Seit knapp zwei Jahren elektrisiert das Thema Künstliche Intelligenz (KI) Anleger rund um die Welt. Die Technologie, die durch Unternehmen wie OpenAI, Google, das deutsche Unternehmen Aleph Alpha oder das französische Unternehmen Mistral entwickelt wird, hat das Potenzial, die Wirtschaft so stark zu revolutionieren, wie es einst die Dampfmaschine, das Auto oder die Erfindung des Internets taten. In den nächsten fünf bis zehn Jahren werden bestehende Märkte und Geschäftsmodelle neu definiert. Unzählige neue Arbeitsplätze werden entstehen, andere wegfallen.
Die Diskussion um Anlagechancen durch KI fokussiert sich aktuell vor allem auf die Grundlagentechnologie: Unternehmen wie Nvidia (Hersteller von Spezialchips für KI), Microsoft (Entwicklung von Lösungen für KI) oder Palantir (Entwicklung von KI zur Analyse großer Datenmengen) sind klassische Anlageempfehlungen. Doch diese Empfehlungen haben ein Problem: Der Hype hat Unternehmensbewertungen und damit Aktienpreise so sehr in die Höhe schießen lassen, dass fraglich ist, ob diese Unternehmen jemals in der Lage sein werden, den Erwartungen gerecht zu werden – trotz hoher Wachstumszahlen. Ein erster Crash im Sommer 2024 gab einen Vorgeschmack. Das liegt nicht an der Technologie, sondern am KI-Hype: Selbst bei einer absolut außergewöhnlichen Performance werden diese Unternehmen es künftig schwer haben, den Erwartungen an sie gerecht zu werden.
Was heißt das jetzt? Sind die Anlagechancen rund um KI ausgeschöpft? Nein. Es gibt eine zweite Klasse von bislang übersehenen Investitionsmöglichkeiten. KI ist – das übersehen viele – eine Grundlagentechnologie. So wie Dampfkraft, Elektrizität oder das mobile Internet. Das ist die erste Phase der KI-Revolution. Die zweite Phase entsteht durch Unternehmer und Unternehmerinnen rund um die Welt, die daraus die Wertschöpfung generieren, aus der künftige Märkte entstehen.
Beispiel einer Marktrevolution
Der Markt für Unternehmensberatung und Unternehmenszertifizierungen, der ein weltweites dreistelliges Milliardenpotenzial hat: Viele Consulting-Unternehmen leben davon, dem Management ihrer Kunden dabei zu helfen, bürokratische Anforderungen und Dokumentationspflichten umzusetzen. Genau hier haben Geschäftsmodelle, deren Basis die Technologien der KI sind, ein enormes Wachstumspotenzial. Ein Beispiel: Die Zertifizierung von Unternehmen nach ISO-Standards wie 9001 (Qualitätsmanagement), ISO 14001 (Umweltmanagement) und ISO 27001 (Informationssicherheitsmanagement).
Bislang mussten selbst kleine Unternehmen mit weniger als zwanzig Beschäftigten häufig fünfstellige Beträge investieren, um den Anforderungen der Normen gerecht zu werden. Aufwendige Beratung, der Aufbau einer entsprechenden Dokumentation und der Kontrollmechanismen sowie Investitionen in die Auditierung, die häufig zu einem großen Teil aus der Dokumentenprüfung bestand. Eine KI wie die, die wir entwickelt haben, reduziert den Aufwand für die Umsetzung drastisch: Von mehreren Monaten auf wenige Stunden. Der Vorteil für Anleger: Diese Perlen sind aktuell weitgehend unentdeckt. Der Markt für diese Art disruptiver (also marktverändernder) Geschäftsmodelle steht heute dort, an dem die heute großen Internetunternehmen wie Amazon und Google Mitte der 90er Jahre standen. Es ist vergleichbar mit dem Aufkommen des mobilen Internets oder den Anfängen des E-Commerce: Es braucht Fantasie, um sich die künftige Entwicklung vorstellen.
Der Trend zu KI-basierten Geschäftsmodellen hat gerade erst begonnen
Wenn Sie Parallelen zu den Anfängen der Elektrizität oder des Internets ziehen, erhalten Sie eine Vorahnung davon, welch dramatischer Wandel der Wirtschaft bevorsteht. Ein kleiner Teil des Markts und seines Wachstumspotenzials wird von Grundlagenfirmen besetzt, beziehungsweise von Unternehmen, die den Zugang erleichtern. Zu Beginn des Elektrizitätszeitalters waren dies Firmen wie die von Thomas Edison, der unter anderem das erste funktionierende System für Glühbirnen und elektrische Beleuchtung entwickelt hat. Zu Beginn des Internetzeitalters waren es Unternehmen wie Compuserve, AOL oder Netzwerkausrüster, die das Internet erst möglich machten.
Darauf basierend entstanden jedoch völlig neue Wirtschaftszweige: elektrisch betriebene Fabriken, E-Autos, Beleuchtungssysteme, Telekommunikation und vieles mehr. Ohne Strom hätte es auch kein Internet gegeben. Was wir heute erleben, ist eine Entwicklung, die es in der Geschichte bereits mehrfach gegeben hat: Eine neue Grundlagentechnologie verändert die Wirtschaft radikal. Und in jeder dieser Entwicklungen gab es zu unterschiedlichen Zeitpunkten verschiedene Chancen.
Unternehmen wie OpenAI, Google und Meta entwickeln die Grundlagentechnologie. Chat GPT ist so etwas wie die Glühbirne der KI, denn das Programm erleichtert den Zugang zu KI. Der wirkliche Schub an Anlagechancen jedoch steht gerade in den Startlöchern: Unternehmen, die innovative Geschäftsmodelle auf KI-Basis entwickeln und damit eine neue Form der Wertschöpfung schaffen. Wer diese Anlagetrends frühzeitig erkennt und für sich erschließt, hat die Chancen, an außergewöhnlichen Wertentwicklungen teilzunehmen und das eingesetzte Vermögen problemlos zu vervielfachen.
Jens-Uwe Meyer ist Vorstandsvorsitzender der Innolytics AG und Experte für Innovation und KI.