Tank oder Teller, Biokraftstoff oder Lebensmittel? Die aktuell in Teilen Afrikas, Asiens und des Nahen Ostens bestehenden Hungersnöte rücken die Bedeutung von Lebensmitteln und den dafür notwendigen Agrarprodukten einmal mehr in den öffentlichen Fokus. Ein strittiger Themenkomplex in diesem Zusammenhang: Der Einsatz von landwirtschaftlichen Gütern – wie etwa Weizen, Mais, Raps, Palmöl oder Zuckerrohr – bei der Erzeugung von konventionellen Biokraftstoffen (Biofuels). Laut der Umweltorganisation Transport & Environment wird in Europa täglich eine Weizenmenge für Biofuels genutzt, die zur Produktion von 15 Millionen Broten ausreichen würde. Ist das gerade in der momentanen Situation noch vertretbar? Muss nicht der klare Fokus bei der Nutzung von Agrarrohstoffen auf der Erfüllung des Ernährungsziels liegen?
Unter sozialen Gesichtspunkten ist dieser Standpunkt nachvollziehbar. Allerdings lässt diese Einschätzung einen wichtigen ökologischen Faktor unberücksichtigt: Biokraftstoffe tragen durch die Beimischung in Benzin und Diesel dazu bei, den Transportsektor zu dekarbonisieren und wirken somit dem Klimawandel entgegen. Schnell wird klar: In der Debatte um Biofuels existiert ein Zielkonflikt zwischen ökologischen und sozialen Nachhaltigkeitskriterien. Für Vermögensverwalter wie Union Investment stellt sich deshalb die Frage: Wie ist eine Priorisierung von widerstreitenden ESG-Aspekten bei nachhaltigen Investitionsentscheidungen zu begründen?
Biofuels mit positivem Klimabeitrag
Auch der Transportsektor muss im Rahmen der Pariser Klimaziele verpflichtende CO2-Reduktionsziele erfüllen. Doch noch immer sind die verkehrsbedingten Treibhausgasemissionen in der Europäischen Union (EU) zu hoch und nehmen – trotz aller technischer Fortschritte – weiter zu. Hauptverantwortlich dafür ist der Straßenverkehr. Biokraftstoffe können helfen, dies zu ändern. Tendenziell gilt: Je höher deren Beimischungsquote, umso geringer der CO2-Ausstoß. Dieser einfache Zusammenhang ist ein wichtiger Grund dafür, dass die verstärkte Nutzung von Biofuels auch von politischer Seite weltweit gefordert und gefördert wird. Auf europäischer Ebene sollen etwa die Renewable Energy Directive (RED) und das Nachfolgeabkommen (RED II) dafür sorgen, dass Kraftstoffe künftig immer weniger CO2-Emissionen verursachen. Die EU-Mitgliedstaaten sind verpflichtet, deren Vorgaben umzusetzen. Auch Deutschland hat zu diesem Zweck Regelungen beschlossen. Geht in die richtige Richtung – möchte man meinen. Doch die Umsetzung hat einen Haken: In den letzten Jahren hat sich immer stärker gezeigt, dass klassische Biokraftstoffe in der Anbauphase für unerwünschte Nebeneffekte im ökologischen und sozialen Bereich verantwortlich sind. Eine Forcierung des Verbrauchs von konventionellem Biosprit, der weltweit in der Verwendung noch immer dominiert, würde diese Probleme dementsprechend verschärfen.
Konventionelle Biokraftstoffe – nicht alles ist gut
Um die Kritik an klassischen Biofuels zu verstehen, muss man die wichtigsten Inputfaktoren betrachten. Konventionelle Biokraftstoffe der ersten Generation werden vor allem aus Agrarrohstoffen wie Mais, Weizen, Soja, Zuckerrohr (vor allem für Bioethanol), Palmöl, Soja und Raps (vor allem für Biodiesel) gewonnen. Die Kritikpunkte gegenüber diesen Kraftstoffen betreffen dabei sowohl ökologische, als auch soziale Aspekte:
- Die Ausweitung der benötigten Fläche zur Produktion landwirtschaftlicher Güter – auch für Biofuels – hat gerade in den letzten Jahren zu Rodungen und Flächenumwandlungen geführt. Diese Entwicklung belastet die Biodiversität, besonders in einigen Schwellenländern, erhöht die CO2-Emissionen und trägt dadurch zum Klimawandel bei.
