Es ist schon längst ein bekanntes Problem, dessen Lösung jedoch nicht einfach zu sein scheint: Unser Rentensystem stößt an seine Grenzen und wird langfristig ohne korrigierende Eingriffe nicht mehr funktionsfähig sein. Die Rente ist zwar für die jetzigen Rentenempfänger sicher, aber bereits heute oftmals nicht ausreichend. Darum hat die Bundesregierung eine Fokusgruppe beauftragt, die unter anderem die Möglichkeiten zur Reformierung der geförderten privaten Altersvorsorge (pAV) prüfen sollte, um ihre Verbreitung, Effizienz und Attraktivität zu steigern. Der Abschlussbericht wurde Mitte Juli vorgelegt.
Aus dem Bericht geht hervor, dass die gesetzliche Rente für weite Teile der Bevölkerung die wichtigste Einkommensquelle im Alter ist. Nur rund sieben Prozent der Alterseinkommen resultieren aus privater Vorsorge. Die monatliche Rente liegt aktuell durchschnittlich bei circa 1.500 Euro brutto (nach mindestens 45 Versicherungsjahren). Davon gehen noch Beiträge zur Kranken- und Pflegeversicherung sowie Steuern ab. Im Kontext der stark gestiegenen Energie- und Lebensmittelpreise wird deutlich, wie knapp es im Alter werden kann, wenn nicht zusätzlich privat vorgesorgt wurde. Darum braucht es für die breite Bevölkerung ein attraktives Angebot. Der Vorschlag der Fokusgruppe ist ein „[…] förderfähiges und zertifiziertes Altersvorsorgedepot, in dessen Rahmen in Fonds, aber auch in andere geeignete realwertorientierte Anlageklassen investiert werden kann […].“ Grundsätzlich ein sinnvoller Ansatz, aber angesichts der Situation, dass vor allem diejenigen vorsorgen, die bereits über Geld verfügen, nicht ausreichend, um eine stärkere Verbreitung der pAV in der Bevölkerung zu erreichen. Denn mehr als die Hälfte von den 20 Prozent der einkommensärmsten Haushalte hat keine zusätzliche Altersvorsorge. Und das hat mehrere Gründe.
Die finanzielle Bildung muss verbessert werden
Im Kontext des aktuellen Swiss-Life-Vorsorgereports, in dem das Unternehmen das Spar- und Anlageverhalten der 1,6 Millionen Kundinnen und Kunden der Finanzberatungen Swiss Life Select, Tecis, Horbach und Proventus analysiert hat, wurde eine repräsentative Studie bei YouGov beauftragt, die zeigt, dass 32 Prozent der Befragten monatlich gar nicht in ihre Altersvorsorge investieren. Im Abschlussbericht der Fokusgruppe wurde unter anderem eine geringe Finanzbildung als Hemmnis für die Verbreitung zusätzlicher Altersvorsorge angeführt. Diese führe häufig zu fehlenden oder fehlerhaften Vorsorgeplänen. Ein entscheidender Grund ist die Unklarheit über die zu erwartende Rentenhöhe. 1986, als der Ausspruch „Denn eins ist sicher: Die Rente“ des damaligen Bundesministers Norbert Blüm Berühmtheit erlangte, lag das Rentenniveau noch knapp sieben Prozent höher als heute. Überhaupt ist es schwierig, Informationen über die eigene Rentensituation zu bekommen. Ab diesem Sommer soll dies für die Bürgerinnen und Bürger durch die digitale Rentenübersicht zwar erheblich einfacher werden, doch dazu wird die Online-Funktion des Personalausweises benötigt, welche bisher kaum genutzt wird.
Aber selbst, wenn die Rentenlücke bekannt ist, können veränderte Kostenfaktoren im Alter übersehen und vor allem die Preisentwicklung durch die Inflation unterschätzt werden. Auch die steigende Lebenserwartung wird selten in die Überlegungen zur Altersvorsorge mit einbezogen. Vor diesem Hintergrund erscheint die Entscheidung der Fokusgruppe, zukünftig auf die Verrentungspflicht zu verzichten und den Bürgern das Risiko der unterschätzten Langlebigkeit selbst tragen zu lassen, mehr als fahrlässig und unüberlegt. Außerdem führt eine geringe Finanzbildung oft zu einer mangelnden Kenntnis der verschiedenen Anlageformen und deren potenziellen Renditen. Das bestätigt auch eine aktuelle Swiss-Life-Studie zum Finanzwissen. Nur jede dritte Person schätzt ihr Finanzwissen als gut bis sehr gut ein. Neben mangelndem Wissen haben Finanzthemen aber auch generell ein Imageproblem. Ebenfalls gut ein Drittel der Befragten gab an, sich nur selten oder nie mit dem Thema Finanzen zu beschäftigen. Wie also dafür begeistern?
