EXKLUSIV

Vom „Ökosuizid“ zum Optimismus? Eine Reise durch die Bedrohung der Artenvielfalt (Teil 3)

Und langsam, sehr langsam, beginnt diese Erkenntnis, dieser Holismus auch in uns Fuß zu fassen. Vor 30 Jahren galt noch als durchgeknallt, wer im Supermarkt nach Fairtrade fragte oder bei der Geldanlage nicht nur Rendite und Risiko abwog, sondern darüber reflektierte, was ein Investment in Öl wohl mit unseren natürlichen Ressourcen anstellt. In den letzten zehn Jahren sind sogenannte ESG-Anlagen dem Volumen nach explodiert. Moment, werden Sie jetzt sagen. ESG? Schreit doch kein Hahn mehr danach! Und Sie haben völlig recht – für den Moment. Das Problem ist nur, dass die Herausforderungen, vor denen wir als Menschheit stehen, nicht verschwinden, weil alle gerade über Thyssen Krupp reden. Es wird eine neue Rekordhitze geben, ein neues Aartal, den nächsten Flächenbrand – mit allen Konsequenzen. Vielleicht lohnt es sich, ein wenig durchgeknallt zu sein, sich zu fragen: Würde der Mensch, der ich sein will, dort investieren, wo ich es gerade tue? Dann sind Sie mitten drin, in der Investmentethik.

Nachhaltige Geldanlage ist nichts für Feiglinge

Nehmen Sie sich mal einen Hund und gehen Sie mit ihm spazieren. Setzen Sie sich ein klares Ziel. Sie werden sehen: Sie selbst gehen zielstrebig, gleichmäßig, im Takt mit sich selbst. Der Hund hingegen wird mal nach rechts schnuppern, nach links laufen, anhalten, voraus rennen und wieder zurück. Er bleibt irgendwie in Ihrer Nähe, aber macht dabei doppelt so viele Schritte wie Sie. Natürlich sind Sie in den Augen des Hundes durchgeknallt. So viele aufregende Eindrücke, und Sie laufen stur auf Ihr Ziel hin. So ähnlich ist es bei wertgeleiteten ESG-Anlagen – sie sind kein Selbstzweck, keine Modeerscheinung. Wir haben damit ein klares, langfristig Ziel: das Überleben der Spezies Mensch. Die Berücksichtigung von Biodiversitätsaspekten hilft nicht nur, ökologische und soziale Verantwortung zu übernehmen, sondern schützt auch langfristig das eigene Portfolio vor Risiken. Investitionen in Unternehmen, die den Erhalt der Artenvielfalt aktiv fördern, tragen zu einer nachhaltigen Zukunft bei und bieten gleichzeitig wirtschaftliche Chancen.

Marlene Waske (Foto: Arete Ethik Invest)

Natürlich ist unser Leben derzeit geprägt von Unsicherheiten: Kriege, Autokraten, Inflation. Das alles sorgt uns, völlig zu Recht. Aber erinnern Sie sich: Vor vier Jahren war es Covid, das uns sorgte; vor 15 Jahren waren es faule Immobilienkredite; vor 25 Jahren waren es Dotcom-Gespenster. Der menschengemachte Artenschwund begann im 15. Jahrhundert mit der Entdeckung der Einschleppung invasiver Arten in die neue Welt. Er setzte sich fort im 18. Jahrhundert mit der industriellen Revolution und der intensivierten Landwirtschaft, im 20. Jahrhundert mit dem exzessiven Nutzen von Chemikalien und Pestiziden. Dem Artenschwund ist es egal, worüber wir uns tagesaktuell Sorgen machen: Die einzige Spezies, die es nicht zum Überleben der Arten braucht, ist die Spezies Mensch.

Das Ziel unserer Reise

Am Horizont erscheint die Oster-Insel. Nach unserer Reise durch die Zeit und unsere Welt sind wir scheinbar am Ziel. Mit der Theorie des Ökosuizids haben wir unsere Reise begonnen, mit einem schlechten Gewissen, weil das, was auf Rapa Nui passierte, doch viel zu ähnlich dem ist, was wir gerade mit der Erde tun. Wollen wir diese Insel wirklich betreten? Quasi in den Spiegel schauen? Das müssen wir nicht! Die ursprüngliche These, dass die Bewohner der Oster-Insel Raubbau an ihren eigenen natürlichen Lebensgrundlagen betrieben haben sollen, ist heute so nicht mehr haltbar. Stattdessen ist vermutlich sogar das Gegenteil der Fall: Es gab eine relativ harmonische Beziehung zwischen Inselbewohnern und Natur – trotz der Widrigkeiten, der Abgeschiedenheit. Trotz der kargen Landschaft konnte sich eine Bevölkerung entwickeln, die verantwortungsvoll mit ihren Ressourcen umging. Die das Beste aus dem machte, was sie hatte. Das Ziel unserer Reise war nie Rapa Nui, keine Insel, kein Kontinent. Das Ziel war es, den ersten Fuß auf den Weg zu setzen, loszugehen; dem zu entgehen, was uns erwartet, wenn wir verharren:

„Meistens belehrt erst der Verlust uns über den Wert der Dinge.“ Arthur Schopenhauer

Marlene Waske ist Ethik-Analystin bei Arete Ethik Invest.

Teil 1 des Artikels lesen Sie hier.

Teil 2 des Artikels lesen Sie hier.

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