Frau Winter, die EU-Kommission will Investitionen in Gas- und Atomkraftwerke unter bestimmten Bedingungen als klimafreundlich einstufen. Wie finden Sie das?
Winter: Wir haben uns in Deutschland entschieden, aus der momentanen Form der Atomkraft auszusteigen. Das ist aus meiner Sicht richtig und dafür gibt es einen breiten Konsens in der Gesellschaft. Die Atomkraft ist sehr teuer, nur noch wenige Unternehmen in Deutschland würden daher in den Neubau von Atomkraftwerken investieren. Gleichzeitig haben wir immer noch die Endlager-Problematik und das Sicherheitsrisiko. Frankreich setzt trotzdem sehr stark auf Atomkraft, was die autonome Entscheidung des Landes ist. Die Taxonomie wird dennoch nicht dazu führen, dass wir in Deutschland neue Atomkraftwerke sehen werden. In der Diskussion um Gaskraft geht es nicht darum, ob Erdgas CO2-neutral ist – das ist es nämlich nicht. Allerdings brauchen wir Gas als Brückentechnologie derzeit leider noch, um Versorgungssicherheit zu gewährleisten. Wir sind mit dem Ausbau der erneuerbaren Energien nämlich noch nicht so weit, als dass wir darauf verzichten könnten. Daher steht sogar im Koalitionsvertrag der Ampel, dass moderne Gaskraftwerke gefördert werden sollen. Im Rahmen der Taxonomie werden ebenfalls sehr hohe Anforderungen an diese modernen Gaskraftwerke gestellt: So müssen beispielsweise ab 2026 insgesamt 30 Prozent der eingespeisten Gase CO2-neutral sein. Ab 2030 müssen es mindestens 50 Prozent sein. Momentan emittiert ein modernes Gaskraftwerk rund 350 Gramm CO2-Äquivalente pro Kilowattstunde, also deutlich zu viel, um unter Taxonomiegesichtspunkten als nachhaltig zu gelten. Durch die Taxonomie werden also nur relativ saubere Gaskraftwerke gefördert, wenn es überhaupt Betreiber gibt, die diese Voraussetzungen erfüllen können.
Viele Energieexperten befürchten aber, dass damit nötige Investitionen in erneuerbare Energien verzögert werden. Wie sehen Sie das?
Winter: Wir müssen deutlich machen, dass fossile Gaskraft nicht nachhaltig und daher nur eine Brückentechnologie sein kann, um klimaneutral zu werden. Die Zukunft unseres Energiemarkts liegt ganz klar im Bereich der erneuerbaren Energien. Wir müssen massive Kraftanstrengungen unternehmen, um diesen Bereich auszubauen. Im letzten Jahr konnten wir 42 Prozent unserer Energie aus erneuerbaren Quellen beziehen, das ist nicht genug. Daher müssen in diesen Bereich die Mehrheit der Investitionen fließen – und da Erdgas ein Auslaufmodell ist, ist die Investition in erneuerbare Energien auch nur sinnvoll.
Michael Bloss, der klimapolitische Sprecher der Grünen im EU-Parlament, hat gesagt: Atomkraft und Gas in die EU-Taxonomie aufzunehmen sei, als würde man ein Ei aus Käfighaltung als bio abstempeln. Hat er recht?
Winter: Es wäre falsch, wenn man sagen würde, dass ein Ei aus Käfighaltung bio ist und genauso falsch wäre es zu sagen, dass Energie aus Erdgas klimaneutral ist. Aber das ist ja auch nicht der Sinn der EU-Taxonomie. Sie soll einen Standard bieten, welche Technologien heute förderwürdig sind. Sie besagt nicht, welche Technologien treibhausgasneutral sind. Von daher hinkt der Vergleich. Trotzdem muss man natürlich festhalten, dass weder heutige Atom- noch fossile Gaskraft langfristig nachhaltig sind.
Die Grünen wollen die geplante Einbeziehung von Atomkraft und Erdgas in die EU-Kategorie für grüne Investments nicht hinnehmen, SPD und FDP sehen die Pläne der EU-Kommission weniger kritisch. Wie sollte die Bundesregierung mit der Taxonomie-Entscheidung der EU umgehen?
