Digitale Vermögenswerte stellen schon seit längerem eine attraktive Alternative zu traditionellen Assetklassen dar. Eine aktuelle Umfrage von Avaloq bestätigt, dass die Investoren trotz des jüngsten Krypto-Winters und des Zusammenbruchs bekannter Börsen und Krypto-Unternehmen weiterhin eine positive Einstellung zu digitalen Anlagen haben. Auch Daten der Europäischen Union untermauern den Trend. Danach hat sich die Marktkapitalisierung von digitalen Vermögenswerten im Zeitraum zwischen 2020 bis 2022 verachtfacht. Einige Finanzinstitute haben nun reagiert und befriedigen zumindest die Nachfrage nach Handels- und Verwahrungsdienstleistungen. Um sich jedoch wirklich von den Challenger-Banken und -Börsen zu unterscheiden, müssen die traditionellen Finanzinstitute aus ihrem etablierten Wertversprechen Kapital schlagen. Dies bedeutet: Sie sollten auch im Bereich digitaler Assets eine Anlageberatung auf der Grundlage jenes Vertrauens bieten, das sie sich bei ihren Kunden bereits erworben haben. Was können Finanzinstitute also tun, um Kunden nun auch Leistungen im Bereich digitaler Vermögenswerte zu bieten?
Immer mehr Ausführungs- und Verwahrungsleistungen
Derzeit ist zu beobachten, dass Banken und Anlageberater sehr zögerlich sind, wenn es darum geht, gegebenenfalls hochvolatile digitale Vermögenswerte in ihre Vermögensverwaltungsmandate aufzunehmen. Dafür gibt es Gründe: Finanzinstitute fürchten ein erhöhtes Reputationsrisiko, regulatorische Unsicherheit oder einen Mangel an internem Fachwissen. Oft scheint es sicherer, sich auf die bloße Ausführung von Anlageaufträgen für die Kunden zu beschränken. Häufig gehen solche Ausführungsmodelle mit Verwahrungsdienstleistungen Hand in Hand. Denn die Kunden haben ihrer Bank ja ohnehin schon die Verwahrung von Bargeld, Wertpapieren und weiteren traditionellen Vermögenswerten anvertraut.
Aus Sicht des Finanzinstituts und aus Kundenperspektive hat solch ein Ansatz klare Vorteile. Denn das Institut wird so für Kunden zur zentralen und einzigen Anlaufstelle – gleichgültig, ob es dabei um Fiat- oder digitale Vermögenswerte geht. Die Umfragedaten von Avaloq stützen diesen Business Case – mehr als 90 Prozent können sich vorstellen, erstmals in Kryptowerte zu investieren, wenn ihnen ihr Finanzinstitut diese Option eröffnet. Die wichtigste technische Voraussetzung für Banken und Vermögensverwalter ist die Implementierung einer geeigneten Infrastruktur. Dies kann zum Beispiel durch eine Aufrüstung des Kernbankensystems geschehen, sodass neben den traditionellen Anlageprodukten auch digitale Anlagen integriert sind. Alternativ ist auch die Anbindung an ein Sub-Custody-Offering eines anderen Finanzinstituts mit einem etablierten Angebot an digitalen Vermögenswerten denkbar.
Beratung birgt Unsicherheiten für Banken
Zugegeben, für Banken und Vermögensverwalter ist die Anlageberatung im Bereich der digitalen Assets – im Vergleich zu einem reinen Ausführungsmodell – durchaus mit Risiken verbunden. Es gibt hier drei Hauptarten von Risiken. Das erste Risiko ist die rechtliche und regulatorische Unsicherheit. Banken und Vermögensverwalter unterliegen strengen regulatorischen Rahmenbedingungen, um finanzielle Stabilität und Anlegerschutz zu gewährleisten. Weil im Krypto-Bereich noch klare Richtlinien fehlen, können Finanzinstitute rechtlichen und Compliance-Risiken ausgesetzt sein, wenn sie Investitionen in digitale Vermögenswerte fördern und sie ihren Kunden empfehlen möchten. Die bahnbrechende EU-Richtlinie über Märkte für Krypto-Anlagen, „Markets in Crypto Assets“ (MiCA), die im Juni 2023 veröffentlicht worden ist, könnte die rechtliche Klarheit schaffen, die traditionelle Finanzinstitute brauchen, wenn sie auch im Bereich der digitalen Anlagen den Markt mit einem umfassenden Angebot erschließen möchten.
Finanzinstitute müssen sich weiterbilden
Zweitens mangelt es den traditionellen Instituten manchmal noch an fundiertem Fachwissen. Da es sich bei digitalen Vermögenswerten um eine neue, sich schnell entwickelnde Anlageklasse handelt, verfügen viele Kundenbetreuer wahrscheinlich noch nicht über das erforderliche Wissen, um ihre Kunden ganzheitlich zu beraten. Sie machen sich zu Recht Sorgen, dass sie ihre Kunden auf dem Gebiet der digitalen Assets möglicherweise falsch beraten oder Anlagemöglichkeiten nicht richtig erkennen. Um dieses Problem anzugehen, sollten Finanzinstitute interne Schulungen erwägen, die das Fachwissen und das Vertrauen in der eigenen Organisation fördern. Sinnvoll ist es auch, eine Zusammenarbeit mit externen Experten in Betracht zu ziehen. Sie können Einblicke in die Blockchain-Technologie, globale Vorschriften und neue Anlagetrends geben.
