Diclofenac und Ibuprofen bedrohen Biodiversität
Im Februar 2017 trafen sich im spanischen Toledo Fachleute, um einen Aktionsplan zur Rettung von 15 bedrohten Geierarten auszuarbeiten, deren Bestand in den vergangenen Jahrzehnten in Afrika und Asien um 95 Prozent geschrumpft ist. Eines der größten Probleme ist das Vergiften der Vögel: Geier fressen Kadaver. Als beispielsweise in den 1990ern in Indien vermehrt das Schmerzmittel Diclofenac in der Tierhaltung Verwendung fand, sanken die Bestände der Indischen Geierarten innerhalb von 15 Jahren um 95 Prozent. Die Tiere hatten die Kadaver verendeter Kühe gefressen – und das darin enthaltene Diclofenac führte bei ihnen zu Nierenversagen. Weniger Geier bedeuteten mehr streunende Hunde, da diese nun weniger Konkurrenz bei der Verwertung der Kadaver hatten. Mehr streunende Hunde bedeuteten jedoch mehr Tollwutfälle – auch bei Menschen, die tausende Todesopfer forderten. Auch in der EU ist das Mittel nun in der Tierhaltung zugelassen. Der erste Geier, der nachweislich an Diclofenac verendete wurde 2020 im spanischen Katalonien gefunden. Grundsätzlich hat der Einsatz von Medikamenten bei Mensch und Tier enorme Auswirkungen auf die Biodiversität. Diclofenac als rezeptfreies Mittel wird sehr oft eingesetzt und auch nicht in den Kläranlagen beseitigt. Aufgrund der schieren Menge stellt es noch vor Ibuprofen die womöglich grösste Bedrohung dar.
Zurück zum Optimismus
Und doch haben wir Fortschritte gemacht. Seit dem Verbot von DDT ab Anfang der 1970er Jahre haben sich beispielsweise die Bestände des Fischadlers deutlich erholt und nehmen in vielen Regionen noch immer zu. Der in Spanien und Portugal heimische Iberische Luchs war Mitte des 20. Jahrhunderts eine der bedrohtesten Katzenarten weltweit. Doch durch die Ansiedlung seiner Beutetiere konnte sich der Bestand zwischen 2001 und 2012 immerhin verdreifachen. Das Wisent (Bison bonasus), Wildtier des Jahres 2014, ist ein Hoffnungsträger: Nachdem es jahrhundertelang bei uns ausgestorben war, wurde 2013 erstmals eine kleine Herde ausgewildert. Europaweit ist das Wisent, Europas größtes Landsäugetier, laut der Weltnaturschutzorganisation IUCN trotz Haltung in Gefangenschaft immer noch „potenziell gefährdet“: In freier Wildbahn kommen nur noch wenige Herden vor.
Die Erde verzeiht – aber nicht alles!
Zudem wissen wir heute viel mehr über die ökologischen Zusammenhänge, als noch in den sechziger Jahren des letzten Jahrhunderts. Wissenschaftler haben das Konzept planetarer Grenzen erarbeitet, die zwar oft nicht bis zur letzten Nachkommastelle genau berechnet werden können, die uns aber einen Einblick geben, in den Zustand unserer einzigen Heimat. Und sie helfen uns dabei Kipppunkte zu schätzen – also herauszufinden, ab wann die Schäden, die wir an unserem Ökosystem verursachen, nicht mehr rückgängig gemacht werden können. Das mag nach Papiertigern klingen, doch wie eine Manager-Weisheit besagt: “You can‘t manage what you can’t measure.” Uns ist klar geworden, dass Biodiversität, die Vielfalt des Lebens auf der Erde, eine entscheidende Rolle für das Wohlbefinden des Planeten und seiner Bewohner spielt. Wir wissen auch, dass die Erde nicht unendlich belastbar ist: Sie verzeiht – aber nicht alles!
Marlene Waske ist Ethik-Analystin bei Arete Ethik Invest.