„Die glorreichen Sieben“ sind in aller Munde. Damit ist im Jahr 2023 natürlich nicht die Gruppe an Revolverhelden aus dem legendären gleichnamigen Western gemeint. Der Name hat sich in Investorenkreisen für die Aktien von Alphabet, Amazon, Apple, Meta, Microsoft, Nvidia und Tesla etabliert. Ihre Kurse kletterten die vergangenen Monate entgegen den Erwartungen vieler Anleger deutlich; teilweise waren sogar dreistellige prozentuale Zuwächse zu verzeichnen.
Es entspricht dem menschlichen Naturell auf Gewinnertypen zu vertrauen. Bei der Geldanlage sollten sich Anleger jedoch davor in Acht nehmen, nur aus vergangenen Erfolgen Entscheidungen für die Zukunft abzuleiten. Die bekannte Fear of Missing Out (FOMO) hat oftmals dazu geführt, dass Anleger von einer exorbitanten Performance angezogen wurden, anschließend zu völlig übertriebenen Kursen in bestimmte Anlagen einstiegen, nur um dann von der nächsten Korrektur kalt erwischt zu werden und letztendlich frustriert in der Verlustzone zu verkaufen. Solche Anfängerfehler sind notorische Geldvernichter.
Durchdachte Strategien gegen die überschwängliche Euphorie
Niemanden sollte es überraschen, dass Aktien oder Fonds mit einem besonders guten Lauf auch Abwärtspotenzial bereithalten. Die bekannte Theorie der Rückkehr zum Mittelwert besagt, dass sich Investments, bei denen es zu Übertreibungen gekommen ist, ihrem langfristigen Durchschnittswert annähern. Einfach erklärt, bedeutet dies, dass Hype-Anlagen irgendwann meist auf den Boden der Tatsachen zurückfinden und unterbewertete Investments hingegen ihrem fairen Wert entgegenklettern dürften. Die Theorie ist jedoch weder ein Automatismus noch bedeutet sie, dass Investments immer zu einem bestimmten Preis zurückkehren. Als Mittelwert dient vielmehr ein gleitender Durchschnitt der letzten Jahre. Ein kontinuierlicher An- oder Abstieg des Durchschnitts ist somit möglich.
Sogenannte „Contrarians“ stellen sich sogar aktiv gegen die allgemeine Marktmeinung und sind damit der Gegenpol zur FOMO. Contrarians investieren z. B. in Titel, die gerade von der Masse der Anleger verkauft werden – jedoch nur dann, wenn sie aufgrund ihrer Recherche überzeugt sind, dass der Markt falsch liegt. Vor einigen Jahren untersuchten Wissenschaftler der University of Iowa den Erfolg des Anlagestils und fanden heraus, dass echte Contrarian-Fondsmanager eine deutliche höhere Rendite erzielten als Kollegen, die der Marktmeinung folgten. Der zeitintensive Anlagestil lässt sich von Privatanlegern leider nicht leicht kopieren. Trotzdem können viele Anleger sowohl von der Theorie der Mittelwertrückkehr als auch von den Contrarians lernen.
Privatinvestoren können per regelmäßigem „Rebalancing“, also dem Wiederherstellen der ursprünglichen Gewichte im Portfolio, eine abgeschwächte und praxistauglichere Version des Contrarian Investings nutzen. Im Zuge des Rebalancings werden ganz automatisch Positionen, die von starken Preisanstiegen profitiert haben, reduziert. Weniger erfolgreiche Positionen werden hingegen nachgekauft. Dadurch positionieren sich Anleger indirekt für eine Mittelwertrückkehr und agieren teilweise konträr zur Marktmasse. Investoren, die sich noch deutlich gegensätzlicher positionieren wollen, können zudem frische Gelder eher den Fonds im Portfolio zuschlagen, die zuletzt schwächelten und so von besonders günstigen Einstiegskursen profitieren.
Der Unterscheid zwischen überzeugtem Anlegen und finanziellem Leichtsinn
Besondere Vorsicht ist bei Einzelaktien geboten. Irgendwelche im Kurs gefallenen Titel nachzukaufen, gleicht dem Roulette-Spiel. Anleger, die mit Einzeltiteln Geld verdienen wollen, müssen vielmehr genau einschätzen können, ob ein Unternehmen unterbewertet ist und wo sein fairer Wert liegt. Ein Gleichnis: Wer eine asiatisch aussehende Vase für 100 Euro angeboten bekommt, hat keine Vorstellung davon, ob sie teuer oder günstig ist. Erst wer unterscheiden kann, ob sie aus der Zeit der Ming-Dynastie stammt oder aus einem schwedischen Möbelhaus, kann bestimmen, ob es sich um einen guten Deal handelt.
Selbst bei Fondsinvestments gibt es drei essenzielle Vorrausetzungen: Erstens sollte Anlegern immer ein breit diversifiziertes globales Portfolio als Basisanlage dienen, das lediglich geschickt nachjustiert wird. Letztendlich zahlt auch das Rebalancing auf dieses Ziel ein, denn es sorgt dafür, dass sich das Portfolio nicht zu sehr von der ursprünglich geplanten Strategie entfernt. Zweitens müssen Anleger ihre Investments gut einschätzen können. Sie sollten eine klare Vorstellung davon haben, ob sie – unabhängig der Performance – weiterhin von der Qualität der Portfoliobestandteile überzeugt sind. Drittens lohnt sich ein antizyklisches Rebalancing höchstens einmal im Jahr und meist nur dann, wenn die Fonds des Depots unterschiedlich gelagert sind. So dürfen die Produkte nur wenig Gleichlauf in ihrer Entwicklung miteinander aufweisen. Vom Rebalancing profitieren Anleger somit häufig bei Fonds, die sich auf unterschiedliche Asset-Klassen, Branchen, Stile, Themen oder Regionen konzentrieren. Gute, flexibel anlegende Mischfonds haben ihre eigene Portfolioaufteilung hingegen meist selbst im Griff.
Wem das alles zu langweilig ist, der kann seinem Portfolio auch spezielle Fonds mit einem Contrarian-Ansatz beimischen. Besonders gute Manager haben gezeigt, dass sie gezielt gewinnbringend entgegen der Investorenmasse anlegen können. Doch Vorsicht: Der Sinn des Investmentstils ist leicht misszuverstehen. Es geht nicht darum, sich immer sofort gegen alles zu stellen, was gerade gute Renditen eingefahren hat, sondern vor der breiten Masse in die künftigen, statt in die vergangenen Gewinner anzulegen. Dass auch die glorreichen Sieben einmal die Underdogs waren, können sich Anleger dabei ruhig vor Augen halten.
Tim Bröning ist seit 2009 in der Geschäftsleitung der Fonds Finanz Maklerservice GmbH und verantwortlich für den Bereich Non-Insurance, Finance & Legal.