- Speziell in den Schwellenländern fördert die Nachfrage nach konventionellen Biokraftstoffen zudem die Ausweitung von kritischen Monokulturen, etwa beim Anbau von Palmöl, Zuckerrohr, Soja und Mais.
- Die für Biofuels verwendeten Agrarrohstoffe stehen nicht zur Lebensmittelproduktion zur Verfügung. Die potenziell mögliche Menge an Nahrungsmitteln fällt deshalb geringer als theoretisch möglich aus.
Diese kritischen Trends bestehen bereits seit einigen Jahren. In Zeiten von akuten Ernährungskrisen verschärft sich jedoch speziell die soziale Dimension des Konflikts. Denn im globalen Maßstab reduziert die Nachfrage aus dem Biofuels-Bereich letztlich das verfügbare Angebot an Nahrungsmitteln und führt zu Preissteigerungen. Auch wenn man im Detail differenzieren muss zwischen verschiedenen Regionen und den einzelnen Agrarrohstoffen – dass die Verwendung von Nahrungsmitteln für die Biosprit-Produktion gerade in solchen Situationen verstärkt in die Kritik gerät, ist nachvollziehbar.
Rahmenbedingungen in Deutschland verändern sich
Eine eindeutige Beurteilung von klassischen Biokraftstoffen unter ESG-Gesichtspunkten ist deshalb komplex. Denn der ökologische Grundgedanke, CO2-Emissionen zu reduzieren, ist ein starkes Argument. Doch die sich daraus ergebenden Effekte belasten die Nachhaltigkeitsbilanz von Biofuels in anderen Bereichen. Deutschland versucht beiden Aspekten durch die vom Bundestag beschlossenen Anhebungen der Treibhausgasminderungsquote (THG-Quote) Rechnung zu tragen. Dort wird eine noch stärkere CO2-Reduktion bei Kraftstoffen von 25 Prozent bis 2030 vorgeschrieben. Gleichzeitig beschränkt der Beschluss aber auch die maximale Quote von aus Nahrungsmittelpflanzen gewonnenem Biosprit. Zudem darf Palmöl ab 2023 nicht mehr in die THG-Quote mit eingerechnet werden. Damit will der Gesetzgeber die unerwünschten Nebenwirkungen konventioneller Biokraftstoffe begrenzen. Als Alternative zur klassischen Variante sollen innovative Biofuels, die bislang noch eine eher untergeordnete Rolle spielen, stärker gefördert werden. Ein Beispiel ist Kraftstoff aus gebrauchtem Speiseöl. Vorteil der neuen Generation von Biofuels: Die verwendeten Inputstoffe stehen gerade nicht in Konkurrenz zur Lebensmittelproduktion.
In Deutschland weisen in der aktuellen politischen Diskussion Biosprit-Befürworter darauf hin, dass durch drohende, geringere Beimischungsquoten verbindliche Dekarbonisierungsziele im Verkehrsbereich verfehlt werden könnten. Aus diesem Grund könnten Strafzahlungen anfallen, bestehende Produktionsstrukturen und Arbeitsplätze würden gefährdet und ein Stück Energie-Souveränität aufgegeben. Denn in diesem Fall müsste bei gegebenem Gesamtverbrauch als Ersatz mehr fossiler Kraftstoff importiert und verwendet werden. Die globalen Wechselwirkungen bleiben hier allerdings unerwähnt. Deutschland und die EU sind weltweit wichtige Produzenten von Biofuels (besonders im Bereich Bio-Diesel). Die dafür notwendigen Rohstoffe werden zum Teil aus dem Ausland bezogen. Diese Importnachfrage sorgt gerade in einigen Schwellenländern für negative ökologische Entwicklungen. Neben dem Blick auf den heimischen Agrarbereich ist es deshalb wichtig, auf globaler Ebene die Effekte in der Wertschöpfungskette von Biokraftstoffen zu berücksichtigen.