Winter: Wir erleben in der Ampel-Koalition gerade den ersten handfesten Streit, da die Grünen sich auch gegen die Förderung moderner Gaskraftwerke ausgesprochen haben. Dabei steht ausdrücklich im Koalitionsvertrag, dass moderne Gaskraftwerke gefördert werden sollen. Dafür braucht es Investitionen. Wenn Gaskraftwerke kein Nachhaltigkeitslabel erhalten, wird letztlich der Staat darin investieren müssen, dann wird es für die Steuerzahler teuer. Wenn die Regierung die Taxonomieregelung wirklich hätte aufhalten wollen, hätte sie vollends dagegen stimmen müssen – das hat sie aber nicht getan.
Der Klimaschutz spielt im Koalitionsvertrag von SPD, Grünen und FDP eine wichtige Rolle. Wie bewerten Sie die Pläne der Ampel, was würden Sie anders machen?
Winter: Es war ja zu erwarten, dass die neue Ampel-Regierung einen Schwerpunkt beim Klimaschutz setzt. Dafür, dass so viel versprochen wurde, bleibt der Koalitionsvertrag relativ vage. Ich kritisiere vor allem, dass unklar ist, wie die ganzen Maßnahmen finanziert und konkret umgesetzt werden sollen. Dabei ist die Finanzierungsfrage essenziell. Neben der grünen Null müssen wir immer auch die schwarze Null bedenken, die Schuldenbremse in unserer Verfassung, die auch Generationengerechtigkeit bedeutet. Das ist eine nicht zu vernachlässigende Frage, die von der Ampel einfach nicht beantwortet wird.
Sie haben im letzten Jahr die Klima Union mitgegründet, die mehr Aufmerksamkeit für das Thema Klimaschutz in der CDU/CSU erzeugen will. Wie schwer ist das?
Winter: Die Klima Union setzt sich dafür ein, dass wir in Deutschland spätestens 2040 klimaneutral werden und so auf den 1,5-Grad-Pfad kommen. Konservativ zu sein heißt im wörtlichen Sinn, etwas bewahren zu wollen. Das bezieht sich zum einen auf unsere Werte, die auch im Grundgesetz verankert sind, und auf die Bewahrung unserer Umwelt. Daher ist Klimaschutz ein urkonservatives Thema. Als Klima Union wollen wir ein „Think Tank“ sein, in dem deutschlandweit Mitglieder der CDU und CSU über eine christdemokratische Lösung für die Klimakrise diskutieren können. Wir sind dabei allerdings kein offizieller Teil der CDU, sondern ein Verein in der Perisphäre der Union. Wir arbeiten daher eng mit der CDU und der CSU zusammen. Im Wahlkampf gehörte ich zum Team von Kanzlerkandidat Armin Laschet für das Thema Klimaschutz. Es herrscht eine gute Zusammenarbeit.
In einigen Medien sind Sie als „die schwarze Greta“ bezeichnet worden, in Anlehnung an die Klimaaktivistin Greta Thunberg. Schmeichelt Ihnen das oder stört Sie das?
Winter: Man wird damit weder Greta noch mir gerecht. Wir setzen uns für den Klimaschutz ein, der die Mehrheit der Deutschen massiv beschäftigt. Wir haben aber ganz unterschiedliche Ansätze, wie das geschehen soll. Ich finde zudem viele Positionen von „Fridays for Future“ falsch. Von daher ist das eine plakative Überschrift, aber inhaltlich steht eher weniger dahinter.
Sie haben in einem „Zeit“-Interview gesagt: „Ich würde nicht mit Fridays for Future auf die Straße gehen.“ Warum nicht? In den grundsätzlichen Zielen sind sie sich ja einig, was unterscheidet sie?
