Es ist eine Schande: Während die Diskussionen um 4-Tage-Woche und Work-Life-Balance nicht abreißen, geht unser Ruf den Bach runter. „Made in Germany“ war für meine Generation noch ein Qualitätsmerkmal. Wir wurden für unseren Fleiß und unsere Disziplin beneidet. Heute lacht die Welt über uns. Sogar die während der Eurokrise betitelten „faulen Griechen“ machen es heute besser: Um den Fachkräftemangel zu bekämpfen, führten sie kürzlich die Möglichkeit zur 6-Tage-Woche ein, von der die Mitarbeiter mit einem ordentlichen Lohnzuschlag profitieren. Mittlerweile gehören die Griechen sogar zu den fleißigsten in der EU: Laut Statista betrug die durchschnittliche Wochenarbeitszeit 2023 in Griechenland 42,5 Stunden, während Deutschland mit 40,2 Stunden nur im Mittelfeld liegt. Auch die Zahlen des WSI GenderDatenPortals belegen den kontinuierlichen Abwärtstrend: Im Beobachtungszeitraum von 1991 bis 2022 ist die durchschnittliche Arbeitszeit der Erwerbstätigen in Deutschland deutlich zurückgegangen: Die durchschnittliche Wochenarbeitszeit der Männer ist um 2,9 Stunden gesunken. Bei den Frauen im gleichen Zeitraum sogar um 3,8 Stunden. Wann sind wir Deutschen so faul geworden?
Seit über 20 Jahren bin ich Unternehmer, und mindestens genauso lange beobachte ich schon die Arbeitsmoral der Deutschen. Früher hatten wir eine hervorragende Arbeitsethik und als Selbständiger konnte man viel erreichen. Beispielsweise die Babyboomer: Sie haben die Nachkriegszeit erlebt und wissen, was harte Arbeit ist. Nach dem Krieg haben sie das Wirtschaftswunder vorangetrieben und den Ruf Deutschlands wiederhergestellt. Meine Generation, die Generation X, hat Meilensteine wie die Währungsumstellung und die Globalisierung miterlebt. Wir übernahmen die Geschichten und damit die Arbeitsmoral unserer Vorgängergeneration und säten symbolisch die Pflanzen auf dem ausgerollten Beet.
Aber bei den nachfolgenden Generationen Y und Z komme ich nicht mehr mit. Alle wollen studieren, keiner will den Ruf des Handwerks wieder stärken. Schon heute kommen viele Menschen aus dem Ausland mit besseren Berufsausbildungen. Natürlich sind sie durch die Digitalisierung völlig anders aufgewachsen. Mit wenigen Klicks können sie Erfolge erzielen, ohne dafür körperlich arbeiten zu müssen. Aber genau da sehe ich das Problem: Sie kennen den Wert harter Arbeit nicht und sehen sie nur als Pflichtveranstaltung. Mit dieser Arbeitsmoral kann nichts Großes entstehen. Gleichzeitig haben sie Angst um ihren Job, weil sich die Arbeitswelt durch die Krisen der letzten Jahre verändert. Ganze Branchen wurden ausgebremst und Wohlstand entsteht nicht mehr automatisch, nur weil man arbeitet. Die Zeiten des Aufstiegsversprechens scheinen vorbei zu sein.Eines möchte ich klarstellen: Nicht die Generation Y oder Z ist das Problem. Schlechte Arbeitsmoral, Quiet Quitting und Burnout betreffen heute alle Generationen. Wie machen wir also „Made in Germany“ wieder groß? In einer Zeit in der selbst im Deutschen Bundestag mehr wertvolle Redezeit mit Debatten über die Vier-Tage-Woche und mehr Sozialleistungen verschwendet wird als mit dem Aufbau unseres Landes. Wir müssen aufhören, Arbeit als Problem zu sehen und unser Schicksal selbst in die Hand nehmen. Denn Fakt ist: Durch die Digitalisierung stehen uns so viele Türen offen wie nie zuvor. Sie bringt eine neue Geschwindigkeit in Arbeitsprozesse. Wenn wir dieses Potenzial voll ausschöpfen und mit einer starken Arbeitsmoral in Einklang bringen, werden wir als Wirtschaftsstandort Deutschland wieder unschlagbar, davon bin ich überzeugt.
Nehmen wir die Finanzbranche als Beispiel dafür, welche Türen uns offenstehen. KI wird viele einfache Versicherungsthemen übernehmen. Doch nur in Ergänzung mit guter Beratung wird ein Schuh daraus. Paart man also Digitalisierung mit vollem Arbeitseinsatz, wird die Effizienz unschlagbar. Wer jedoch glaubt, durch den Einsatz von KI weniger arbeiten zu müssen, ist auf dem Holzweg. Wir haben in Deutschland großartige Ideen und die besten Anlagen. Wir bringen sie nur nicht auf die Straße. Wenn wir jedoch unsere Kräfte bündeln und unsere Chancen nutzen, dann ist das eine der größten Chancen, die wir in den letzten Jahrzehnten hatten. Die Frage ist nur, ob wir sie ergreifen.
Jörg Kintzel ist Vorstandsvorsitzender des Finanzvertriebs Valuniq.