Wer mit Unternehmern spricht, spürt nicht selten ein hohes Maß an Frustration. „Früher, in den Anfängen meines Unternehmens ging es mir besser“, ist dann nicht selten zu hören. Hin- und hergerissen zwischen dem Alltagsgeschäft, Verwaltungsaufgaben, Führungsnotwendigkeiten, Besprechungen mit Teams, Abteilungen und anderen Hierarchieebenen, Meetings mit Banken, dem Steuerberater und Mitgesellschaftern bleibt die eigentliche Leistung am Kunden auf der Strecke. Früher war sicher beileibe nicht alles besser, aber immerhin war man als Unternehmer selbst an seiner Leistung beteiligt, konnte im direkten Kontakt mit Kunden selbstbestimmt Entscheidungen treffen und aktiv sein Werk verrichten. Wer an früher denkt, merkt nicht selten, dass er heute nicht mehr Subjekt, sondern Objekt des Handelns ist, Gefangener eines selbstgeschaffenen Systems, eines Geflechts des Müssens statt des Könnens.
Wer so etwas spürt, ist auf ungesunde Weise gewachsen, hat sich von dem, was einst die eigenen unternehmerischen Träume und Visionen waren, seltsam entfremdet. Der Weg dorthin hat nicht wehgetan. Im Gegenteil: Mit jedem neuen Mitarbeiter, jedem neuen Produkt, jedem neuen Großprojekt und jedem neuen Standort oder Meilenstein stieg gleichermaßen die gesellschaftliche Anerkennung. Erfolg wird schließlich an solchen Parametern gemessen. Je mehr, desto besser. Mehr Mitarbeiter, mehr Umsatz, mehr Reputation bei gleichzeitig wachsendem Ego lautet die Gleichung einer kapitalistischen Marktwirtschaft, die mehr in quantitativen als in qualitativen Kategorien denkt. Bis zu einem gewissen Punkt war Wachstum Gradmesser des eigenen Erfolgs, Bestätigung des eigenen Wirkens. Wachstum machte zufrieden.
Delegieren ist keine Lösung
Doch irgendwann wird jeder vermeintliche Erfolg schal. Es ist wie bei Hotels. Der Qualitätssprung vom Drei- ins Fünfsterne-Haus ist gewaltig und die Preissteigerungen sind in Relation dazu in der Regel sehr akzeptabel. Der Qualitätssprung vom „normalen“ Fünfsterne-Haus ins Ritz Carlton, Adlon oder Burj Al Arab aber stößt schnell an einen Grenznutzen, der den eklatant höheren Preis nicht mehr unbedingt rechtfertigt. Es gibt Sinngrenzen, an denen der persönliche Preis den Mehrnutzen übersteigt. Diese Sinngrenzen sind individuelle Schmerzgrenzen. Wenn es ums eigene geschäftliche Wachstum geht, sollten sich Unternehmer bei jeder dieser Schmerzgrenzen fragen, ob es nicht doch ein Genug gibt, einen Punkt, an dem jedes weiteres Wachstum den mit ihm immer verbundenen Wachstumsschmerz rechtfertigt.
Ja, wachsen verursacht Schmerzen, bedingt Risiken und die zu erzielenden Ertragssprünge werden mit jedem weiteren Wachstumsschritt in Relation zu den mit ihm verbundenen notwendigen Maßnahmen nicht selten geringer. Ein immer komplexeres System mit immer mehr Menschen, Interdependenzen und Abhängigkeiten verschlingt immer größere Anteile der potenziellen Mehrerträge. Wachstum ist eben kein Selbstzweck.
Festzustellen, ob man selbst noch Unternehmer ist, oder nur noch der oberste Manager eines Systems, das sich in weiten Teilen der eigenen Verantwortung und Kontrolle entzieht, gehört mit zur Analyse jedes Wachstumsschritts. Das Manager-Sein ist das, was viele echte Unternehmer beklagen, wenn sie die bereits beschriebene Frustration spüren.