Sorge um Reputationsschäden
Schließlich kann auch das Reputationsrisiko traditionelle Finanzinstitute davon abhalten, auf das Feld digitaler Vermögenswerte zu expandieren. Wenn beispielsweise eine Anlageempfehlung für Krypto-Assets zu erheblichen Verlusten für die Kunden führt, könnte dies die Glaubwürdigkeit des gesamten Beratungsgeschäfts des Finanzinstituts beschädigen. Dass langfristige Prognosen für die Entwicklung digitaler Vermögenswerte fehlen, könnte diese Bedenken in Verbindung mit der jüngsten Volatilität noch verstärken. Gleichzeitig erfordert der dezentrale Charakter digitaler Vermögenswerte gezielte Kontrollen zur Bekämpfung der Geldwäsche (Anti-Money Laundering, AML) und der Terrorismusfinanzierung (Countering the Financing of Terrorism, CTF), damit Finanzinstitute den Ansprüchen der Aufsichtsbehörden und der Öffentlichkeit genügen.
Neue Chancen für Banken und Kunden
Wenn es Banken und Vermögensberatern allerdings gelingt, diese Risiken in den Griff zu bekommen, können sie ihr vorhandenes Fachwissen in der Anlageberatung nutzen, um die sich ändernden Bedürfnisse ihrer Kunden zu erfüllen. Mit dem nötigen Fachwissen und der richtigen Technologie sind die Berater in der Lage, innovative Dienstleistungen für digitale Vermögenswerte anzubieten, die über den einfachen Kauf und Verkauf von Kryptowährungen wie Bitcoin oder Ether hinausgehen:
- Ein zukünftiger Anwendungsfall im Bereich digitaler Vermögenswerte könnte zum Beispiel das Staking sein. Beim Staking werden Anleger dafür belohnt, dass sie ihre digitalen Vermögenswerte vorübergehend sperren, sodass sie zur Validierung von Transaktionen auf der Blockchain verwendbar sind. Als Gegenleistung für das Einsetzen ihrer digitalen Vermögenswerte erhalten die Anleger neue Coins. Staking ist also eine neue Möglichkeit der Vermögensvermehrung.
- Ein weiterer Anwendungsfall sind Krypto-Kreditdienste. Hier haben Anleger die Möglichkeit, Bargeld zu leihen, indem sie ihre Krypto-Bestände als Sicherheiten hinterlegen. Diese Option würde Anlegern Zugang zu kurzfristiger Liquidität verschaffen, ohne dass sie ihre langfristigen Investitionen in digitale Vermögenswerte verkaufen müssen.
- Schließlich könnten Banken und Vermögensverwalter auch die Möglichkeiten nutzen, die die Tokenisierung eröffnet. Tokens werden in Zukunft eine für Privatpersonen neue Möglichkeit darstellen, um in nicht bankfähige Vermögenswerte (non-bankable Assets, nBA) wie Immobilien zu investieren – oder auch in nativ digitale Vermögenswerte wie digitale Kunst. Wenn ein Finanzinstitut digitale Tokens ausgibt, kann es das Luxusgut eines Kunden in einen leicht handelbaren digitalen Vermögenswert verwandeln. Die Ausgabe eigener Tokens schafft also neue Geschäftsmöglichkeiten für Banken und Vermögensverwalter. Zumal die Tokenisierung erstmals auch Kunden aus dem Retail- oder dem Mass-Affluent-Segment den Zugang zum High-End-Luxussektor eröffnet. Generell mag die Tokenisierung noch in den Kinderschuhen stecken, aber dieses Konzept wäre für Banken und Vermögensverwalter in der Regel doch relativ einfach in ihr bestehendes Angebot zu integrieren. Dies liegt daran, dass einige Finanzinstitute bereits über die Erfahrung und die Daten verfügen, um den Vermögenswert, auf dem die digitalen Tokens basieren, zu bewerten. Bei nativen Coins oder bei nicht-bankfähigen Vermögenswerten wäre dies allerdings meist nicht der Fall.
Bereich der Krypto-Assets rechtzeitig erschließen
In einer Zeit, in der die Welten des traditionellen Finanzwesens und der digitalen Vermögenswerte weiter zusammenwachsen, sind Banken und Vermögensverwalter in einer idealen Position, um das gesamte Spektrum der Kundenbedürfnisse zu bedienen – basierend auf Vertrauen, Servicequalität und Innovation. Indem sie ihre Stärken in der Anlageberatung und bei der Einhaltung regulatorischer Vorschriften nutzen, können etablierte Finanzinstitute Anlegern helfen, sich auch in der Landschaft der digitalen Vermögenswerte zurechtzufinden. Der Vorteil für das Finanzinstitut: Es bietet seinen Kunden neue Methoden des Vermögensaufbaus, festigt seine Vertrauensstellung und bleibt in einem sich schnell verändernden Finanzsektor wettbewerbsfähig.
Nils Bulling ist Leiter des Produktbereichs Digital Assets bei Avaloq, einem globalen Anbieter von digitalen Banking-Lösungen.