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André Meissner, Canada Life: „Was gestern noch funktionierte, braucht heute bereits Veränderung“

André Meissner, Vertriebdirektor bzw. Head of Sales bei Canada Life
Foto: Canada Life
André Meissner ist Vertriebsdirektor bei Canada Life

Canada Life hat mit dem Jahreswechsel den Vertrieb neu justiert. Über die Veränderungen und die aktuellen Herausforderungen sprach Cash. mit Canada Life Vertriebsdirektor André Meissner.

Wie groß sind die Herausforderungen bei Canada Life, vor dem Hintergrund dessen, was hier gerade in der Branche passiert?

Meissner: Die aktuelle Situation stellt uns vor enorme Herausforderungen – mich persönlich und unsere gesamte Branche. In den letzten 20 Jahren haben wir uns erfolgreich am deutschen Markt etabliert, doch die Zeiten ändern sich rasant. Unsere Generation, die Generation X, muss sich in Rekordtempo neu erfinden und Technologien beherrschen, die es früher nicht gab. Ein Beispiel: Das iPhone ist erst 17 Jahre alt – und dennoch sind Smartphones heute unverzichtbar. Für meine Kinder ist das selbstverständlich. Während wir uns an Neues gewöhnen mussten, wachsen die Jüngeren selbstverständlich damit auf. Unsere Branche steht zusätzlich vor dem Demografie-Problem. Doch Stillstand ist keine Option. Obwohl ich in zehn Jahren das Rentenalter erreiche, bleibt der Wandel alternativlos – ich muss wach und bereit für stetige Weiterentwicklung bleiben. Auch in meiner Vertriebsmannschaft spüre ich die Dynamik der Zeit.

In den letzten drei Jahren haben wir unsere Strukturen jedes Jahr angepasst – nicht aus Langeweile, sondern weil die Welt sich schneller dreht, als wir reagieren können. Was gestern noch funktionierte, braucht heute bereits Veränderung. Auch zum 1. Januar 2025 haben wir erneut in größerem Umfang den Vertrieb umstrukturiert. Das fordert uns alle, insbesondere die erfahrenen Kollegen, deren Wissen so wertvoll ist. Die Herausforderung ist, sie auf den Wandel vorzubereiten, Ängste zu nehmen und Chancen aufzuzeigen. Denn Veränderung kann positiv sein und persönliche Entwicklung fördern. Was wir nicht tun dürfen, ist zu sagen: „Ich mache das seit 20 Jahren, das wird schon weiter so gehen.“ Stattdessen müssen wir bereit sein, uns anzupassen und die Zukunft aktiv zu gestalten.

Was strukturiert Canada Life im Vertriebsbereich um?

Meissner: Wir sind in der klassischen Rolle des Maklerbetreuers groß geworden, doch die Zeiten haben sich geändert: Produkte werden austauschbarer und viele Prozesse werden zunehmend automatisiert. Das erfordert ein Umdenken. Der entscheidende Punkt ist: Was ist der Mehrwert unserer Zusammenarbeit? Es geht nicht mehr darum, den neuesten Prospekt zu präsentieren oder Produktdetails zu erklären. Solche Informationen können sich Makler heute selbst beschaffen – über Vergleichstools und Plattformen. Der wahre Mehrwert liegt in echter Partnerschaft, gegenseitigem Verständnis und individueller Unterstützung.


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Bei Canada Life haben wir das früh erkannt. Bereits vor über 20 Jahren führten wir die Rolle des Broker Consultant ein, die später eingedeutscht wurde. Vor zwei Jahren habe ich den Titel bewusst reaktiviert, weil er präzise beschreibt, wofür wir stehen: Berater und Partner auf Augenhöhe, nicht bloß Produkterklärer. Natürlich kümmern wir uns um Probleme, wenn sie auftreten. Doch der Fokus liegt darauf, die Welt unseres Geschäftspartners zu verstehen: Welche Prozesse nutzt er? Arbeitet er mit einem Pool? Welche Beratungsstrecken oder Maklerverwaltungsprogramme setzt er ein? Diese Fragen sind heute zentral – vor zehn Jahren waren sie noch nicht so relevant. Früher reichte es, ein Produkt und eine Software vorzustellen. Heute geht es darum, Prozesse zu optimieren, Beratungsansätze zu unterstützen und gemeinsam Lösungen zu entwickeln. So schaffen wir nachhaltige, vertrauensvolle Zusammenarbeit und echten Mehrwert – weit über Produkte hinaus.

