Groß war Mitte Juni die Erleichterung bei wohl fast allen Versicherungs- und Finanzanlagenvermittlern: Im Rahmen des Gesetzgebungsverfahrens zur EU-Kleinanlegerstrategie (Retail Investment Strategy, RIS) hatte sich der EU-Ministerrat, ebenso wie zuvor das EU-Parlament, gegen allgemeine Provisionsverbote ausgesprochen.
Anders als die Bezeichnung vielleicht suggeriert, handelt es sich bei der Kleinanlegerstrategie keineswegs nur um ein unverbindliches Strategiepapier, sondern um ein EU-weites Gesetz in Form einer Richtlinie, die in allen Mitgliedsstaaten zwingend umgesetzt werden muss.
„Nach diesem Votum wird es Versicherungsmaklern in Deutschland weiterhin möglich sein, ihre Existenz auf der Basis von Courtagen zu sichern, ohne dass ihr unabhängiger Status in Frage gestellt wird. Das ist ausgesprochen positiv“, sagte etwa Michael H. Heinz, Präsident des Bundesverbands Deutscher Versicherungskaufleute (BVK).
Drops noch nicht endgültig gelutscht
Zuletzt ging es hauptsächlich noch um ein Provisionsverbot bei Versicherungsanlageprodukten. Die Kapital- und Finanzanlagenvermittlung, die ursprünglich ebenfalls im Fokus gestanden hatte, war schon zuvor aus dem Vorhaben gestrichen worden.
Endgültig gelutscht ist der Drops damit allerdings noch nicht. Zum einen steht nun noch der „Trilog“ – also der Dreier-Dialog – zwischen der EU-Kommission, dem EU-Parlament und dem Rat an. Zum anderen sind auf Ebene der Detailvorschriften noch Überraschungen möglich, und auch nationale Alleingänge sind nicht ausgeschlossen.
Zunächst allerdings war der Prozess durch die Europawahl im Juni unterbrochen. Bevor der Trilog in die nächste Phase gehen kann, müssen sich die neue EU-Kommission bilden und die Gremien zurechtrütteln. Außerdem hat das EU-kritische Ungarn turnusmäßig bis Ende 2024 die EU-Ratspräsidentschaft. Dabei kommt es zu Fingerhakeln mit der EU-Kommission, was die Dinge nicht unbedingt beschleunigt.
„Kein Anlass, es neu auf die Tagesordnung zu holen“
„Wir gehen aktuell nicht davon aus, dass die Trilog-Verhandlungen noch in diesem Jahr abgeschlossen werden“, sagt Martin Klein, geschäftsführender Vorstand des Vertriebsverbands Votum. Er glaubt nicht, dass das Thema im Rahmen der Trilog-Verhandlungen noch einmal hochkocht. „Tatsächlich enthalten die drei divergierenden Entwürfe von Kommission, Parlament und Rat jeweils keine Forderung nach einem Provisionsverbot, so dass es keinen Anlass gibt, dieses noch einmal auf die Tagesordnung zu holen“, so Klein.
Auch habe die Europawahl keine Stärkung der sozialdemokratischen oder der Grünen Fraktion im Parlament ergeben, so dass es weiterhin keine Mehrheiten für ein Provisionsverbot gebe. Er gibt aber zu bedenken: „Jedoch gilt es darauf zu achten, dass die Ermächtigungen der EU-Kommission zu Level 2 Maßnahmen nicht überhandnehmen und die Kommission zu Maßnahmen berechtigen, die ein faktisches Provisionsverbot zum Ergebnis haben.“
Level 2 Verordnungen oft sehr weitreichend
Hintergrund: Die übergeordneten EU-Richtlinien und -Verordnungen werden von der EU-Kommission vorgeschlagen und müssen stets vom Parlament und dem Rat abgesegnet werden. Richtlinien müssen noch von den nationalen Parlamenten in nationales Recht umgesetzt werden; EU-Verordnungen gelten unmittelbar in jedem Mitgliedsstaat.
Beide enthalten regelmäßig Ermächtigungen für Detailvorschriften. Diese nicht selten sehr weitreichenden „Delegierten Verordnungen“, die auch als „Level 2“ bezeichnet werden, kann die EU-Kommission mit der entsprechenden EU-Aufsichtsbehörde, also ESMA oder EIOPA, mehr oder weniger im Alleingang beschließen.