzhaus auch den Vertrieb entsprechend unterstützen und auch schulen, damit er in der Praxis, beim Kunden vor Ort mit dem Thema Impact Investing punkten kann.
Reetz: Sie haben Recht – das magische Dreieck der Investition wird mit den ESG-Kriterien zum Quadrat. Dennoch sind Standards wichtig. Dies zeigt ein Blick in die Immobilienwelt. Dort wird oft mit dem Schlagwort Green Building geworben, und am Ende des Tages hat das Gebäude dann lediglich eine Solaranlage auf dem Dach. Dafür fehlt mir jegliches Verständnis. Sollte das zum Beratungsstandard werden, ist das natürlich völlig unzureichend im Sinne der Nachhaltigkeit der Immobilie. Insofern brauchen wir aus meiner Sicht schon professionelle und breit anerkannte Standards für nachhaltige Investments.
Eitle: Ich stimme Ihnen zu, beim Thema Nachhaltigkeit gibt es viele Fehlentwicklungen, angefangen von Beschönigungen, Verschleierungen, Falschaussagen, bis hin zu diversen Bio- und Öko-Labels, die den Kunden sehr viel mehr verunsichern als noch vor vielen Jahren, als es vielleicht nur zwei, drei Labels gab. Ich hoffe, dass es so weit in der Finanzbranche nicht kommt.
Göhner: Wir haben die Erfahrung gemacht, dass es ein wachsendes Segment von Beratern gibt, die sich sehr intensiv und auch aus einer inneren Überzeugung heraus mit dem Thema Nachhaltigkeit beschäftigen. Diese Berater schauen sich das Produkt an und bewerten es selbst. Herausfordernder wird es für diejenigen Berater, die das Thema bislang nicht bedienen: Aufgrund der kommenden gesetzlichen Anforderungen werden auch sie Nachhaltigkeit zukünftig in ihren Informationen und ihrem Beratungsprozess berücksichtigen müssen. Für diese Berater sind Standards oder Ratings durchaus hilfreich.
Wie norden Sie Ihre Vertriebspartner derzeit auf das Thema Nachhaltigkeit ein, damit keine falschen Erwartungen bei den Kunden entstehen?
Göhner: Wir arbeiten ausschließlich mit unabhängigen Vermittlern. Die Vermittler entscheiden selbst, wie sie das Thema Nachhaltigkeit aufgreifen und ihren Kunden gegenüber kommunizieren. Transparenz ist der Schlüsselbegriff und von überragender Bedeutung. Soweit wir als Anbieter die Transparenz positiv beeinflussen können, tun wir dies. Wir dokumentieren unsere Anlageprinzipien und -grundsätze umfassend und sehr konkret. Und wir veröffentlichen jährlich unseren Anlagebericht. Wir werden im kommenden Jahr auch mit der Deutschen Makler Akademie einen neuen Expertenlehrgang starten, bei dem Vermittler sich zu Experten für nachhaltige Versicherungen und Finanzen ausbilden lassen können. Die kommenden gesetzlichen Anforderungen, aber auch die Vielschichtigkeit des Themas und die starke Kundennachfrage machen umfassende Schulungen notwendig.
Eitle: Ich gebe Ihnen durchaus Recht. Die Frage ist nur, Nachhaltigkeit betrifft nicht nur das Ziel-Investment oder das Asset an sich. Es gibt natürlich viele andere Aspekte, Sie haben es angesprochen, wie zum Beispiel die ganz wichtigen Aspekte „Social“ oder „Governance“. Auch darauf müssen wir Wert legen, wenn wir unsere Lieferketten betrachten. Unsere Solarmodule kommen zum großen Teil aus China. Ich kenne dort tatsächlich Anbieter, die nicht unserem Nachhaltigkeitsdenken entsprechen und die wir deshalb ablehnen müssen. Es gibt also sehr viele Faktoren, die eine Rolle spielen. Jedes Unternehmen ist anders aufgestellt, weshalb eine allgemeingültige Definition von ESG kaum möglich ist. Es ist zweifellos wichtig, dass wir Unternehmen für die Zukunft in den jeweiligen Bereichen auf ESG ausrichten. Wir müssen aber auch vom aktuellen Status quo ausgehen, in dem sie sich befinden. Nur dann können wir letztendlich nachhaltig eine Verbesserung er- reichen.
Reetz: Genau weil man nicht alles über einen Kamm scheren kann, habe ich eingangs für Standards plädiert, die für bestimmte Branchen gelten sollten. Das wäre dann die Aufgabe unabhängiger Ratingagenturen. Die Ergebnisse ließen sich transparent darstellen und wären auch authentisch. Letzteres ist im Übrigen auch in der Finanzberatung entscheidend. Wenn es zukünftig den ESG-Finanzberater gibt, sollte der sicherlich nicht im Ferrari beim Kunden vorfahren, um einmal ein plakatives Beispiel zu nennen. Es sind so viele kleine Facetten, die es zu beachten gilt. Als Unternehmen sollte man sich jetzt schon Gedanken machen, wie man sich zukünftig besser positionieren kann.
