„Von Steuerhinterziehung zu sprechen, halte ich für abwegig“

Foto: Henning/FOM
FOM Experte Prof. Dr. Hans-Jörg Fischer

Zum 1. Juli ist die Neuregelung des Grunderwerbssteuergesetzes in Kraft getreten – und prompt gibt es den ersten großen Aufreger. Der Vonovia-Konzern möchte den Konkurrenten Deutsche Wohnen für 18 Milliarden Euro übernehmen. Beim Erwerb von rund 90.000 Wohnungen wird dabei keine Grunderwerbssteuer fällig. Dr. Hans-Jörg Fischer, Professor für Wirtschafts- und Steuerrecht und wissenschaftlicher Gesamtstudienleiter der FOM Hochschule in Mannheim, bewertet den Vorgang.

Herr Prof. Fischer, in den Medien kursieren Meldungen zum Thema Neuregelung der Grunderwerbssteuer im Zusammenhang mit der Übernahme der Deutschen Wohnen durch Vonovia, die bis hin zum Vorwurf der Steuerhinterziehung in Milliardenhöhe reichen. Wie schätzen Sie derartige Meldungen ein?

Fischer: Vorsichtig ausgedrückt halte ich die Verbindung der Vorgänge um Vonovia mit dem Tatbestand der Steuerhinterziehung, den einige Medien anstellen, für abwegig. Steuerhinterziehung ist ein Straftatbestand, der zu Recht die Verkürzung von Steuern, die aufgrund eines Steuergesetzes zu erklären sind, unter Strafe stellt. Bei der vorliegenden Transaktion des Erwerbs der Deutsche Wohnen durch Vonovia werden dagegen die Regeln des (neuen) Grunderwerbsteuergesetzes eingehalten. Genauer: Das Gesetz sieht eine Besteuerung bei Erwerb von mehr als 90 Prozent der Anteile einer Gesellschaft, die Grundstücke hat, vor. Vonovia möchte aber nicht 90 Prozent oder mehr der Deutsche Wohnen erwerben. Der Besteuerungstatbestand des Gesetzes ist damit nicht erfüllt. Hierbei von einer Art „legalen Steuerhinterziehung“ zu sprechen, ist ein Widerspruch in sich. Zudem gibt es in der Neuregelung auch eine sogenannte „Börsenklausel“, bei der sich der Erwerb über eine Börse nicht steuerauslösend auswirkt. Vorliegend erfolgt die Übernahme der Deutsche Wohnen-Aktien durch die Vonovia über die Clearstream, also die Clearing-Stelle der Deutschen Börse. Das ist bei öffentlichen Übernahmeangeboten zwar eher selten, aber nicht unzulässig. Die Börsenklausel ist somit der eigentliche Grund für die Steuerfreiheit der Transaktion.

Hintergrund der Vorgänge ist die Neuregelung der Grunderwerbssteuer durch die Bundesregierung, die zum 1. Juli in Kraft getreten ist. Was genau beinhaltet diese Neuregelung?

Fischer: Mit dieser Regelung wurde eine Gesetzeslücke geschlossen und auch bei Kapitalgesellschaften ein steuerauslösender Tatbestand für die Fälle von Veränderungen im Gesellschafterbestand geschaffen und somit spezifisch für Kapitalgesellschaften die Grunderwerbsteuerbarkeit ausgeweitet. Steuerpflichtig wird es nun, wenn innerhalb von zehn Jahren mindestens 90 Prozent der Anteile einer Kapitalgesellschaft auf neue Gesellschafter übergehen, da diese grundbesitzende Gesellschaft laut Gesetzesbegründung dann nicht mehr als „dieselbe Kapitalgesellschaft anzusehen ist“. Auf Erwerbe von grundbesitzenden Kapitalgesellschaften – auch von solchen, bei denen es sich nach ihrem Geschäftsmodell und Gesellschaftszweck nicht um Immobiliengesellschaften handelt – dürfte sich diese Neuregelung signifikant steuerlich auswirken. Allerdings sorgt die bereits erwähnte Börsenklausel auch für Entlastungen bei Übertragungen von börsennotierten grundbesitzenden Gesellschaften über die Börse. 

Für den juristischen Laien scheint es eine deutliche steuerliche Ungleichbehandlung von Privatpersonen auf der einen und Wohnbaukonzernen auf der anderen Seite zu geben. Wie bewerten Sie den pauschalen Vorwurf, Immobilienkonzerne seien vor allem in Deutschland zu Unrecht begünstigt?

Fischer: Das ist wie bei den meisten pauschalen Behauptungen so sehr ungenau. Eine Privatperson erwirbt ein Grundstück in der Regel direkt und nicht über den Umweg eines Anteilserwerbs einer grundstücksbesitzenden Gesellschaft. Die Privatperson zahlt dann zwischen 3,5 und 6,5 Prozent – je nach Bundesland – des Kaufpreises als Grunderwerbsteuer. Der Gesetzgeber wollte mit den zahlreichen Neuregelungen seit 1997 die Umgehungsmöglichkeiten einschränken, die durch den Erwerb von grundbesitzenden Gesellschaften entstanden wären. Allerdings werden hier viele Fallkonstellationen über einen Kamm geschert. Was ist mit der Veräußerung eines Handwerksbetriebs in der Rechtsform der GmbH, dem eben auch ein Grundstück gehört? Und ein Wohnungsbauunternehmen hat eben immer Grundstücke im Betriebsvermögen, so dass bei der Übernahme eines solchen Unternehmens zu 90 Prozent oder mehr eben immer Grunderwerbsteuer anfällt. 

Halten Sie die jetzige Regelung für eine dauerhafte Lösung? Oder steht uns bald eine „Reform der Reform“ ins Haus?

Fischer: Wenn man ernsthaft die Besteuerung reformieren wollte, könnte man sich beispielsweise an dem niederländischen Steuerrecht orientieren. Dort wird der Erwerb grundbesitzender Gesellschaften nur dann besteuert, wenn es sich um Anteile von Immobiliengesellschaften handelt, alle anderen Erwerbe unterfallen nicht der Grunderwerbsteuer. Aber nachdem es erst eine Reform gab, dürfte es noch einige Jahre dauern, bis das Thema vom Gesetzgeber erneut aufgegriffen wird.

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