Globale Perspektive zur Meinungsbildung notwendig
Neben den USA und Europa als wichtigen Produzenten von konventionellen Biokraftstoffen haben auch Länder wie Brasilien, China und Indonesien einen bedeutenden Anteil an der globalen Produktionsmenge. Auch auf der Konsumseite weisen neben den USA vor allem Länder wie Brasilien, China, Indonesien und Thailand eine starke Nachfrage nach Biosprit auf, verbunden mit teilweise hohen Beimischungsquoten. Breite Anpassungstendenzen zur Reduktion von konventionellem Biosprit sind – mit Ausnahme der EU – aktuell noch Fehlanzeige. Nationale Interessen sprechen bislang dagegen. In den USA und Brasilien etwa stellt die Ethanol-Produktion einen wichtigen und erfolgreichen Wirtschaftsbereich mit etablierten Unternehmensstrukturen dar. In Ländern wie Indonesien wird durch den Einsatz von (überschüssigem) Palmöl für Biokraftstoffe Einfluss auf den Weltmarktpreis genommen. Besonders für Schwellenländer mit einer großen Produktionsinfrastruktur gilt darüber hinaus, dass durch die lokale Erzeugung von Biokraftstoffen auch der kostspielige Import von fossilen Kraftstoffen verringert werden kann.
Investmententscheidungen auf Einzelfallbasis
Die widersprüchlichen Effekte von Biofuels im ökologischen und sozialen Bereich bedeuten für deren Beurteilung mit Blick auf die Nachhaltigkeit: Schwarz-Weiß-Muster greifen zu kurz. Die Fokussierung auf nur einen Nachhaltigkeitsaspekt führt zu unausgewogenen Ergebnissen. Dieser Herausforderung müssen sich auch Vermögensverwalter wie Union Investment bei ihren Investmententscheidungen stellen – gerade bei Anlagen, die einem Nachhaltigkeitsansatz folgen. Denn entgegen anderen, kontrovers diskutierten ESG-Themen, existieren beim Thema Biokraftstoffe keine vordefinierten, allgemein akzeptierten Ausschlusskriterien. Investmententscheidungen erfolgen deshalb auf Basis qualitativer Abwägungen für jedes Unternehmen einzeln. Portfoliomanager können dabei grundsätzlich zwischen zwei Anlageoptionen wählen – und den damit verbundenen Implikationen:
Entweder investieren sie in bereits etablierte Produzenten von Biokraftstoffen der ersten Generation (Generation1 Biofuels) und in das damit verbundene Potenzial zur Dekarbonisierung – nehmen aber in Kauf, dass diese Entscheidung mit negativen Auswirkungen auf andere Nachhaltigkeitsbereiche verbunden ist. Oder aber sie fokussieren sich auf Unternehmen, deren innovative Produkte weniger Nebenwirkungen aufweisen als konventionelle Biofuels und eine insgesamt bessere ESG-Bilanz haben. Allerdings: Der Markt für sogenannte Generation 2 oder 3 Biofuels ist aktuell noch klein und die Zahl an investierbaren Unternehmen relativ gering. Der absolute Beitrag zur Dekarbonisierung durch neuartige Biokraftstoffe ist deshalb noch begrenzt.
Man muss sich also entscheiden: Entweder maximiert man die Wirkung oder man minimiert die Nebenwirkung – beides zusammen geht leider noch nicht. Aber: Die Förderung durch die Politik – etwa in der EU – wird der Entwicklung im Bereich der Generation 2 und 3 Biofuels Rückenwind verleihen und langfristig zu einer Mengenausweitung führen. Verlässliche Unterstützungsmaßnahmen helfen Unternehmen von neuartigen Biokraftstoffen bei ihren Investitionsplänen und wirken sich in vielen Fällen vorteilhaft auf technologische Weiterentwicklungen aus.
Unternehmen wie Darling Ingredients aus den USA setzen bereits jetzt stark auf die Erzeugung neuartiger Biokraftstoffe, und greifen bei der Produktion auf Inputfaktoren wie etwa gebrauchtes Speiseöl zurück – und eben nicht auf klassische Agrarrohstoffe.
Autorin Katja Filzek ist Senior ESG-Strategin bei Union Investment.