Delegieren ist für diese Frustration keine Lösung. Delegieren, das ist der prophetische Automatismus, den Berater und Sachbücher gern empfehlen, wenn es um die eigene weitere Geschäftsentwicklung geht. Man müsse am, nicht im Unternehmen arbeiten, lautet der Leitsatz von Managementtrainern auf ihren bunten Power-Point-Folien. Delegieren aber ist der Weg des Wachstums, der Weg eines weiteren Kontrollverlustes und weiterer Entfremdung. Nicht delegieren ist die Lösung, sondern die Tätigkeiten wieder selber erledigen, die man gerne selbst erledigen möchte. Nur das Selbermachen führt zu einer Rückkehr der Selbstbestimmung und zu mehr Identifikation mit dem eigenen Unternehmen. Selbermachen, sich verkleinern, downsizen ist der Weg zu mehr Selbst- statt Fremdbestimmung, zu mehr Kundennutzen, zu mehr Qualität und zu mehr Sinn.
Kein Verzicht, sondern mehr Ertrag
Die entscheidende Frage in einem solchen Umdenkprozess ist die Frage, wie man eigentlich leben möchte. Was waren meine Ziele zu Beginn meines Unternehmens oder meiner Karriere? Was wollte ich einmal erreichen? Was wollte ich sein? Und was bin ich heute? Viele werden merken, dass ihnen der selbstgenähte Anzug nicht mehr passt und es Zeit ist für neue Kleider.
Dazu gehört nicht selten, sich zu befreien von allem, was einen davon abhält, das eigene Leben zu gestalten. Die Lösung dürfte für viele im Weniger liegen: weniger Mitarbeiter, die geführt werden wollen und Hierarchieebenen repräsentieren, deren Nutzen und Ertrag schon lange nicht mehr hinterfragt wurde. Weniger Kunden, die viel mehr Aufmerksamkeit erfordern als sie zu zahlen bereit sind. Weniger Produkte, die sich im Leistungskatalog befinden, aber die nur selten bestellt werden, die aber vermarktet werden wollen. Weniger Meetings, weniger Mails, weniger Verwaltung, weniger Risiken für Investitionen in Neues, meist Unnützes, weil es nicht mehr ins eigene Leben passt.
Downsizing bedeutet hier keinen Verzicht, sondern im Gegenteil sogar mehr Ertrag, Denn übrig bleibt nach einem solchen Prozess nur das, was einen erfüllt, was den notwendigen und starken Ertrag bringt, um das eigene selbstgewählte Leben zu finanzieren und abzusichern. Und auch die Frage, wie weit das eigene Downsizing, die freiwillige Reduktion geht, hängt von der Frage ab, wie man leben möchte – und damit auch von der Frage, was am eigenen Unternehmen kann und möchte ich in mein Leben noch integrieren. Reduktion befreit – und macht, was gerade in diesen Zeiten sehr wichtig ist, resilient gegen die Unbill anderer Menschen, unberechenbarer Märkte und einer unternehmensfeindlichen Politik.
Unternehmer sollten sich nicht scheuen, ihre selbstgeschaffene Unfreiheit hinter sich zu lassen. Die Maßstäbe ändern sich gerade. Downsizing ist keine Schwäche, kein Eingeständnis oder Zeichen des Scheiterns. Vielmehr ist es der Mut, ja zu sich selbst und seinen eigenen Interessen zu sagen, statt andere zu alimentieren, die zwar vom System profitieren, die aber selbst keinerlei Risiko tragen und ihrerseits nicht selten zu keinerlei Kompromissen bereit sind. Es ist an der Zeit, die eigenen Bedürfnisse über die eines Systems zu stellen, das sich möglicherweise längst überholt hat.
Falk S. Al-Omary ist Krisen-PR-Manager, Markenentwickler und Kommunikationsexperte.