„Wir brauchen andere Zukunftsmodelle“

Wir sehen nun ein Anziehen des Zinsniveaus. Ist vor dem Hintergrund mit einer Rückkehr der Klassiktarife zu rechnen?

Ruß: Die Klassik spielt seit Jahren als direktes Produkt zur Altersvorsorge kaum eine Rolle. Eine zeitnahe Renaissance sehe ich nicht. Das liegt vor allem daran, dass wir dort Erträge über Kunden und Kalenderjahre glätten. Als die Zinsen gesunken sind, sind Garantiezins und Überschussbeteiligung erst mit einer signifikanten Zeitverzögerung heruntergegangen. Gehen die Zinsen hoch, werden Garantiezins und Überschussbeteiligung mit einer signifikanten Zeitverzögerung folgen.

Die Klassik spielt dennoch eine wichtige Rolle bei vielen Produkten und das wird zumindest bei laufenden Beiträgen auch in Zukunft so bleiben: In fast allen erfolgreichen Garantieprodukten wird die Garantie nämlich über einen klassischen Baustein erzeugt, und dann gibt es noch einen kapitalmarktnahen Baustein für die Rendite. Bei Einmalbeiträgen ist die Welt diffiziler. Dort sehe ich daneben auch Potenzial für Produkte, die die Garantie direkt am Kapitalmarkt abbilden.

Beitz: Ich würde gerne noch auf einen anderen Aspekt hinweisen. Das Thema Nachhaltigkeit. Es ist recht komplex, ein klassisches Produkt zu entwickeln, das alle Kriterien der Nachhaltigkeit erfüllt. Ich müsste ja einen komplett nachhaltig ausgerichteten Deckungsstock haben, um ein solches Produkt als nachhaltig klassifizieren zu können. Das ist aber auch ein Problem für die Hybridprodukte. Wir haben uns auf die Fahnen geschrieben, unsere Produktpalette Schritt für Schritt nachhaltiger auszurichten. Das ist mit einer reinen Fondsanlage wesentlich einfacher zu gestalten als mit hybriden Kombinationsprodukten. Ich glaube, dass der große Trend hin zu fondsgebundenen Policen auch deswegen erfolgt, weil damit die regulatorischen Anforderungen einfacher erfüllt werden können.

Herr Beitz, Sie haben das Stichwort geliefert. Wie groß ist inzwischen die Bedeutung des Themas Nachhaltigkeit?

Beitz: Das ist das zentrale Zukunftsthema überhaupt. Und es wird getrieben von der Regulatorik. Es ist klare Absicht der Regulatoren, die Möglichkeiten, die wir im Bereich Versicherungen haben, auch zu nutzen, um eine nachhaltige Ausrichtung der Wirtschaft voranzutreiben. Die Art und Weise, wie wir Versicherer unser Kapital anlegen, spielt dabei eine wichtige Rolle.

Bei einem kleinen Versicherer, wie der Prisma Life mit 200 Millionen Euro im Deckungsstock können sie im Bereich der direkten Investments allerdings wenig bewegen. Aber die Investitionen der Kunden können viel bewirken. Eben auch durch die Auswahl der Fonds. Daher spielt die Produktgestaltung bei uns sicherlich die wichtigste Rolle, denn die Assets unserer Kunden haben inzwischen eine Größenordnung von über 1,3 Milliarden Euro.

Ruß: Im Moment läuft das Thema noch nicht ganz rund, es wird uns aber in Zukunft stets begleiten. Auf den ersten Blick ist vieles verwirrend: Man kennt vielleicht „Fonds nach Artikel sechs, acht oder neun“. Aber abfragen muss man beim Kunden, wieviel er denn „gemäß Abschnitt 4a, 4b oder 4c von Art. 2 Del. VO zur IDD“ investieren möchte; also welcher Anteil seines Produkts in Geldanlagen fließen soll, die „einen wesentlichen positiven Beitrag zum Umweltschutz leisten“, „einen wesentlichen positiven Beitrag zur Nachhaltigkeit leisten“ oder „nachhaltigkeitsschädliches Verhalten minimieren“.

Das verwirrt derzeit oft noch mehr als es nützt. Und viele Fonds geben, um nicht des Greenwashings bezichtigt zu werden oder weil die Informationen über die Unternehmen, deren Aktien sich in einem Fonds befinden schlicht fehlen, nur kleine Quoten an nachhaltigen Investments an, bei denen sie sich wirklich sicher sind, dass sie die Kriterien erfüllen. Ich glaube, das Thema benötigt einfach noch viel mehr noch Zeit.

Beitz: Wir haben das Thema im Rahmen unserer strategischen Neuausrichtung bereits 2016 aufgegriffen. Das große Risiko, das ich hier sehe: Die Versicherer wurden bereits zu einem frühen Zeitpunkt angehalten, mit Kunden über Nachhaltigkeit zu reden, obwohl die Rahmenbedingungen noch nicht feststanden. In einigen Jahren wird es ganz klare Best-Practices geben, weil jeder weiß, wie er mit dem Thema umgehen muss. Wenn dann nach neuen Standards geurteilt wird, gibt es natürlich ein massives Haftungsrisiko. Mich frustriert, dass die ganze Aufbruchsstimmung durch eine große Unsicherheit über die verschiedenen Nachhaltigkeitsziele, ESG-Kriterien und deren Relevanz sowie die Qualität der ESG-Informationen ausgebremst wird.

