„Wir haben im Moment einen Anlagenotstand“

Welcher Strategien bedarf es, damit der Hebel im Kopf umgelegt wird? Müssen Sie als Aktuarvereinigung nicht mit der Politik gemeinsam hier wirken?
Bader: Die Politik selbst kann die Leute kaum dazu bewegen, mehr in Aktien zu investieren. Das Sozialpartnermodell zeigt das sehr deutlich. Trotz der Werbung für garantiefreie Produkte ist dort bisher leider nichts passiert. Und mit dem Alterseinkünftegesetz hat die Politik sogar einen entgegengesetzten Weg eingeschlagen und noch mehr Garantien erzwungen.

Wir haben etwa bei Riester die Beitragsgarantien, die verlangen, dass der Kunde 100 Prozent der eingezahlten Beiträge in jedem Fall zurückerhält. Simulationsrechnungen weisen darauf hin, dass bei dem jetzigen Niedrigzinsumfeld solche Garantievorgaben die chancenorientierte Anlage massiv beschränken. Wir arbeiten als Aktuare daran, die Produkte chancenorientierter zu gestalten. Bei der Stuttgarter bieten wir etwa – ausgenommen vom Riesterprodukt sowie der Beitragszusage mit Mindestleistung (BZML) – alle Hybridprodukte nur noch mit maximal 80 Prozent Beitragsgarantie an.

Und das wird von unseren Geschäftspartnern und Kunden sehr gut angenommen. Mit jeder Senkung des Höchstrechnungszinses und den Einschlägen am Kapitalmarkt muss man auch immer etwas an der Garantieschraube nach unten drehen und die Leute ein wenig mehr zu ihrem Glück zwingen. Das ist eine gute und gesunde Entwicklung. Der Gesetzgeber muss sich allerdings überlegen, wie ein Riester-Standardprodukt aussehen soll und was er bei einem normalen Riesterprodukt und der BZML machen will. Sollen die 100 Prozent gehalten werden, wovon ich dringend abrate, oder möchte er diese Vorgabe aufweichen?

Einer Umfrage der Continentale Versicherungen zufolge halten 74 Prozent der unter 60-Jährigen die private Altersvorsorge für nicht wichtig. Zudem glauben 42 Prozent, dass der Versicherer im „Ernstfall“ nicht zahlt. Die Menschen zweifeln also nicht nur an der Altersvorsorge, sondern auch an den Gesellschaften. Welche Schlussfolgerungen ergeben sich hieraus für Sie?
Bader: Als Aktuarvereinigung finden wir solche Ergebnisse erschreckend. Wir halten die gesetzliche Rente für einen guten Baustein, der aber zwingend durch die betriebliche und private Altersvorsorge ergänzt werden muss.

Als DAV weisen wir immer auf die demografische Entwicklung hin und raten allen zu einer ergänzenden Altersvorsorge – sei es privat, sei es betrieblich. Idealerweise sogar beides. Es gilt, früh anzufangen und einen langen Atem zu haben. Denn es ist essentiell, die laufenden Einkünfte im Alter zu stärken.

Zudem unterstützen wir ausdrücklich den Plan der Bundesregierung, eine säulenübergreifende Renteninformation einzuführen. Die Menschen müssen wissen, wie viel Rente sie erwarten können und was letztlich im Alter an Geld fehlt, wenn sie nicht zusätzlich vorsorgen. Wenn wir das haben, wird es vielen die Augen öffnen und dafür sorgen, dass die Bereitschaft für die Altersvorsorge steigt.

Stichwort säulenübergreifende Renteninformation: Die wird bereits seit längerem gefordert. Viel bewegt hat sich aber bislang nicht.
Bader: Die Übersicht kommt. Es sind aber noch technische Fragen zu klären: zu technischen Schnittstellen, zum Datenschutz. Und eventuell bedarf es dort noch einiger Gesetzesänderungen. Aber die Entwürfe, die ich kenne, machen einen vernünftigen Eindruck und erinnern stark an die jährlichen Mitteilungen der Lebensversicherer und der Deutschen Rentenversicherung.

Der Nukleus ist die Renteninformation. Und daran kann man relativ schnell die Informationen zur Lebensversicherung oder Riester-Rente sowie zur bAV anbinden. Ich glaube, wir werden in weniger als fünf Jahren eine säulenübergreifende Renteninformation haben.

Das Interview führte Cash. Redakteur Jörg Droste Ende März 2020

Foto: Die Stuttgarter

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