Altersvorsorge muss attraktiv sein
Durch die stetigen Rechnungszinssenkungen verlor die staatlich geförderte Riesterrente an Attraktivität für Sparerrinnen und Sparer und führte letztlich dazu, dass viele große Anbieter ihr Riester-Geschäft einstellten. Laut Bericht stagniert die Anzahl der Verträge seit 2017 und ist mittlerweile sogar rückläufig. Dadurch rücken andere, nicht geförderte Produkte immer mehr in den Fokus. Denn es gibt verschiedene Möglichkeiten, fürs Alter vorzusorgen, aber man muss sie kennen und die beste Lösung für die individuelle Situation finden. Gerade im Bereich Aktien und Immobilien steigt das Interesse bei unserer Kundschaft stark. Diese Anlageformen sind jedoch in einigen Aspekten kompliziert und auch mit individuellen Risiken verbunden, die unbedingt bedacht werden müssen. Hier braucht es Unterstützung von qualifizierten Finanzexpertinnen und -experten, die durch frühzeitige Beratung den Anstoß für die private Altersvorsorge geben können, um die Flexibilität in der Ansparphase zu erhöhen und gleichzeitig die Risiken durch lange Anlagezeiträume reduzieren zu können. Zu diesem Ergebnis gelangte auch die Fokusgruppe, die sowohl zu Beginn der Ansparphase als auch vor Beginn der Auszahlungsphase eine unabhängige und individuelle Altersvorsorgeberatung empfiehlt.
Es braucht eine aktive Ansprache
In jungen Jahren wird der Grundstock für eine selbstbestimmte Zukunft gelegt. Daher ist es elementar, die jungen Menschen zielgerichtet anzusprechen. Wir haben aufgrund unseres jungen Beratungsteams (Durchschnittsalter: 35 Jahre) eine besondere Kompetenz darin entwickelt, auf Augenhöhe zu kommunizieren, die individuellen Lebenswelten und Bedürfnisse der jungen Menschen zu verstehen und sie in passende Lösungen und Beratungsleistungen zu überführen. Daher sind knapp 80 Prozent unserer Neukundinnen und Neukunden unter 35 Jahre alt, rund die Hälfte sogar unter 30. Auch der Zugang spielt eine Rolle. Wir haben mittlerweile 770 Standorte, an denen wir eine professionelle Beratung anbieten – Tendenz steigend. Neben der persönlichen Beratung vor Ort braucht es aber auch digitale Angebote. Die Menschen haben sich mittlerweile an die Vorzüge der technischen Unterstützung gewöhnt und wollen diese auch nicht bei ihrer Altersvorsorge missen. Das gilt für den einfachen Vertragsabschluss per eSignatur wie auch für das Monitoring der eigenen Finanzen wie beispielsweise über unser Kundenportal. Auch die Fokusgruppe sieht in der Digitalisierung von Informationen das Potenzial, den Wettbewerb zwischen Anbietern zu fördern und die Effizienz zu steigern.
Eine Reform allein reicht nicht
Ich begrüße die neuen Bestrebungen zur Reform von Riester sowie das Vorhaben auf ein kapitalmarktgestütztes Produkt zu setzen. Diese Ideen sind zeitgemäß und spiegeln die gesellschaftlichen Entwicklungen wider. Aus meiner Sicht wird aber einzig ein neues Produktangebot das Problem der drohenden Altersarmut in weiten Teilen der Bevölkerung nicht lösen. Denn nach wie vor werden die Menschen nicht morgens aufwachen und als erstes an ihre Altersvorsorge denken. Um das ausgegebene Ziel einer höheren Verbreitung der individuellen privaten Altersvorsorge zu erreichen, wird auch die Unterstützung von qualifizierter Finanzberatung eine entscheidende Rolle spielen. Nur so kann die Dringlichkeit, das Know-how und schlussendlich die passende Anlageform für die individuelle Vorsorgesituation, besonders unter Berücksichtigung der unterschätzten Langlebigkeit und dem vorgeschlagenen Verzicht auf die Verrentungspflicht, persönlich und nachvollziehbar an die Sparerinnen und Sparer herangetragen werden. Daher sollte bei den politischen Überlegungen rund um ein neues Vorsorgeprodukt auch die Rolle der Beratung Berücksichtigung finden, damit auch zukünftig die Menschen ihre Altersvorsorge selbstbestimmt gestalten können.
Matthias Wald ist Leiter Vertrieb Swiss Life Deutschland und Vorstand des Votum-Verbands.