Die Frage ist: Wie schaffen wir heute Strukturen, um auf die Veränderungen von morgen vorbereitet zu sein? Es reicht nicht, nur im Hier und Jetzt zu agieren. Natürlich ist das Jahresendgeschäft wichtig, und kurzfristige Ziele müssen erreicht werden. Aber langfristiger Erfolg erfordert strategisches Denken, vorausschauende Planung und den Mut, über den Tellerrand hinauszuschauen. Nur so bleiben wir zukunftsfähig in einer sich wandelnden Branche. 

Vor dem Hintergrund von Rezession, volatilen Zins- und Kapitalmärken, Kriegen in der Ukraine und dem Nahen Osten: Wie groß ist aktuell die Verunsicherung der Kunden? Spürt Canada Life Auswirkungen auf das Neugeschäft?

Meissner: Wir stellen aktuell keinerlei auffällige Entwicklungen im Bestandsbereich fest – weder vermehrte Anfragen von Kunden, die ihre Verträge ändern oder beitragsfrei stellen möchten, noch andere Anzeichen von Unruhe. Im Neugeschäft hingegen sehen wir deutliche Auswirkungen, insbesondere im Bereich der betrieblichen Altersvorsorge (bAV), die mittlerweile einen Anteil von 35 bis 40 Prozent an unserem Neugeschäft ausmacht. Hier berichten unsere bAV-Partner, dass bereits geplante Projekte zunehmend verschoben werden. Die aktuelle wirtschaftliche Lage, geprägt von Insolvenzen – auch bei etablierten Unternehmen – und Negativschlagzeilen wie zuletzt bei Volkswagen, wirkt sich spürbar aus. Besonders problematisch sind Einstellungsstopps bei bestehenden bAV-Kollektiven, da dadurch weniger neues Geschäft durch Mitarbeiterfluktuation oder Neueinstellungen generiert wird. Da merken wir schon eine gewisse Zurückhaltung.

Die geplante Reform der privaten Altersvorsorge ist mit dem Ende der Bundesregierung Geschichte: Wie fällt im Nachhinein das Fazit aus?

Meissner: Die Diskussion um die private Altersvorsorge ist grundsätzlich wichtig und richtig, doch es gibt kritische Punkte. Der regulatorische Rahmen ist mir noch nicht klar, und ich finde es bedenklich, dass viele Menschen, die diesen Förderrahmen ausschöpfen sollen, möglicherweise nur einen einzigen Baustein für ihre Altersvorsorge haben. Für sie ist das keine Ergänzung eines gut gefüllten Ordners, sondern oft die einzige Option. Wenn wir über Entnahmepläne mit 20 Jahren Laufzeit sprechen: Was passiert, wenn jemand mit 86 oder 88 Jahren im Pflegeheim sitzt und das Geld aufgebraucht ist?

Die Debatte, etwa die „Initiative sieben Jahre länger leben“ vom GDV, macht die steigende Lebenserwartung deutlich. Doch die Diskussion entwickelt sich in eine problematische Richtung: Versicherer seien zu teuer, zu intransparent, und ein Depot sei die bessere Lösung. Dabei vergessen wir, dass nicht jeder in der Lage ist, ein Depot zu managen. Hier müsste viel früher angesetzt werden – beim Thema Finanzbildung. Wir brauchen dringend mehr Finanzbildung, um Menschen in die Lage zu versetzen, informierte Entscheidungen zu treffen.

Canada Life hatte im September eine Umfrage zum Thema Vorsorge präsentiert. Mehr als ein Drittel der Befragten hat keine Zeit für Altersvorsorge, etwas mehr ein als Drittel versteht die Materie nicht und jeden Fünften interessiert es nicht. Was läuft bei dem Thema hierzulande nicht richtig?

Meissner: Es läuft vieles grundsätzlich richtig, und ich möchte hier kein Schulsystem-Bashing betreiben. Natürlich brauchen wir ein breites Bildungssystem, das allen Berufen in unserem Land gerecht wird – ob Ärzte, Handwerker, Betriebswirte oder andere Fachkräfte. Es ist wichtig, in der Schulzeit breit anzusetzen, um nicht zu früh in eine zu enge Richtung zu drängen. Aber es gehört für mich genauso dazu, in der Schulzeit Grundlagen zu schaffen, die junge Menschen auf die Realität des Lebens vorbereiten. Wir wissen seit Jahren, dass wir ein enormes Demografie-Problem haben. Daran hängen zentrale Themen wie die Altersvorsorge und die Absicherung der Arbeitskraft.

