Was Geschäftsleiter beim Sozialversicherungs-Haftungsdilemma beachten müssen

Thomas Dömmecke
Foto: Schultze & Braun
Thomas Dömmecke

Die Erhöhung der Sozialversicherungsbeiträge wirft ein Schlaglicht auf die Geschäftsleiterhaftung. Die persönliche Haftung könne für Geschäftsleiter sehr schnell existenzbedrohend werden, warnt die Kanzlei Schultze & Braun.

Die Bundesregierung hat die Erhöhung des Pflegebeitrags auf den Weg gebracht. Zum 1. Januar 2025 soll er um 0,2 Prozentpunkte steigen. Ebenfalls steigen – und das im Durchschnitt um 0,8 Prozentpunkte – werden zum Jahreswechsel die Beiträge zur gesetzlichen Krankenversicherung – bei Angestellten jeweils zur Hälfte von Arbeitnehmenden und Arbeitgebern finanziert. Durch die Anhebung der Sozialversicherungsbeiträge sollen finanzielle Schieflagen bei der Kranken- und der Pflegeversicherung vermieden werden.

„Durch die anhaltenden wirtschaftlichen Herausforderungen geht es vielen Unternehmen wie der Kranken- und der Pflegeversicherung: Sie befinden sich in einer finanziellen Schieflage oder drohen absehbar in eine zu geraten“, sagt Thomas Dömmecke, Rechtsanwalt am Bremer Standort der bundesweit vertretenen Kanzlei Schultze & Braun. „Nachvollziehbarerweise versuchen Geschäftsleiter mit allen Mitteln, die finanzielle Schieflage und eine daraus möglicherweise resultierende Insolvenzreife ihres Unternehmens zu beheben. Angesichts der zum Jahreswechsel anstehenden Erhöhungen der Sozialversicherungsbeiträge sollten Geschäftsleiter aber die möglichen Haftungsrisiken im Blick haben. Denn dieser Schritt wirft ein Schlaglicht auf die Geschäftsleiterhaftung – gerade, da Geschäftsleiter sich, was die Arbeitnehmerbeiträge zur Sozialversicherung betrifft, in einem Sozialversicherungs-Haftungsdilemma befinden.“


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Um dieses Dilemma und seine Bedeutung für Geschäftsleiter greifbar zu machen, ist laut dem Experten für die Abwehr von krisen- und insolvenzspezifischen Haftungssachverhalten zunächst ein Blick auf die generellen Haftungsrisiken für Geschäftsleiter in der Krise des Unternehmens wichtig: Nach Paragraf 15b der Insolvenzordnung (InsO) haften Geschäftsleiter grundsätzlich für Zahlungen der Gesellschaft nach Insolvenzreife. Begleicht die insolvente Gesellschaft also eine berechtigte offene Verbindlichkeit, kann ein später eingesetzter Insolvenzverwalter vom Geschäftsleiter verlangen, dass er den Betrag erstattet – und das aus eigener Tasche. Da es oftmals um große Beträge geht, kann eine solche Haftung sehr schnell existenzbedrohende Ausmaße annehmen. 

Geschäftsleiter sitzen haftungstechnisch zwischen den Stühlen

Nun kommen wir zum Sozialversicherungs-Haftungsdilemma: Einerseits darf der Geschäftsleiter nach Paragraf 15b InsO keine Zahlungen mehr ausführen oder ausführen lassen. Andererseits ist er jedoch nach Steuerrecht und Sozialversicherungsrecht für die pünktlichen Abgaben an Fiskus und Sozialversicherung verantwortlich und auch hierfür persönlich haftbar. „Geschäftsleiter sitzen in einer solchen Situation also zwischen den Stühlen und können sich haftungstechnisch eigentlich nur zwischen Pest und Cholera entscheiden“, ordnet Dömmecke das Dilemma ein. 

Hinzu kommt: Wenn ein Geschäftsleiter Arbeitnehmerbeiträge zur Sozialversicherung nicht abführt, droht ihm sogar ein Strafverfahren. Bei der Verletzung steuerrechtlicher Abführungspflichten drohte ihm zudem ein Ordnungswidrigkeitsverfahren. „Der Gesetzgeber hat 2022 zwar zumindest einen steuerrechtlichen Ausweg geschaffen. Danach haftet der Geschäftsleiter dann nicht nach steuerrechtlichen Vorschriften, wenn er fällige Zahlungen an den Fiskus unterlässt, aber noch rechtzeitig Insolvenzantrag stellt“, erläutert Dömmecke. „Jedoch hat das Amtsgericht Ludwigshafen mit einer Entscheidung von Mitte Dezember 2022 den steuerlichen Ausweg versperrt. Die Entscheidung besagt, dass die gesetzliche Ausnahmeregelung für Steuerzahlungen nicht auch für Arbeitnehmerbeiträge zur Sozialversicherung gilt. Oder anders formuliert: Sozialversicherungsbeiträge sind keine Steuern. Da bei der Entscheidung des Amtsgerichts Ludwigshafen keine Revision zugelassen war, ist diese Entscheidung – auch wenn es sich `nur´ um eine Amtsgerichts-Entscheidung handelt – für Geschäftsleiter von großer Bedeutung.“ 