Wie steht es mit dem Kosten für nachhaltige Fonds. Sind die höher als die klassischer Fonds. Und wie sieht auf der Kundenseite aus? Wären die Kunden bereit, etwaige Mehrkosten auch zu tragen?

Beitz: Die Fondskosten für nachhaltige ausgerichtete Fonds sind nicht zwangsläufig höher als die Kosten für nicht nachhaltig ausgerichtete Fonds. Es gibt aber auch wenige Kunden, die bereit wären, Mehrkosten zu tragen. Auch von den Beratern bekommen wir gespiegelt, dass sich die Kunden schwertun. Wenn sie etwas investieren wollen, dann hauptsächlich im Bereich Umwelt. Das ist für viele transparent und nachvollziehbar. Aber in den Bereichen Social und Governance können Sie die Kunden an einer Hand abzählen, die dort explizit unterwegs sind.

Ruß: Natürlich wissen wir nicht, ob ein nachhaltiges Produkt besser oder schlechter performt. Spannenderweise kann man beides aber ökonomisch begründen. Jetzt spricht jeder über Nachhaltigkeit, deswegen ist dort eine hohe Nachfrage. Somit müsste der aktuelle Preis von nachhaltigen Anlagen eigentlich „überteuert“ sein. Wenn ich aber überteuert einsteige, ist das zukünftige Renditepotenzial kleiner. Das klingt absolut logisch.

Man kann aber genauso gut umgekehrt argumentieren: Wenn ich jetzt etwas kaufe, um für das Alter vorzusorgen, muss ich das in 30 Jahren wieder verkaufen. Bis dahin gibt es aber keine Nachfrage nach etwas, was nicht nachhaltig ist. Wenn ich heute etwas nicht Nachhaltiges kaufe, gibt es somit künftig nur noch wenige Käufer – man wird es also in Zukunft nur zu einem schlechten Preis verkaufen können. Deswegen sollten nicht-nachhaltige Anlagen ein geringeres Renditepotenzial aufweisen. Beide Argumente leuchten ein. Aber es können nicht beide Möglichkeiten richtig sein. Deswegen weiß man heute schlicht noch nicht, ob die Rendite von nachhaltigen Investments größer, kleiner oder gleich sein wird.

Und wie soll ein Berater mit dem Dilemma umgehen?

Beitz: Wir bieten den Kunden Produkte an, die es ermöglichen sowohl in nachhaltige als auch in nicht nachhaltige Fonds zu investieren. Außerdem müssen sie sich nicht bereits heute auf einen Fonds festlegen, den sie in 30 Jahren auch noch haben werden. Das heißt also, wenn ich eine gewisse Flexibilität in meiner Fondspalette habe, kann der Kunde solche Effekte durch gezielte Veränderungen bei der Fondsauswahl sehr gut minimieren. Die Shifts und Switches sind ja für den Kunden kostenlos.

Ich würde gerne noch einmal auf die Definition von Nachhaltigkeit zurückkommen. Derzeit ist Gas und Atomkraft als grüne Energie definiert. Wie bewerten Sie dies?

Ruß: Die Europäische Union hat mit der Taxonomie ein Regelwerk geschaffen. Und wie immer, wenn viele Beteiligte Regeln schreiben, ist das Ergebnis zu einem großen Teil fachlich sinnvoll und zu einem gewissen Teil ein Kompromiss. Das Atomkraft nachhaltig ist, lag schlichtweg daran, dass man die Unterschrift der französischen Regierung benötige. ESG besteht übrigens aus drei Buchstaben. Wir haben aktuell nur die Taxonomie für E. Für S und G fehlt sie noch.

Beitz: Ich beneide manchmal meine deutschen Kollegen, die es nur mit dem deutschen Markt zu tun haben. Wenn sie Produkte in anderen europäischen Ländern anbieten, müssen sie schauen, welche Produkte dort als nachhaltig eingestuft werden. Es wäre gut und wünschenswert, wenn die EU ein Regelwerk schaffen würde, das uns mittel- bis langfristige Sicherheit auf EU-Ebene gibt.

Wie nachhaltig ist das Produktangebot im Markt inzwischen?

Beitz: Wir haben aktuell rund 160 Fonds in unserer Produktpalette. Davon sind 55 als nachhaltig klassifiziert. Das gibt dem Kunden die Möglichkeit, vor allem im Umweltbereich eine qualifizierte Auswahl zu treffen. Im Markt sehen wir inzwischen ein breites Fondsangebot, aus dem die Kunden auswählen können. Wir haben derzeit dreimal sie viele Artikel 8-Fonds wie Artikel 9-Fonds. Der Grund: Jeder nachhaltige Fonds im Markt, der relativ viel Cash hält, hat deutliche Schwierigkeiten, als Artikel 9-Fonds deklariert zu werden.

Ruß: Die Zahl der angebotenen Fonds, die ein Nachhaltigkeitslabel tragen, steigt schnell. Das ist gut und richtig. Aber man muss auch sehen: Artikel 9 heißt (vereinfacht dargestellt), dass so investiert wird, dass das Investment einen Impact hat, „um die Welt zu verbessern“. Artikel 8 heißt hingegen nur, dass man mit gewissen ESG-Merkmalen wirbt, und dann den Investoren auch berichten muss, wie diese eingehalten werden.

Warum Vermittler einen Bogen um nachhaltige Fondspolicen machen: „Viele haben Furcht, in Haftungsfallen zu laufen“

Lesen Sie hier, wie es weitergeht.

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