Von der Schweiz nach Deutschland und Spanien
Zürich – Hier beginnt unserer Reise. Um überhaupt in See stechen zu können, müssen wir den Landweg zur Küste finden. Und die Landschaften, die Arten, die wir unterwegs treffen, haben sich seit der Zeit Roggeeveens dramatisch verändert. Das europäische Wisent lebte einst in ausgedehnten Wäldern vom Baikalsee bis hin zur spanischen Atlantik Küste – auch in der Schweiz. Heute leben auf dem europäischen Kontinent noch 29 Populationen. Der Fischotter, eigentlich von Portugal bis nach Wladiwostok verbreitet, ist seit 1989 in der Schweiz ausgestorben. Und auch den Fischadler werden Sie in der Schweiz nicht brüten sehen. Bis Mitte der 1950er Jahre wurde er in weiten Teilen Europas beinahe ausgerottet. Brutpaare gibt es in Europa heute mehrheitlich im Osten Deutschlands sowie in Skandinavien. Und auch von den 575 Bienenarten, die in der Schweiz vorkommen, stehen 259 auf der Roten Liste der gefährdeten Arten. Ebenso sind viele Käferarten gefährdet oder vom Aussterben bedroht.
Idris, der letzte bekannte Berg-Anoa-Bulle, lebt im Krefelder Zoo. Seit Jahren wurden in seiner Heimat Indonesien keine seiner Verwandten mehr gesichtet. Es ist nicht unwahrscheinlich, dass mit Idris diese Art ausstirbt. Ganz ähnlich steht es um die europäischen Orchideen – der Frauenschuh beispielsweise gehört zu den imposantesten unter ihnen. Doch seine wunderschönen Blüten wurden ihm zum Verhängnis: Vermeintliche Pflanzenliebhaber pflücken ihn, geeignete Lebensräume verschwinden, immer mehr Wildblumen werden verkauft, obwohl dies durch internationale Handelsregeln eingeschränkt ist. Von manchen Orchideen-Arten gibt es inzwischen weniger als 100 Exemplare. Der einzige in Deutschland heimische Stör, der Sterlet, ist wie fast alle Stör-Arten weltweit vom Aussterben bedroht – so sehr schätzen wir seinen Kaviar. Aber auch seine Lebensräume verschlechtern sich durch die schwindende Wasserqualität. Ähnlich geht es der Geburtshelferkröte: Sie lebt gerne in Kleinstgewässern, die seltener werden. Straßenbau und Landwirtschaft zerstückeln ihren Lebensraum.
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Marlene Waske (Foto: Arete Ethik Invest)
Wirklich erschreckend daran ist, dass diese Erkenntnisse nicht neu sind. Schon fast ein Jahrzehnt, bevor Roggeveen einen Fuß auf die Insel Rapa Nui setzte, beobachtete Oberberghauptmann Carl von Carlowitz aus dem sächsischen Freiberg eine sich anbahnende Ressourcenkrise. Vor allem an Holz mangelte es, aufgrund der Umwandlung von Wald in Ackerland, infolge von Bevölkerungswachstum, Raubbau und ausgelöst von Industrialisierung und zunehmender Gier. In seinem 1713 erschienen Werk „Sylvicultura oeconomica“ schildert er erstmals, dass „die Consumtion des Holtzes sich im Rahmen dessen bewegen müsse, was der Wald-Raum zu zeugen und zu tragen vermag. Sodass eine Gleichheit zwischen An- und Zuwachs und dem Abtrieb des Holtzes erfolget und die Nutzung immerwährend, continuirlich, und perpetuirlich stattfinden könne.“ Wohlgemerkt: Carlowitz schrieb dies, als man im Wald noch die Sägen und Rufe dutzender Waldarbeiter hörte und das Klirren der Ketten der Rückepferde. Ein Baum braucht oft mehr als 100 Jahre, um heranzuwachsen. Ein moderner Harvester braucht einen Menschen und acht Sekunden, ihn zu fällen, zu entasten und zu lagern. Dabei verdichtet sein Gewicht von bis zu 24 Tonnen den Boden, schädigt Wurzeln, unterirdische Wasserläufe und tausende kleinster Lebewesen, die ein gesundes Bodenleben ermöglichen. Der Wald braucht Jahrzehnte, um sich davon zu erholen.
Carlowitz gilt gemeinhin als Begründer des Prinzips der Nachhaltigkeit. Und spätestens seit 1962 Rachel Carsons „Der stumme Frühling“ rasch zum Klassiker wurde, sind die Konsequenzen unserer Agrarwirtschaft auch dem breiten Publikum bekannt. Die Autorin beschreibt darin, wie die Menschheit Luft, Erde und Wasser mit gefährlichen, ja tödlichen Stoffen belastet und sich so selbst in Gefahr bringt. Das Buch löste in den USA eine heftige politische Debatte aus und führte letztlich zum späteren Verbot von Dichlordiphenyltrichlorethan (DDT), einem Insektizid, das in der Landwirtschaft praktisch ist, für Mensch und Tier jedoch schädlich sein kann. Auch dem Fischadler wurde DDT in den 1950er bis 1970er Jahren zum Verhängnis. Das Insektizid reicherte sich über die Nahrungskette besonders stark an und hemmte die Fortpflanzung des Fischadlers.