Geopolitische Spannungen, Sorgen um das weltweite Wachstum, eine Rezession im verarbeitenden Gewerbe und quasi stagnierende Unternehmensgewinne in diesem Jahr: An Gründen für Pessimismus an den Aktienmärkten mangelt es nicht. Ein Kommentar von Olivier de Berranger, Chief Investment Officer und Clément Inbona, Fondsmanager La Financière de l‘Echiquier.
Dennoch liegen die Indizes in den USA und Europa auf ihren historischen Höchstständen (oder fast), wenn man die ausgeschütteten Dividenden mit einbezieht: Der S&P 500 liegt nur 0,3 Prozent unter seinem Spitzenwert vom 26. Juni dieses Jahres, während der Euro Stoxx 50 so hoch steht, wie niemals zuvor.
Geldpolitische Bedingungen gelockert
Auf den ersten Blick könnte die offensichtliche Diskrepanz zwischen Realwirtschaft und Aktienbewertungen überraschend erscheinen. Bei genauerem Hinsehen zeigen sich jedoch gute Gründe, das Glas eher halb voll als halb leer zu sehen.
Zuallererst sind da die geldpolitischen Bedingungen, die in den vergangenen Monaten deutlich gelockert wurden. Jüngstes Beispiel? Die Sitzung des Gouverneursrats der Fed in der Vorwoche, der binnen zwei Monaten zum zweiten Mal eine Senkung des Leitzinses um 25 Basispunkte beschloss und weitere Zinssenkungen nicht ausschloss.
Umfeld für Aktien ideal
Dieser gemeinhin erwartete Beschluss wirkte sich kaum auf die Märkte aus. Dennoch war dies etwas völlig Neues: Obwohl die Inflation ihren Zielwert fast erreicht hat, die Arbeitslosenrate so niedrig wie nie ist und das Wachstum ein ordentliches Tempo aufweist, senkt die wichtigste Zentralbank der Welt ihre Zinssätze! Wird die Zukunft diese Entscheidung rechtfertigen? Oder wird die Geschichte sie verurteilen?
Ungeachtet dessen verfolgen nahezu alle Zentralbanken weltweit eine lockere Geldpolitik. Die Zinssätze sind sehr niedrig, und das weltweite Wachstum liegt auf durchschnittlichem Niveau, wenngleich es leicht nach unten korrigiert wurde. Eigentlich ist dieses Umfeld für Aktien ideal.
Was in Frankreich passiert
Zudem wird unter dem Druck der Zentralbanken, der internationalen Institutionen und der Bürger der Ruf nach staatlichen Konjunkturmaßnahmen immer lauter. Angesichts der zunehmenden Ungleichheiten, der durch den Klimawandel bedingten Herausforderungen und der teilweise maroden Infrastruktur ist der Druck auf die Regierungen sehr stark. Einige aktuelle Maßnahmen veranschaulichen den sich vollziehenden Wandel gut.
In Frankreich beispielsweise drängten die Proteste der Gelbwesten Präsident Macron im vergangenen Dezember, Maßnahmen zu ergreifen, die das Haushaltsdefizit vergrößerten. Ein auffälliges Beispiel aus jüngster Zeit ist Deutschland: Das Land kündigte soeben ein Ausgabenprogramm über 50 Milliarden Euro bis 2025 zur Reduzierung der CO2- Emissionen an.
Rückgang der Zinssätze macht Aktien noch attraktiver
In Berlin wird derzeit heftig über die Lockerung der haushaltspolitischen Fesseln debattiert. In den USA wird der um seine Wiederwahl kämpfende US-Präsident wohl eine weitere Steuerentlastung oder ein Ausgabenprogramm vorbereiten, um vor allem die Verteuerung bestimmter Importgüter aus China abzufedern, die von den durch ebendiesen Präsidenten neu verhängten Zöllen betroffen sind.
Zudem macht der Rückgang der Zinssätze und der Kreditspreads die Rendite von Aktien noch attraktiver. Denn die Kombination aus Dividenden und Aktienrückkäufen bietet ein deutlich höheres Ausschüttungs- und Renditepotenzial als bei den meisten Staats- und auch Unternehmensanleihen.
Aktien bleiben somit trotz der Befürchtungen der Anleger und der diesem Anlagetyp innewohnenden Risiken weiterhin attraktiv. „Sei gierig, wenn andere ängstlich sind“, sagte schon Warren Buffet.
Foto: La Financière de l‘Echiquier