Trotzdem wird hier oft zu spät angesetzt. Wir können nicht einfach erwarten, dass junge Menschen automatisch alles regeln oder sich privat um ihre Vorsorge kümmern. Wenn wir ihnen nicht frühzeitig beibringen, was es bedeutet, Verantwortung zu übernehmen, werden sie in Zukunft die Konsequenzen ausbaden müssen. Deshalb ist es entscheidend, dass wir klar vermitteln: Wenn du 18 wirst und auf eigenen Beinen stehst, bedeutet das nicht nur Freiheit, sondern auch Verantwortung – für dich selbst und deine Zukunft.

Deutschland bräuchte Finanzbildung. Die Bereitschaft im Schulbereich hierfür ist allerdings nur gering.

Meissner: Es gibt vereinzelt Ansätze, bei denen Finanzdienstleister oder engagierte Schulen Finanzbildung anbieten – oft außerhalb des Lehrplans und auf Initiative einzelner Schulleitungen. Das sind echte Leuchtturmprojekte, die zeigen, was möglich ist. Doch genau hier liegt das Problem: Es sind Einzelinitiativen. Es fehlt ein flächendeckendes Konzept, das solche Angebote systematisch in die Schulen bringt. Natürlich geht es nicht nur um Finanzbildung – auch in anderen Bereichen gibt es Themen, die früher und besser vermittelt werden sollten. Doch solange es dem Zufall überlassen bleibt, ob eine Schule oder ein Finanzdienstleister aktiv wird, erreichen wir nur wenige Schülerinnen und Schüler. Zurück zur Altersvorsorge: Canada Life-Vorstand Igor Radović sagte kürzlich in unserem ersten eigenen Podcast „Deine Vorsorge. Deine Million.“, man brauche eine Million, um eine vernünftige private Zusatzrente zu haben. Als Mathematiker kann er genau herleiten, warum das so ist.

Die entscheidenden Faktoren sind im Grunde simpel: Laufzeit und Zins. Wer früh anfängt und sein Geld rentierlich anlegt, muss im Laufe der Zeit deutlich weniger investieren, um das Ziel zu erreichen. Die Rechnung ist banal, aber entscheidend: Wenn du mit 16 anfängst zu sparen, löst das viele Sorgen, die du hättest, wenn du erst mit 45 beginnst. Das ist reine Mathematik. Doch dafür müssen wir junge Menschen frühzeitig erreichen und ihnen klarmachen, wie wichtig der Faktor Zeit ist. Hier braucht es nicht nur Einzelinitiativen, sondern eine strukturierte Finanzbildung, die alle erreicht.

Thema Arbeitskraftabsicherung: Canada Life bietet Berufsunfähigkeitsversicherung, Grundfähigkeitsversicherungen und Dread Disease an. Welche Resonanz erfahren Sie beim Thema Arbeitskraftabsicherung?

Meissner: Die Berufsunfähigkeitsversicherung (BU) läuft derzeit sehr gut. Nachdem wir in den letzten fünf bis sechs Jahren produktseitig etwas auf der Bremse standen – bedingt durch den Umbau auf ein deutsches Verwaltungssystem – konnten wir Anfang 2024 die Migration abschließen. Unser Bestand liegt jetzt vollständig auf einem deutschen Standardsystem, was uns ermöglicht, wieder stärker auf Produktanpassungen zu setzen. Ein wichtiger Schritt war die BU: Wir haben sowohl die Bedingungen als auch das Antragsverfahren verbessert.

Die Gesundheitsfragen wurden erleichtert – statt fünf Jahre ambulant und stationär fragen wir jetzt nur noch drei Jahre ambulant und fünf Jahre stationär ab. Das vereinfacht den Beantragungsprozess deutlich und wird am Markt sehr positiv aufgenommen. In einem hoch wettbewerbsintensiven Markt, in dem viele etablierte Anbieter agieren, konnten wir uns gut behaupten. Die steigenden Neugeschäftszahlen belegen, dass unsere Anpassungen den richtigen Nerv getroffen haben.