Winter: Im grundsätzlichen Ziel, dass wir klimaneutral werden müssen, sind sich alle demokratischen Parteien einig. Es geht vielmehr darum, wie wir den Weg dahin finden können. Da gibt es ganz unterschiedliche Ideen. In meiner Heimat Bremen will „Fridays for Future“ de facto den Flughafen schließen, der für die Wirtschaft und Industrie in dieser Region einen ganz großen Mehrwert bietet. Gleichzeitig wollen sie alle Autos aus dem gesamten Bundesland Bremen verbannen, dabei gibt es auch hier ländlichere Gebiete. Das ist eine Utopie, hinter der ich nicht stehe, so sieht keine klimaneutrale, ökonomische Welt aus. Ich stehe zum Beispiel für die Beibehaltung des Individualverkehrs, auch wenn wir mehr Elektromobilität brauchen. Wir müssen ehrgeizige Maßnahmen treffen, aber radikale Maßnahmen werden uns nicht ans Ziel führen, weil sie für viele Menschen nicht tragbar sind.
Ist Ihnen „Fridays for Future“ zu kapitalismuskritisch?
Winter: Das ist der größte Kritikpunkt, den ich an „Fridays for Future“ habe. Dort wird die Forderung nach Klimaneutralität häufig mit der Forderung nach einem Systemwechsel vermischt. Ich denke aber, dass die soziale Marktwirtschaft ein System ist, das immer wieder gezeigt hat, wie viel Transformation mit ihm möglich ist. Wir brauchen dieses System dringend, um klimaneutral zu werden. Es ist doch ein sehr großer Anreiz, dass man langfristiger viel günstiger produzieren kann, wenn man erneuerbare Energien nutzt, weil diese viel günstiger sind als fossile Energieträger oder Atomstrom.
Welche Rolle kann aus Ihrer Sicht die Finanzindustrie bei der Bekämpfung der Klimakrise spielen?
Winter: Die Finanzindustrie kann und muss eine ganz wesentliche Rolle spielen, weil viele Menschen gerne in grüne Finanzprodukte investieren wollen. Deshalb hilft es, dass wir jetzt mit der Taxonomie ein klares Modell dafür haben, wie bestimmte Maßnahmen einzustufen sind, damit nicht jeder einfach sein eigenes Nachhaltigkeitslabel draufpappen kann. Es gibt klare Vorgaben, damit der Begriff Nachhaltigkeit nicht ausgenutzt werden kann. Außerdem können Banken riesige Geldmengen für Investitionen zur Verfügung stellen. Es ist wichtig, dass wir technologieoffen bleiben, um noch einfacher, besser und schneller klimaneutral werden zu können.
Wie viel Zeit bleibt denn noch, um den Klimakollaps zu verhindern? Ihr Kollege bei der Klima Union, Heinrich Strößenreuther, hat in einem Interview gesagt: „Entweder schaffen wir eine Klimapolitik, die die Erderhitzung beim 1,5-Grad-Limit abbremst, in den nächsten 18 bis 24 Monaten oder wir müssen leider unseren Enkelkindern sagen, dass wir das Schicksal kaum noch aufhalten können.“
Winter: Wir müssen die Geschwindigkeit erhöhen, damit wir tatsächlich bis 2045 klimaneutral werden können. Nicht nur auf Bundesebene, sondern auch auf Länder- und Kommunalebene. Vieles muss in den nächsten zwei Jahren geschehen, damit wir einen guten Anlauf haben – gerade wenn man sich anschaut, wie lange Investitionen brauchen und wie lange bestimmte Genehmigungsverfahren dauern, zum Beispiel für den Bau von Stromtrassen.
Welche Ziele hat sich die Klima Union für die nächsten Jahre gesetzt?
Winter: Wir wollen vor allem eine Plattform sein, auf der klimainteressierte CDU-Mitglieder diskutieren können – ein „Think Tank“, der neue Ideen entwickelt und diese in die Partei einbringt. Auf diese Weise wollen wir immer wieder diskutieren, wie ein konservativer Weg aus der Klimakrise aussehen kann. Und wir werden der Ampel bei ihrer Klimapolitik genau auf die Finger schauen – denn das Thema Klimaschutz ist viel zu wichtig und viel zu groß, als dass wir uns in Deutschland jetzt Fehler leisten könnten.
Das Gespräch führte Kim Brodtmann, Cash.