Jäderberg: Von immenser Bedeutung und zumeist völlig ignoriert wird bei der Betrachtung von Nachhaltigkeit, dass die meisten Investmentangebote eine Irreführung darstellen, insoweit der Anleger bzw. der Berater glaubt, dass hiermit tatsächlich in der Wirklichkeit zusätzliche Nachhaltigkeit bewirkt wird. Nein, zumeist bleibt das Kapital im Börsenkreislauf, lediglich die Besitzverhältnisse von Aktien werden getauscht. Es ist lediglich eine Wette auf Nachhaltigkeit, zumeist auf das überschätzte Wesen namens ESG, zwar eine gute Wette, aber nicht mehr. Hierüber muss aufgeklärt werden. Durch die Investmentphilosophie des Impact Investing sind wir auf dem richtigen Weg. Es kommt mir aktuell gar als eine Mission vor.
Viele Anbieter springen derzeit auf den „ESG-Zug“ auf. Nicht alle transportieren das Thema in der Beratung so, wie es angemessen und auch authentisch wäre. Wie sehr fürchten Sie den Aspekt Greenwashing und wie sehr kann es dem eigenen Geschäftsmodell schaden?
Göhner: Die Stuttgarter positioniert sich mit der GrüneRente bereits seit 2013 in der nachhaltigen Altersvorsorge. Als Pionier und der damit verbundenen langjährigen Erfahrung und mit unserer klaren Dokumentation der getätigten Kapitalanlagen stehen wir für eine glaubhafte und verlässliche Umsetzung der Nachhaltigkeit. Das Thema Greenwashing ist mit angemessener Ernsthaftigkeit zu diskutieren. Die Problematik dabei ist: Wer definiert, was nachhaltig ist und was nicht? Dazu hat jeder eine individuelle, persönliche Meinung. Ein viel diskutiertes Beispiel ist der Best-in-Class-Ansatz. Für manche ist dieser Ansatz zu lax, für andere vollkommen ausreichend. Hierin zeigt sich, dass es verschiedene Ansätze der Nachhaltigkeit gibt.
Eitle: Es wird vielen Unternehmen immer schwerer fallen, etwas zu behaupten, was letztendlich nicht stimmt. Die rechtlichen Vorgaben werden die Transparenz noch einmal deutlich erhöhen. Wir werden beispielsweise unseren ersten ESG-Report bis zum 10. März veröffentlichen und darin auch betonen, dass wir Impact Investments machen. Aber es stimmt, ich habe einige ESG-Reports von anderen Unternehmen gelesen und war teilweise über den Inhalt überrascht. Greenwashing wird definitiv ein Thema werden. Aber ich denke auch nicht, dass es mehr Bedeutung erlangen wird als in der Vergangenheit.
Reetz: Aus meiner Sicht ist Greenwashing sehr subjektiv. Solange wir keine Standards haben, können wir das auch nicht definieren. Jeder sagt von sich, ich habe mein eigenes Label, ich bin grün, ich bin nachhaltig, etc. Selbst für die grünen Finanzprodukte, die Green Bonds, gibt es nach wie vor keine Standards. Also woran kann sich ein Investor orientieren, wenn er in Green Bonds investieren möchte? Die EU ist gerade erst dabei, für diese Assetklasse Standards zu entwickeln.
Eitle: Es soll nächstes Jahr tatsächlich Standards geben, zumindest wann ein Produkt als nicht nachhaltig gelten kann. Das soll durch die Offenlegungsverordnung erreicht werden, die ab März in Kraft tritt. Das bedeutet, ich muss mich zumindest als Investmenthaus dahingehend qualifizieren, dass ich ein ESG-Strategieprodukt erreiche. Andernfalls werde ich zukünftig bei vielen Anlageentscheidungen, vor allem bei institutionellen Anlegern, nicht mehr punkten können.
Jäderberg: Sowohl die Fehlorientierung auf ESG, als auch das schwindende Gespenst des Greenwashing irritieren insoweit, als dass die Nachhaltigkeitsziele dadurch erreicht werden. Um diese zu finanzieren bedarf es jährlich etwa 2,5 Billionen US-Dollar an Investitionen. 2019 flossen etwa vier Billionen in selbsternannte Nachhaltige Investments. Allerdings kamen weniger als fünf Prozent davon bei Nachhaltigkeitsprojekten an. Hier liegt die Gefahr einer Ernüchterung mit Blaseneffekt, was die Finanzierung von Nachhaltigkeit erheblich durch Zeitverlust schaden kann. Und bei vielen Nachhaltigkeitsaspekten hat die Erde keine Zeit zu verlieren.