Auch im Bereich der Grundfähigkeitsversicherung waren wir lange die Vorreiter. Mittlerweile hat sich der Markt deutlich weiterentwickelt und ist stark umkämpft. Trotzdem sind wir stolz darauf, dass wir Ende Oktober auf der DKM erneut den Award als Makler-Liebling in diesem Segment erhalten haben – und das, obwohl es mittlerweile viele Wettbewerber gibt. Dieser Wettbewerb tut dem Markt grundsätzlich gut, dennoch sehe ich mit Sorge die wachsende Tendenz zu einem Bedingungswettbewerb: mehr Features, mehr Fähigkeiten, bessere Bedingungen. Das führt zu immer hochwertigeren Produkten, die jedoch für viele Zielgruppen schlicht nicht mehr bezahlbar sein werden. Diesen Trend sehe ich kritisch, auch wenn wir uns dem Marktgeschehen nicht entziehen können.

Ein Produkt, das mir persönlich seit 20 Jahren am Herzen liegt und bei dem ich nicht müde werde, dafür zu werben, ist die Schwere-Krankheiten-Versicherung, die Dread Disease. In Deutschland verschließen wir kollektiv die Augen vor der Realität: Jedes Jahr werden laut Bundesgesundheitsministerium fast 500.000 neue Krebsfälle diagnostiziert. Gesundes Leben, gesunde Ernährung und Sport sind wichtig, aber keine Garantie dafür, dass so etwas nicht passiert. Die Schwere-Krankheiten-Versicherung bietet Betroffenen – bei Erfüllung der Versicherungsbedingungen – eine sofortige Einmalzahlung, die in einer solch schwierigen Situation schnelle Hilfe leistet. Bislang haben wir über 350 Millionen Euro an Leistungsvolumen ausgezahlt und damit vielen Menschen geholfen. Gemessen am tatsächlichen Bedarf und der vergleichsweise geringen Anzahl von Wettbewerbern wünsche ich mir für dieses Produkt deutlich mehr Aufmerksamkeit im Markt.

Stichwort Aufmerksamkeit. Ist Nachhaltigkeit noch ein wichtiges Thema, oder nicht?

Meissner: Nachhaltigkeit ist heute nicht mehr optional – sie ist Pflicht; und das gilt nicht nur für die Finanzbranche, sondern branchenübergreifend. Es stellt sich gar nicht mehr die Frage, ob man sich damit beschäftigen möchte oder nicht. Allerdings gibt es eine Tendenz, Nachhaltigkeit zu eindimensional auf das Thema Klima zu fokussieren. Natürlich ist der Klimaschutz zentral, aber Nachhaltigkeit umfasst weit mehr – etwa die Bereiche Social und Governance. Das betrifft uns als Arbeitgeber, in der Zusammenarbeit mit Kunden und in Themen wie Diversity und sozialer Gerechtigkeit. Es ist ein vielschichtiges Konzept, das in vielen Bereichen unseres Handelns verankert sein muss. Als Unternehmen, das sich mit Fragen der Altersarmutsvermeidung und sozialen Gerechtigkeit beschäftigt, ist Nachhaltigkeit ein wichtiger Bestandteil unseres täglichen Tuns – sei es als Arbeitgeber, Produktanbieter oder Partner. Nachhaltigkeit ist wichtig, aber sie muss mit Augenmaß und einer ganzheitlichen Perspektive angegangen werden.

Warum?

Meissner: Es gibt durchaus Kunden, die aktiv Nachhaltigkeit einfordern. Auch Arbeitgeber stellen zunehmend die Frage, wie nachhaltig unsere Lösungen sind, bevor sie sich für eine betriebliche Altersversorgung (bAV) mit Canada Life entscheiden. Unternehmen, die sich in ihrem Produktbereich bereits intensiv mit Nachhaltigkeit auseinandersetzen, möchten diesen Anspruch auch bei der bAV für ihre Mitarbeiter nicht außen vorlassen. Gerade im Bereich bAV haben wir das Thema Nachhaltigkeit bereits fest verankert. Im Privatkundengeschäft hingegen nimmt es derzeit noch nicht die höchste Priorität ein.

Die Digitale Rentenrentenübersicht kommt. Ist sie hilfreich?

Meissner: Stand heute, absolut gar nicht. Nur weil es digital ist, heißt das noch nicht, dass ich meine Leidenschaft dafür entwickle, festzustellen, da habe ich jetzt was, ich muss was tun. Es ist eine Hilfestellung, aber es löst die eingangs angesprochenen Finanzbildungsprobleme nicht.

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