„Jeder dumme Junge kann einen Käfer zertreten. Aber alle Professoren der Welt können keinen herstellen.“ Arthur Schopenhauer
Eigentlich hatte ich mir vorgenommen, dem neuen Jahr – allen Krisen zum Trotz – als Optimistin zu begegnen. Die gesellschaftlichen Wogen mögen derzeit hochschlagen, und das Meer brodelt. Doch auch bei starkem Seegang kann man ans Ziel kommen. Wenn man denn willens ist, zu navigieren. Wenn ich nun diesen Artikel mit dem Stichwort „Ökosuizid“ beginne, scheint es, als hätte ich meinen Vorsatz schon über Bord geworfen, bevor das neue Jahr wirklich in See gestochen ist. Aber bis nach Rapa Nui, wohin uns unsere Reise führen wird, sind es von Europa aus auch einige tausend Meilen. Zeit genug, nach Optimismus zu suchen. Kommen Sie mit mir!
Rapa Nui
Am 5. April 1722 landete der Niederländer Jakob Roggeveen im Auftrag der Westindischen Handelskompanie auf Rapa Nui. Und da dies der Ostersonntag des Jahres war, gab er der Insel den Namen, unter dem sie in Europa wohl bekannter ist: die Osterinsel. Es gibt kaum ein bewohntes Eiland, das isolierter ist: Die nächste bewohnte Insel ist Pitcairn Island – 2.078 Kilometer nach Westen. Bis zum chilenischen Festland im Osten sind es mehr als 3.500 Kilometer. Was Roggeveen dort entdeckte, war wenig spektakulär: Ein paar tausend Einwohner, die mit löchrigen Kanus und spärlichen Gärten in einer kargen Landschaft gerade so zu überleben schienen.
Aber Roggeveen und seine Männer entdeckten noch etwas auf der Insel. Etwas, dass aus Sicht des Evolutionsbiologen Jared Diamond mehr als 300 Jahre später so gar nicht in das Bild des trostlosen Eilandes passen wollte: Die Moai-Statuen. Ernste Gesichter mit bis zu 10 Metern Höhe und bis zu 75 Tonnen schwer. Wie sollte eine Zivilisation, die kaum über genügend Frischwasser oder gar Holz verfügte, in der Lage sein, solche Kunstwerke zu schaffen und sie über die ganze Insel zu verteilen? Für Diamond war der Zusammenhang schnell klar: Es musste über eine lange Zeit eine hochentwickelte Kultur mit großen ökologischen Ressourcen gegeben haben – und diese Menschen hatte nach Diamonds Auffassung lange über ihre Verhältnisse gelebt. Ihre natürlichen Ressourcen (Boden, Bäume, Wasser) so lange derart überstrapaziert, um Luxusgüter zu schaffen (Steinstatuen ohne praktischen Nutzen) und ohne eine zweite Insel, auf die sie hätten ausweichen können, dass sie sich sehenden Auges in einen gemeinschaftlichen Ökosuizid stürzten. Das klingt irgendwie bekannt, oder?
Die Menschheit im 21. Jahrhundert, vor allem die westlichen Industrienationen, lebt seit Jahrzehnten über ihre Verhältnisse: Unsere Böden sind ausgelaugt, unser Umgang mit Tieren jeder Würde entrissen, in den Ozeanen finden wir statt Fischen mehr Plastik als Leben. Unsere Gärten halten wir in einem sterilen Mix aus Golfrasen und Kirschlorbeer, gegen den selbst eine Betonmauer ein Paradies der Artenvielfalt ist, denn auf ihr könnten zumindest ein paar Flechten überleben. Die Bestände von immer mehr Arten leiden unter der Zerstörung und Verschmutzung ihrer Lebensräume, den Folgen des Klimawandels und der Einschleppung invasiver Arten sowie nicht nachhaltiger Jagd-, Fischerei- und Erntemethoden – alles Auswirkungen menschlicher Wirtschaftsweise, die am Ende des Tages alle Arten gefährdet, inklusive des Menschen.
Ich habe vor einiger Zeit einen Comic gesehen, der aus drei Teilen bestand: das erste Bild zeigte die Jahreszahl 1990, die Frontscheibe eines Autos. Dahinter der Fahrer, mit hängenden Mundwinkeln – offensichtlich wenig amüsiert darüber, dass seine Scheibe mit zahlreichen Insekten verschmutzt war. Das Zweite Bild war genauso wie das erste, nur das die Frontscheibe sauber war – der Fahrer dahinter breit lächelnd, darunter die Jahreszahl 2010. Über dem nächsten Bild prangte die Zahl 2100. Das Bild war das Gleiche wie vorher: Frontscheibe, keine Insekten. Und diesmal: Kein Fahrer! Friederike Bauer und Katrin Böhning-Gaese fassen es in ihrem Buch „Vom Verschwinden der Arten“ treffend zusammen:
„Der Klimawandel entscheidet darüber, WIE wir leben (…). Der Artenschwund entscheidet darüber, OB wir leben.“