Sozialversicherungsbeiträge sind keine Steuern 

Geschäftsleiter sind mit dem Blick auf die Entscheidung des Amtsgerichts Ludwigshafen, aber auch die finanziellen Haftungsrisiken in einer Krise des Unternehmens, gut beraten, sich professionelle Hilfe zu holen, wenn ihr Unternehmen in einer Krise steckt oder darauf zusteuert. „Andernfalls können eine finanzielle Haftung und mögliche strafrechtliche Folgen drohen – insbesondere, wenn zum Beispiel das Finanzamt oder eine Krankenkasse wegen nicht gezahlter Steuern oder Sozialversicherungsbeiträge einen Insolvenzantrag gegen das Unternehmen stellt“, sagt Dömmecke. 

Ab wann ein Unternehmen insolvenzreif ist

Seit dem 1. Januar 2024 greift die Insolvenzantragspflicht wieder in vollem Umfang. „Das bedeutet, dass ein Unternehmen nachweisen können muss, dass es die nächsten zwölf Monate durchfinanziert ist, um keinen Insolvenzantrag wegen Überschuldung stellen zu müssen“, sagt Alexander Eggen, Rechtsanwalt und Leiter des Frankfurter Standorts von Schultze & Braun. Die Anforderung, zwölf Monate durchfinanziert zu sein, betrifft Kapitalgesellschaften – also etwa eine GmbH oder eine UG – sowie den Insolvenzgrund Überschuldung (nicht Zahlungsunfähigkeit).

Alexander Eggen (Foto: Schultze & Braun)

„Überschuldet ist ein Unternehmen vereinfacht gesagt dann, wenn seine Verbindlichkeiten höher als das vorhandene Vermögen sind, dies sich auf Jahressicht nicht ändert und eine Fortführung in den nächsten zwölf Monaten als unwahrscheinlich gilt“, erläutert Eggen. Um eine Überschuldung festzustellen, wird in der Regel das Vermögen den Verbindlichkeiten gegenübergestellt. Die Durchfinanzierung für zwölf Monate wird mittels einer sogenannten Fortführungsprognose dokumentiert. Die Basis der Prognose bildet ein Dreiklang aus Unternehmenskonzept, Finanzplan und Fortführungsprognose. „Falls von diesen drei Punkten einer ins Wanken gerät, sollten sich Unternehmer oder Geschäftsleiter schnell professionelle Hilfe holen und gegebenenfalls rechtzeitig innerhalb der gesetzlichen Fristen von sechs Wochen einen Insolvenzantrag wegen Überschuldung stellen“, rät Eggen.

Zahlungsunfähig oder (noch) nicht?

Neben der Überschuldung ist die Zahlungsunfähigkeit der zweite wichtige Insolvenzgrund. Zahlungsunfähig ist ein Unternehmen, wenn es seine fälligen Verbindlichkeiten nicht mehr begleichen kann. „Ein Geschäftsleiter ist in einem solchen Fall verpflichtet, innerhalb der gesetzlichen Frist von drei Wochen einen Insolvenzantrag zu stellen“, sagt Eggen. Zahlungsunfähigkeit liegt nach Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs vor, wenn das Unternehmen zu einem Stichtag zehn Prozent oder mehr seiner fälligen Verbindlichkeiten mit den präsenten liquiden Mitteln nicht begleichen kann und diese Lücke auch nicht innerhalb von drei Wochen unter Beachtung der in dieser Zeit fällig werdenden Verbindlichkeiten mit den in diesem Zeitraum zusätzlich verfügbar werdenden liquiden Mitteln schließen kann. 

Die Chance auf einen Neuanfang 

„Wichtig ist: Ein Insolvenzantrag bedeutet – unabhängig davon, ob er wegen Zahlungsunfähigkeit oder Überschuldung gestellt wurde – nicht automatisch, dass die Unternehmensgeschichte an dieser Stelle endet“, sagt Eggen, der bereits zahlreiche Unternehmen bei ihren Sanierungen begleitet hat. „Die Insolvenz kann vielmehr die Chance auf einen Neuanfang darstellen. Es gilt jedoch: Je früher ein Insolvenzantrag vorbereitet wird, desto größer ist die Chance auf den Neuanfang.“

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