Siegel sind die eine Sache, eine andere Sache ist, wie sich das Unternehmen als solches darstellt. Wie wichtig ist es, als Marke mit starkem Bezug zum Thema Nachhaltigkeit wahrgenommen zu werden?
Göhner: Es ist absolut wichtig. Kunden erwarten ein ganzheitlich nachhaltiges Angebot. Deshalb arbeiten wir weiterhin daran, über unsere GrüneRente hinaus die Nachhaltigkeit unseres Unternehmens voranzutreiben.
Reetz: Der Traum ist natürlich, wenn Sie eine Marke haben, die an sich schon für Nachhaltigkeit steht. Dann haben Sie als Unternehmer viel richtig gemacht. Aber in meinen über zwanzig Berufsjahren habe ich auch Firmen im regenerativen Bereich gesehen, die nur augenscheinlich eine gute Marke in Sachen Nachhaltigkeit waren. Es gibt sie heute gar nicht mehr. Deshalb ist es absolut wichtig, Nachhaltigkeit nicht nur über PR im Markt zu positionieren, sondern tatsächlich auch Nachhaltigkeit unternehmerisch umzusetzen, in realen Projekten und vor allem wirtschaftlich attraktiv.
Eitle: Wir bei hep haben im Logo den Claim: there ist no planet b. Aber das allein reicht nicht. Man muss dieses Statement auch leben, denn daran wird man letztendlich gemessen. Deshalb muss man auch entsprechend handeln. Dazu gehört auch, sich ständig zu hinterfragen und zu verbessern. Eine Marke ist letztlich nur dann eine Marke, wenn sie tatsächlich das transportiert, was wir auch signalisieren.
Schauen wir abschließend noch auf das kommende Jahr und auf mögliche Trends in Sachen Nachhaltigkeit. Welche erkennen Sie?
Eitle: Im Bereich Photovoltaik werden wir ganz neue Produkte bekommen. Es sind so genannte bifaziale Solarmodule, die von beiden Seiten Licht aufnehmen und dadurch bis zu 40 Prozent mehr Strom erzeugen können. Die Möglichkeiten, Photovoltaik zu installieren, werden immer mannigfaltiger. Außerdem gehen wir das Thema Agrar-Photovoltaik bzw. „Shared Solar“ an. Wir werden die ersten großen landwirtschaftlichen Flächen mit Photovoltaik bedecken, sodass darunter dann Landwirtschaft stattfinden kann. Es gibt also viele neue Möglichkeiten Strom auf bereits bestehenden Flächen zu produzieren. Das sind für uns Neuerungen und wichtige Zukunftsthemen.
Göhner: Die Kundenbasis wird breiter, das Neugeschäft nimmt zu. Das Angebot an Impact-Investing-Konzepten wächst. Und verschiedene Anbieter überlegen, wie ein Nachhaltigkeits-Scoring gestaltet sein könnte, um die Nachhaltigkeit verschiedener Anlageklassen und Produkte beurteilen und vergleichen zu können. Das dahinter stehende Ziel ist, den Kunden noch mehr Transparenz und Orientierung geben zu können.
Reetz: Nachhaltigkeit ist und bleibt auch in den kommenden Jahren ein Megathema. Neben den Märkten, in denen wir uns in den letzten Jahren erfolgreich etablieren konnten – also Windenergie in Deutschland und Finnland sowie Gezeitenkraft in Kanada, blicken wir derzeit auch Richtung Asien. Dort hat das Thema Floating Solar ein enormes Potenzial und dort sitzen auch die Vorreiter für diese Technologie. Das kann man durchaus auch nach Europa übertragen. Da würden wir gern ebenfalls eine Rolle spielen. Darüber hinaus geht es auch um Länder wie die Philippinen, Indonesien, also große Inselgruppen, wo wir nach Lösungen suchen, um die Energieversorgung auf den knapp 800 bewohnten Inseln klimaneutral zu gestalten und die bisher dort eingesetzten Dieselgeneratoren endgültig auszumustern. All das wird nicht von heute auf morgen gehen, man braucht dort einen langen Atem haben. Aber auch das ist dann wieder nachhaltig. Diese Thematik wird uns die nächsten fünf, sechs Jahre sicherlich begleiten.
Jäderberg: Das Verständnis dafür, wie man durch Investitionen tatsächlich Nachhaltigkeit bewirkt, wird stark zunehmen. Dies sehen wir bereits deswegen, weil wir aktiver Teil der Bewegung sind, die hierzu beiträgt. Durch unsere internationalen Engagements und das Netzwerken zum Thema Impact Investing erleben wir hautnah die Entwicklungen im Markt, Gesellschaft und akademischer Lehre. Das heißt, der Etikettenschwindel bei „Nachhaltigen Investments“ und die Überbewertung von ESG bzw. diesbezügliche Fehlorientierung und -Allokierung, werden abnehmen
Das Gespräch moderierte Frank O. Milewski, Cash.