Wie kommt Deutschland aus der Sackgasse?

Olgerd Eichler, MainFirst
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Olgerd Eichler, MainFirst AM

Deutschlands Wirtschaft benötigt einen Neuanfang, befindet Olgerd Eichler, Portfoliomanager im Team Blend / European Equities bei MainFirst. Die bevorstehenden Bundestagswahlen könnten die Impulse für eine „Agenda 2030“ bringen.

„Deutschland steht vor großen Herausforderungen. Zwar hat sich die Wirtschaft von den Folgen der Corona-Pandemie erholt, doch die Energiekrise und der Ukraine-Krieg haben Schwächen offenbart“, diagnostiziert Portfoliomanager Eichler. Das Wirtschaftswachstum ist ins Stocken geraten. In einigen Schlüsselbranchen wie der Automobil- und Chemieindustrie sinkt die Industrieproduktion. Die Abhängigkeit von fossilen Energieträgern belaste zusätzlich die Wettbewerbsfähigkeit. 

Gleichzeitig stelle der digitale Wandel die Wirtschaft vor strukturelle Anpassungsprobleme, so der MainFirst-Experte für Europa-Aktien: „Deutschland, einst Vorreiter der Ingenieurskunst, hinkt bei Schlüsseltechnologien wie künstlicher Intelligenz hinterher.“ Hinzu kämen die aktuellen geopolitischen Spannungen, die eine strategische Neuausrichtung erforderten: der Wettstreit zwischen den USA und China, der Krieg in der Ukraine und die globale Neuordnung von Handelsbeziehungen.

Bestandsaufnahme: Bürokratie bremst Wettbewerbsfähigkeit aus 

Als zentrales Hindernis für Fortschritt und Erneuerung in Deutschland beurteilt Eichler die Bürokratie: „Langwierige Genehmigungsverfahren, überregulierte Prozesse und mangelnde Abstimmung zwischen Bund, Ländern und Kommunen behindern oft die Umsetzung von Projekten. Diese Hürden bremsen nicht nur die wirtschaftliche Entwicklung, sondern erschweren auch dringend notwendige Fortschritte in den Bereichen Digitalisierung, Infrastruktur und erneuerbare Energien.“ Um die Wettbewerbsfähigkeit Deutschlands zu sichern, seien konsequente Entbürokratisierung sowie der Ausbau digitaler Verwaltungsprozesse nötig.

Auch innenpolitisch sieht Eichler das Land vor Herausforderungen: „Steigende Inflation, soziale Ungleichheit, Migration, politische Verfehlungen und die Klimakrise polarisieren die Gesellschaft. Viele Bürger sind unzufrieden mit dem politischen Stillstand und fordern mutige Reformen.“ Er sieht Parallelen zur Situation vor 20 Jahren, als die britische Zeitschrift The Economist Deutschland als den „kranken Mann Europas“ bezeichnete. Nachdem es lange als Wirtschaftsmotor gegolten hatte, befand sich Deutschland damals in einer der schwersten wirtschaftlichen Krisen seiner Nachkriegsgeschichte. Die Arbeitslosenquote war alarmierend hoch, hohe Sozialabgaben belasteten die Unternehmen, das Wirtschaftswachstum stagnierte.

Neuwahlen 2025: Deutschlands Chance auf den Wendepunkt

Inmitten dieser Krise wagte die damalige Regierung unter Bundeskanzler Gerhard Schröder eine historische Reform: die Agenda 2010. „Das Vorgehen war umstritten, legte aber den Grundstein für den späteren Wirtschaftsaufschwung, der Deutschland wieder zu mehr Stärke und Wettbewerbsfähigkeit verholfen hat“, urteilt Eichler rückblickend. Maßnahmen waren unter anderem die Lockerung des Kündigungsschutzes, die Einführung der Hartz-IV-Gesetze und die Deregulierung des Arbeitsmarktes. 

„Wie damals befindet sich Deutschland heute in einer Phase der Unsicherheit und Orientierungslosigkeit, die entschlossenes politisches Handeln erfordert. Allerdings war die damalige Krise vor allem hausgemacht, während die aktuellen Probleme auch in der globalen Vernetzung Deutschlands wurzeln und vielschichtiger sind.“ 

Gute Aussichten für deutsche Aktien

Eichler resümiert: „Die kommenden Wahlen bieten die Chance, das Land neu auszurichten und den Reformstau aufzulösen. Eine neue Regierung könnte die nötigen Veränderungen in den Bereichen Digitalisierung, Bürokratie und Energie vorantreiben.“ Dafür brauche es klare Ziele, mutige Entscheidungen und eine zielgerichtete Wirtschaftspolitik. „Dann kann Deutschland nicht nur seine Position als europäischer Wirtschaftsmotor zurückgewinnen, sondern auch seine globale Präsenz stärken – und erneut vom kranken Mann zum Vorbild des Aufbruchs für ganz Europa werden.“

Insbesondere der deutsche Mittelstand würde von neuen wirtschaftspolitischen Impulsen profitieren, argumentiert der Aktienexperte: „Nicht nur könnten die Unternehmen wieder mutiger auftreten, sondern auch mehr Investitionsbereitschaft zeigen.“ Viele dieser kleinen und mittelgroßen Unternehmen böten großes Aufholpotenzial, da sie von Anlegern in der Vergangenheit links liegen gelassen wurden. „Die niedrigen Bewertungen dieser Aktien sprechen für besonders interessante Kursperspektiven“, so Eichler.

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